Bei der Entstehung der bipolaren Störung liegen häufig genetische Faktoren zugrunde. Die bislang größte Analyse zu den beteiligten Erbanlagen ist nun erschienen. Mehr als 40.000 Betroffene und 370.000 Kontrollen wurden in die Untersuchung eingeschlossen; rund 320 Forschende rund um den Globus waren beteiligt. Die Federführung der Arbeit lag unter anderem bei der Icahn School of Medicine, New York, der Universität Oslo und dem Universitätsklinikum Bonn.
Bei einer bipolaren Störung pendelt die Stimmung der Betroffenen zwischen zwei Extremen. Mitunter sind sie wochenlang so niedergedrückt, dass sie es kaum schaffen, ihren täglichen Aktivitäten nachzugehen. Dann wieder gibt es Phasen, in denen sie sich euphorisiert und voller Energie fühlen und rastlos ihre Projekte verfolgen. In der Umgangssprache hat sich daher der Begriff manische Depression eingebürgert. Rund ein Prozent aller Menschen erkranken im Laufe ihres Lebens. Der Leidensdruck, unter dem sie stehen, ist immens.
Zu den bekannten Risikofaktoren zählen frühkindliche traumatische Erfahrungen wie Missbrauch oder der Verlust eines Elternteils, aber auch ein stressiger Lebensstil oder der Konsum bestimmter Drogen kann Auslöser sein. Mittlerweile weiß man jedoch, dass der überwiegenden Teil von Menschen mit bipolarer Störung an dieser aufgrund vererbter Gene erkranken. Man vermutet, dass Hunderte von Genen beteiligt sind von denen man bislang aber nur einen kleinen Teil kennt.
So durchforstete ein internationales Konsortium dazu die DNA von mehr als 400.000 Menschen nach Auffälligkeiten. Der genetische Bauplan jedes einzelnen Menschen gleicht einer Art riesigem Lexikon mit rund drei Milliarden Buchstaben. Der Inhalt dieses DNA-Lexikons unterscheidet sich von Person zu Person. Bei Menschen mit einer bipolaren Störung sollten sich aber zumindest die Passagen ähneln, die etwas mit der Erkrankung zu tun haben. Und diese Grundannahme machten sich die Wissenschaftler zunutze: Sie verglichen die DNA ihrer Probanden an vielen hunderttausend in der Bevölkerung variabel vorkommenden Stellen und konnten so sie Erbgut-Regionen identifizieren, die vermutlich zu der Erkrankung beitragen. Die erzielte Treffer liefern auch Hinweise auf neue Therapieansätze… Durch die Studie rücken insbesondere Kalziumkanäle in den Fokus der Forschung, denn sie scheinen an der Entstehung der Krankheit beteiligt zu sein. „Es gibt Medikamente, die die Funktion dieser Kanäle beeinflussen, aber bislang nur für die Behandlung anderer Krankheiten zugelassen sind. Vielleicht sind sie auch eine Option für die Therapie der bipolaren Störung.“
Eine bipolare Störung ist nicht gleich eine bipolare Störung: Symptome und Verlaufsformen der Erkrankung können sehr unterschiedlich sein und man geht davon aus, dass es bei der Krankheit verschiedene Subtypen gibt, die möglicherweise auch jeweils eine etwas andere Behandlung erfordern. „Wir konnten zum Beispiel zeigen, dass eine häufig sehr schwer verlaufende Form der bipolaren Störung, Typ I genannt, auf genetischer Ebene stärker mit der Schizophrenie zusammenhängt. Eine etwas ,milder’ verlaufende Variante - der Typ II - scheint dagegen eher mit der Depression verwandt zu sein“, erklärte Forschungsmitglied Jun.-Prof. Dr. Andreas Forstner vom Universitätsklinikum Bonn. Auch scheint Rauchen das Risiko für eine bipolare Störung signifikant zu erhöhen. Beim problematischen Alkoholkonsum legen die Analysen dagegen einen bidirektionalen Zusammenhang nahe: Menschen mit einer Veranlagung für eine bipolare Störung trinken öfter; umgekehrt scheint dieses Verhalten auch ihre Erkrankungs-Wahrscheinlichkeit zu erhöhen. Allerdings müssen nachgewiesene Zusammenhänge zwischen bestimmten Verhaltensweisen und der bipolaren Störung müssen zunächst noch in weiteren, großen Studien untersucht werden.
Neben den Bonner Wissenschaftlern beteiligten sich als deutsch-schweizerischer Verbund unter anderem auch das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim, das Klinikum der Universität München und das Universitätsspital Basel an den Analysen.
Es bleibt weiterhin spannend bei der Erforschung dieser seltenen Erkrankung.
Quelle: Niamh Mullins, Andreas J. Forstner et al.: Genome-wide association study of more than 40,000 bipolar disorder cases provides new insights into the underlying biology. Nature Genetics, DOI: 10.1038/s41588-021-00857-4