Für unser soziales Miteinander spielen Gesichter eine ganz besondere Rolle – wir erkennen unser Gegenüber am Gesicht, wir kommunizieren über unsere Mimik. Menschen, die unter Prosopagnosie (von griechisch prosopon, Gesicht, und agnosia, Nichterkennen) oder Gesichtsblindheit leiden, fehlt diese Möglichkeit des Erkennens und der Kommunikation, denn für sie sind Gesichter nicht mehr als identisch aussehende helle Ovale mit zwei dunkleren Flecken dort, wo die Augen sitzen. Die Frage des Kommissars könnten sie daher beim besten Willen nicht beantworten. Im Extremfall können sie nicht einmal ihr eigenes Gesicht im Spiegel erkennen, obgleich ihr Sehvermögen völlig intakt ist und ihre Intelligenz unbeeinträchtigt ist.
Offensichtlich besitzen wir eine angeborene Fähigkeit zum Erkennen von Gesichtern. Wenn unsere Augen ein Gesicht wahrnehmen, wird die optische Information zunächst in die Sehrinde am hinteren Hirnpol geleitet, da verarbeitet und nach einem Abstecher zum so genannten Gesichtserkennungsareal im Schläfenlappen weiter nach vorn zum Stirnlappen geschickt. Dort wird uns der Seheindruck bewusst: aha, ein Gesicht. Dieses Gesicht wird zudem mit Bildern von Gesichtern verglichen, die bereits in Hirnschaltkreisen gespeichert sind. Gibt es einen Treffer, erkennen wir die Person wieder: ein bekanntes Gesicht. Das Gesichtserkennungsareal schickt das Signal aber auch ins „Gefühlszentrum“, ins limbische System, wo es emotionale Bedeutung erhält: Wir erkennen das vertraute Gesicht der Mutter/des Vaters und empfinde dabei ein warmes Gefühl.
Wird das Gesichtserkennungsareal geschädigt (z.B. durch einen Hirnschlag) oder ist es von Geburt an verkleinert, so können die Betroffenen gesichtsblind werden. Statistisch leiden 5 von 200 Menschen unter angeborener Gesichtsblindheit. Das sind immerhin so viele, dass man dies bei der Befragung von Augenzeugen vor Gericht berücksichtigen sollte.
Behandeln lässt sich Prosopagnosie bislang nicht. Die Betroffenen können nur Strategien entwickeln, um mit ihrem Defizit besser umzugehen, zum Beispiel, indem sie die Partnerin bitten: „Zieh doch die große rote Haarschleife an, Schatz, damit ich dich auf der Party wiederlinde!“
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