Vor dem Hintergrund der weltweiten Zunahme von Übergewicht und spielt die Erforschung der Mechanismen von Hunger und Sättigung eine große Rolle. Welche Signale auf welche Weise mit einander verwoben sind, wie sie im Gehirn analysiert werden und sich auf unser Essverhalten auswirken, wurde auf dem Kongress „Des Heißhungers Zähmung” im Juni 2008 in Zürich erörtert, der vom Institut Danone Ernährung für Gesundheit e.V. in Kooperation mit der ETH Zürich veranstaltet wurde.
Sehr viele Argumente sprechen dafür, dass das Körpergewicht aktiv reguliert wird, und die Nahrungsaufnahme, also Hunger und Sättigung, eine wesentliche Rolle dabei spielen. Offenbar besteht ein gewisser Evolutionsdruck, der das Körpergewicht innerhalb gewisser Grenzen hält. Da Zeiten knapper Nahrung jedoch viel häufiger vorkamen als Nahrungsüberschuss, schützen diese Regulationsmechanismen eher vor einer Abnahme als vor einer Zunahme des Körpergewichts. „Die Evolution hat uns nicht für die heutige Ernährungsumwelt ausgestattet”, sagte Prof. Langhans von der ETH Zürich.
Der Mensch isst hauptsächlich, weil es Spaß macht, und wenn Speisen sensorisch ansprechend sind, wird deutlich mehr gegessen. Wichtig für die Steuerung von Hunger und Sättigung sind zudem Lernprozesse, die zur Ausbildung von Abneigungen oder Vorlieben führen: So entstehen positive Empfindungen, die mit dem Aussehen, dem Geruch und Geschmack von Speisen assoziiert werden, zu Vorlieben führen und die Nahrungswahl steuern. Negative Empfindungen bewirken entsprechend eine Ablehnung. Zurzeit weiß man zwar nicht, wie die Geschmackswahrnehmung das Ernährungsverhalten bestimmen kann. „Es ist evident, dass der Geschmack maßgeblich mitbestimmt, was und vielleicht auch wie viel wir essen”, sagte Prof. Meyerhof.
Im Magen-Darmtrakt entstehen Signale, die entweder direkt oder über das Fettgewebe auf das Gehirn wirken. Sie werden durch Nahrungseinnahme stimuliert und können die Gehirnfunktionen in den Sättigungszentren verändern. Der Magen-Darmtrakt beginnt im Mund. Isst man etwas Angenehmes, stellt sich sofort ein Hungergefühl ein. Klassisch sind in diesem Zusammenhang die Pawlowschen Hunde, die so konditioniert waren, dass bereits das Läuten einer Glocke die Magensaftproduktion stimulierte. Im Mund befinden sich die Geschmacksrezeptoren - süß, sauer, salzig, bitter - , die ebenfalls im Dünndarm vorkommen
Bei der Entstehung bestimmter Nahrungsvorlieben ist die gemachte Erfahrung mit der verzehrten Nahrung für die Ausbildung eines Geschmackserkennungs-Gedächtnisses entscheidend. Ein Beispiel ist die Fructoseintoleranz, eine Erbkrankheit, bei der Fruchtzucker aufgrund eines Enzymdefektes nicht abgebaut werden kann und die ernsthafte Beschwerden auslöst. Um sich davor zu schützen, reagiert der Organismus mit einer Aversion gegenüber allem Süßen.
Die Menge der aufgenommenen Kalorien bestimmt das Körpergewicht. Bereits Anfang der 90er Jahre wurden Experimente mit fettarmen und fettreichen, zusätzlich mit Butter bestrichenen Leberwurstbroten gemacht. Die Probanden durften essen, bis sie satt waren - und beide Gruppen aßen die gleiche Anzahl an Broten. Bei gleichem Sättigungsmaß nahm die Gruppe mit den fettreichen Leberwurstbroten aber viel mehr Kalorien auf. In einem anderen Experiment wurde Brot pur gegeben und dann schrittweise durch Leberwurst ersetzt. Bei purem Brot wurden die Probanden mit 500 kcal satt, aßen sie je zur Hälfte Brot und Leberwurst, nahmen sie 1000 kcal auf, bis sie satt waren. Die Auswertung von Ernährungsprotokollen von 280 adipösen Patienten über 10 Tage zeigt eine große Schwankung in der täglichen Kalorienaufnahme von 1200 bis 2500 kcal. 65 % der Kalorienschwankung erklärt sich durch die Steigerung der Essensmenge, 35 % durch die Kaloriendichte der verzehrten Lebensmittel.
Problematisch sind in dieser Hinsicht die Zwischenmahlzeiten: Mit ihrer Anzahl steigt die Kalorienaufnahme und die Essensmenge. Eine Auswertung von 245 Ernährungsprotokollen belegt, dass das Abendessen mit oder ohne Zwischenmahlzeit kalorisch gleich ausfällt. Hauptsächlich verantwortlich für die gesteigerte Energieaufnahme sind Lebensmittel mit hoher Energiedichte, flüssige Kalorien, eine große Lebensmittelauswahl sowie häufige Mahlzeiten.
Diäterfolge sind in der Regel nicht von Dauer. Ein anderer Ansatz ist ein langfristiges Therapiekonzept mit einer hypokalorischen Ernährungsumstellung, das auf einer niedrigen Energiedichte beruht. Entscheidend bei der Umstellung des Ernährungsverhaltens ist, laut Professor Schusdziarra von der TU München, die Beibehaltung der individuellen Essgewohnheiten. „Zunächst schreiben die Patienten drei bis vier Wochen ein Ernährungsprotokoll, dann kennt man die Gewohnheiten und kann diese in kleinen Schritten ändern”, so Prof. Schusdziarra. Zudem muss die Kalorienzufuhr bei gleicher Nahrungsmenge reduziert werden, damit die Patienten satt werden… Dass dieses Prinzip erfolgreich ist, zeigen die Daten von 500 Patienten der Adipositas-Ambulanz von 2003 bis 2006: Die Patienten nahmen nach der Behandlung in der Klinik auch unter häuslichen Bedingungen weiter ab.
Dass es Hungerbremsen gibt, davon ist Dr. Reinhard Imoberdorf aus Winterthur überzeugt und erläuterte es am Beispiel der Khoi-San Buschmänner in Südafrika: Auf tagelangen Märschen kauten sie Hoodia, eine kaktusartige Pflanze, die den Hunger bremst und den Durst löscht. Die Buschmänner verwendeten Hoodia aber auch als Husten- und Erkältungsmittel sowie als Aphrodisiakum. Das heißt: Viele Systeme haben verschiedene Effekte. Hoodia gibt es mittlerweile in Kapseln, die sich gut verkaufen, obwohl es keine kontrollierten medizinischen Daten gibt.
Das ideale Medikament müsste einen relevanten, anhaltenden Gewichtsverlust induzieren, es sollte Folgekrankheiten reduzieren und die Sterblichkeit senken. Zudem sollte das Nutzen-Risiko-Verhältnis vorteilhaft sein, es müsste erschwinglich und breit verfügbar sein. Letzteres ist wichtig für Bevölkerungsgruppen, die von Natur aus dünn sind, etwa Asiaten. Bekommen sie Zugang zu Fast food, nehmen sie rasch zu. Ein Beispiel ist eine Insel im Südpazifik, auf der heute 80% der Frauen und Männer adipös sind.
Bekanntlich macht Kiffen Hunger, ausgelassen und vergnügt. Mit der Blockierung der Cannabonoid-1-Rezeptoren müsste sich das Hungergefühl also unterdrücken lassen. 2006 wurde der erste CB1-Hemmer , Rimonabant (Acompolia), eingeführt. Er führte erwartungsgemäß zu einem Gewichtsverlust. CB-1-Rezeptoren finden sich nicht nur im Hypothalamus, sondern auch im Fettgewebe, in der Muskulatur, der Leber, im Gastrointestinaltrakt und im Pankreas. Von den Wirkungen erhofft man sich weniger kardiovaskuläre Komplikationen. Ob das so ist, wird die Crescendostudie zeigen. Andererseits können auch Depressionen, Angststörungen und Schwindel auftreten - ein Grund, warum psychisch instabile Patienten das Medikament nicht verschrieben bekommen dürfen. „Summa summarum werden Medikamente das Gewichtsproblem nicht lösen”, prophezeite Dr. Imoberdorf.
Ein Vergleich verschiedener Diäten über ein Jahr zeigte, dass extreme Diäten wie von Atkins oder Ornish zwar einen gewissen Gewichtsabfall ermöglichen, die Vorgaben aber auf Dauer nicht eingehalten wurden. Im Vergleich zu ausgewogenen Diäten gehen sie mit hohen Abbruchraten einher. Anhänger der Hay´schen Trennkost müssen sich mit Lebensmitteln gut auskennen, vorausplanen und gezielt einkaufen. Diese Disziplin reicht aus, um Gewicht abzunehmen: „Auch wenn es keine ernährungsphysiologische Grundlage für die Hay´sche Trennkost gibt, würde ich nicht davon abraten, wenn jemand damit Erfolg hat”, so Prof Wolfram.
Wer mit Gewichtsproblemen kämpft, sollte gewisse Regeln einhalten, z.B. nur an einem festen Platz der Wohnung und nur am gedeckten Tisch essen, weit entfernt vom Fernseher. Was und wie viel man isst, sollte vor dem Essen feststehen, und dabei sollte es auch bleiben. Hilfreich bei der Umsetzung dieser Ratschläge ist beispielsweise die Ernährungspyramide der DGE.