Passend zum Namen hat sich Slow Food die Schnecke als Wappentier ausgesucht. Sie ist ein Symbol für Entschleunigung, Widerstandsfähigkeit und Gründlichkeit und untermauert damit das Credo Genießen mit Verstand. Ziel von Slow Food ist es, eine Landwirtschaftzu erhalten, die Qualität produziert und gleichzeitig berücksichtigt, dass unsere Lebensgrundlagen auch für die nächsten Generationen erhalten bleiben.
Slow Food Deutschland, 1992 nach italienischem Vorbild gegründet, zählt mittlerweile über 5.800 Mitglieder. Regelmäßig finden Treffen in den mehr als 50 Convivien, den lokalen „Tafelrunden“, statt. In Degustationen, Seminaren, Workshops, Kochkursen, Weinproben etc. genießen die Slow Food-Mitglieder Produkte aus der heimischen Region, testen neue Sorten von regionalen Erzeugern oder tauschen sich einfach nur aus. Kulinarischer Genuss bedeutet bei Slow Food: typische, traditionelle Gerichte einer Region, die ohne künstliche Aromastoffe und Geschmacksverstärker zubereitet werden – handwerklich gebackenes Brot beispielsweise oder handgeschöpfte Schokolade. Damit lässt der weit vernetzte Verein Imbissbuden und Fast Food-Lokale einfach so links liegen. Zu den weiteren Aktivitäten von Slow Food in Deutschland zählen die Käsemarkte in Hamburg und Nieheim, der Wurstmarkt in der Rhön sowie bundesweite Genussfestivals in Frankfurt, Lübeck und Bonn.
Neu ist die Kampagne Arche des Geschmacks. Unter dem Motto „Essen, was man retten will“ sollen durch das internationale Projekt lokale und regionale Lebensmittel, Nutztier- und Nutzpflanzenarten sowie Gerichte, die mangels Angebot auszusterben drohen, vor dem Vergessen gerettet werden.
Alte Käsezubereitungen, Olivenöl aus der seltenen Sorte “Minuta”, Kaffee aus Chiapas in Guatemala, alte Obstsorten aus den Anden, Käse von der Hohen Tatra, schwarzer Hummer von der holländischen Küste, Sekt aus der Champagner-Bratbirne – das alles sind Genüsse, die nur noch in geringen Mengen von wenigen Menschen produziert werden. Mehrere hundert dieser selten gewordenen Produkte sind inzwischen in der Slow Food-Arche versammelt und werden von Förderkreisen betreut, die den Markt für diese Genüsse neu ankurbeln wollen.
Ein ganz anderen Projekt ist die Genuss- und Geschmackserziehung für Kinder. In Kinderkochkursen lernen die Kinder und Jugendliche wieder bewusst zu essen und zu trinken. Und ganz wichtig: Geschmacksunterschiede. Denn eine Kirschtomate schmeckt keinesfalls wie eine Eiertomate, ein Granny Smith-Apfel ganz anders als ein Jonagold. Wunschziel von Slow Food ist es – wie im Vorreiterland Italien – Geschmacksunterricht an zu etablieren. Das Riechen, Schmecken, Kochen und Genießen sollte gleichsam im Lehrplan verankert sein wie Lesen, Schreiben und Rechnen.
Die logische Fortsetzung dieses schulischen Engagements in Italien ist die Universität für gastronomische Wissenschaften, die am 4. Oktober 2004 in Pollenzo eröffnet wurde. 50 Kilometer südlich von Turin, mitten im Barologebiet gelegen, befindet sich dieses bisher ambitionierteste Projekt von Slow Food: eine Universität für Geschmack und Genuss, für Esskultur und Landwirtschaft. 60 Studenten beschäftigen sich in ihrem ersten Semester dem Salzen eines Schinkens, dem Conchieren von Schokolade, mit der Röstung von Kaffeebohnen oder der Impfung von Weichkäse mit Schimmelkulturen. Sie sezieren historische Menüs und pauken die Essgewohnheiten im Mittelalter. Sie fahren an den Rhein, um deutschen Riesling kennen zu lernen, und nach Marokko, um authentischen Couscous zu probieren.
Nach einem fünfjährigen Studium können die 60 Diplomgastronomen mit einem staatlich anerkannten Abschluss die Universität verlassen. Slow Food hofft, dass die Studiosi problemlos vom Arbeitsmarkt aufgesaugt werden. Als Restaurantleiter, Food & Wine-Journalisten, fürs Food-Marketing, in Hotelketten, Handels- und Cateringbetrieben sollen sie später Arbeit finden.
Wie wichtig eine breitgefächerte Organisation wie Slow Food für die Gesunderhaltung der Bevölkerung tatsächlich ist, zeigt sich an der hohen Anzahl Übergewichtiger (über 35 Prozent der Bevölkerung) und Essgestörter (rund 10 Prozent). Hinzukommt, dass der gemeinsame Mittagstisch vieler Familien sowie das Wissen um gesunde Nahrungsmittel verloren gegangen ist. „Coffee to go“, „Drive in-Burger“ – hektisch, lieblos und gestresst essen wir im Gehen und Stehen. Ungeniert wandern wir mit dem Kaffeebecher durch Möbelhäuser oder Tankstellen, sitzen mit der Pizza vor dem Computer oder Fernseher. Und während die Fernsehköche mit dekm Kochlöffel rühren, ist nur noch jede/r dritte Bewohner unseres Landes in der Lage, einen Schweinebraten selbst zuzubereiten. Der Kochboom im Fernsehen fördert das Bruzzeln am eigenen Herd in keiner Weise – sondern lässt uns weiter apathisch sitzen.
Inzwischen sind mehr als 90 Prozent unserer Nahrungsmittel mit künstlichen Aromen versetzt. Die industrielle Fertigkost – rein in die Mikrowolle, Kinder das Essen ist fertig! – eroberte in den vergangengen Jahren rasant unsere Gaumen. In Skandinavien werden die ersten Häuser schon ohne Küche gebaut. Wer darüber entsetzt ist, wer gerne mit Freunden gut isst und die Tischkultur nicht der Aromaindustrie überlassen will, der ist womöglich ein geistiger Verwandter der Slow Food-Bewegung. Die fröhlichen Genießer vertreten im Kern eine ernste Angelegenheit.