Fischprotein wird bei der Klärung von Wein als technischer Hilfsstoff eingesetzt und es gelingt nicht, es gänzlich wieder aus dem Lebensmittel zu entfernen. Bei sensibilisierten Personen können selbst geringste Mengen dieses Proteins eine allergische Reaktion auslösen.
Für die industrielle Herstellung von Lebensmittel werden eine Vielzahl von Zutaten odertechnischen Hilfsmitteln eingesetzt und diese Zutaten, für viele harmlos, können bei bestimmten Personen zu einer Allergie, der Lebensmittelallergie, führen. Doch nicht allein die Zutaten sind es, die allergische Reaktionen auslösen. Auch viele Lebensmittel können für den Allergiker gefährlich sein. Manche haben das schon an sich selbst festgestellt: der genüssliche Biss in den täglichen gesunden Apfel führt zu Brennen, Jucken, Kratzen im Mund und Rachenraum. Apfelkuchen jedoch wird problemlos vertragen.
Etwa 1-2% der Erwachsenen und 6-8% der Kinder in Deutschland leiden heute an einer Lebensmittelallergie, Tendenz steigend. Allerdings sind Lebensmittelallergien nicht erst ein Phänomen der Moderne. Bereits Hippokrates (599 v. Chr.) berichtete über z. T. schwere Lebensmittelunverträglichkeiten, die nach heutigem Wissensstand als allergische Reaktionen identifiziert wurden.
Unser Immunsystem, sowohl das spezifische als auch das unspezifische, hat die Aufgabe, fremde Stoffe zu erkennen, sie abzuwehren oder zu tolerieren. Das unspezifische Immunsystem ist angeboren. Mit seinen spezialisierten Zellen reagiert es sofort und „beseitigt“ Fremdstoffe und Eindringlinge, die den Körper in Gefahr bringen könnten. Das spezifische Immunsystem entwickelt sich im letzten Drittel der Schwangerschaft und im weiteren Verlauf des Lebens. Es erkennt unendlich viele köperfremde Stoffe, Antigene genannt und bildet genau passende Antikörper, auch Immunglobuline genannt. Bei der Bildung dieser Antikörper entscheidet es sich, ob Immunglobuline vom Typ G, die Toleranzbedeuten oder vom Typ E, die eine Allergie auslösen können, entstehen. Das spezifische Immunsystem hat ein sehr langes Gedächtnis. Auch Jahre nach dem Erstkontakt mit einem Antigen werden sofort entsprechende Antikörper gebildet. Das ist wichtig für die Infektabwehr und z.B. das Funktionsprinzip bei Schutzimpfungen. In der Regel reagiert unser Immunsystem völlig richtig. Bei Allergikern jedoch kommt es, auch lange Zeit nach dem Erstkontakt, an den sich der Patient wahrscheinlich gar nicht mehr erinnert, zu überschießenden Reaktionen, selbst auf an sich harmlose Eiweißmoleküle.
Die Lebensmittelallergie zeigt ein breites Spektrum an klinischen Symptomen: Kratzen und Brennen im Mund- und Rachenraum, Anschwellen von Zunge und Lippen, Nesselsucht, Schnupfen; in schweren Fällen kommt es zum anaphylaktischen Schock, mit Atemnot und Kreislaufversagen.
Die Wahrscheinlichkeit, an einer Lebensmittelallergie zu erkranken hängt von vielen Faktoren ab. Zum einen spielen die Essgewohnheiten einer Gesellschaft eine große Rolle. In nordischen oder mediterranen Ländern, wo viel Fisch gegessen wird, treten vermehrt Allergien auf Fisch und Krustentiere auf. In den USA gibt es Erdnussallergien. Neben diesen regionalen, spielen vor allem individuelle Faktoren eine große Rolle. Die Veranlagung, an einer Allergie zu erkranken, ist erblich. Über den Einfluss des Geburtsweges (Kaiserschnitt oder normale Geburt), die Stillgewohnheiten und sonstige Lebensgewohnheiten auf die Entstehung von Allergien werden heiße Diskussionen geführt. Gesichert ist, dass Patienten mit Magen-Darm-Erkrankungen ein höheres Risiko haben, eine Lebensmittelallergie zu entwickeln. Der Grund liegt im Säuregehalt der Magenschleimhaut. Eine normal saure Magen-Darm-Schleimhaut kann körperfremde Eiweißmoleküle so abbauen, dass sie ihren Antigencharakter verlieren. Bei Patienten, dieAntazida einnehmen müssen, ist die Fähigkeit Fremdeiweiße abzubauen stark eingeschränkt. Bedeutendster individueller Faktor jedoch ist die Kreuzallergie. So entwickeln Heuschnupfenpatienten wesentlich häufiger auch eine Lebensmittelallergie. Verantwortlich dafür sind bestimmte, gemeinsame Stellen an körperfremden Poteinen, die mit den allergieauslösenden IgE-Antikörpern reagieren. Am häufigsten wird eine Kreuzallergie zwischen Birkenpollen und Steinobst sowie Haselnüssen beobachtet; es treten aber auch Kreuzreaktionen zu anderen pflanzlichen oder tierischen Lebensmitteln, wie Karotten, Sellerie, Eiern Milch auf und selbst zwischen botanisch verwandten Pflanzen, wie Baumwolle und verschiedenen Gräsern oder Gewürzen.
Natürliche oder naturbelassene Nahrungsmittel, industriell hergestellte Fertigprodukte – der Lebensmittelallergiker ist oft hilf- und ratlos. Um diesen Patienten zu helfen, ist daher nicht allein die Medizin gefordert, sondern auch die Lebensmittelindustrie. Im Rahmen eines Workshops zu Lebensmittelallergien, der im Juni in Wien stattfand, tauschten internationale Wissenschaftler und Vertreter vom Institut Danone für Ernährung neueste Erkenntnisse über Diagnostik und Behandlung aus und es wurden Möglichkeiten der Lebensmittelherstellung und –kennzeichnung besprochen.
In den letzten Jahren ist es gelungen, eine Vielzahl von Allergenen zu identifizieren, ihre Molekülstruktur zu analysieren und rekombinant herzustellen. Die rekombinante Herstellung von einzelnen Allergenen bedeutet sowohl für die Diagnostik als auch die Behandlung einen Riesenfortschritt.
Bislang wird eine Lebensmittelallergie mit einem Hauttest oder Nahrungsprovokationstest diagnostiziert. Das ist für den Patienten nicht ganz ungefährlich, weil durch Kontakt mit dem Allergen eine oft schwere allergische Reaktion ausgelöst werden kann. Mit isolierten, rekombinant nachgebauten Allergenen kann das nicht passieren. Die Allergene werden mit bestimmten Blutzellen des Patienten im Labor gemischt und anhand der Histaminfreisetzung kann festgestellt werden, ob eine Allergie vorliegt.
Auch für eine zielgerichtete Immuntherapie sind die isolierten, gentechnisch hergestellten Allergene von Vorteil. Bisher wird mit einem Gemisch aus verschiedenen Extrakten geimpft. Das birgt die Gefahr von Sensibilisierung – viele Patienten kennen es aus eigener Erfahrung. Die Birkenpollenallergie besteht nicht mehr, dafür reagiert er allergisch auf andere Pollen. Wenn jedoch nur mit einem einzigen Protein geimpft wird, kann der Patient ein für allemal geheilt werden.
So weit, so gut. Aber - sowohl Diagnostik als auch die Behandlung sind noch nicht völlig ausgereift und der Allergiegeplagte muss noch einige Zeit Geduld aufbringen.
Auch die Lebensmittelhersteller tun sich schwer, Nahrungsmittelallergikern zu helfen. Eines der Probleme ist sicherlich die Vielzahl von Allergenen und die Vielzahl von Bestandteilen in den verschiedenen Lebensmitteln. Ein weiteres Problem ist auch, dass an und für sich normale Bestandteile von Lebensmitteln bei einem relativ geringen Teil der Bevölkerung negative Auswirkungen haben. Und – trotz modernster Methoden ist es nach wie vor nicht möglich, alle allergieauslösenden Stoffe, die eine Zutat oder ein technisches Hilfsmittel enthalten können, zu identifizieren, geschweige denn, zu eliminieren. Es stellt sich auch die Frage, ob eine Ver- oder Bearbeitung von Lebensmitteln das allergene Potential tatsächlich verändern kann.
Voraussagen sind nicht möglich, weil bis heute unbekannt ist, inwieweit durch Technologie die Aktivität von Allergenen beeinflusst werden kann. Bekannt ist lediglich, das dieses Potential durch Bearbeitung sowohl zu- als auch abnehmen kann. Versuche, durch bestimmte Technologien, das allergene Potential zu reduzieren laufen. So weiß man heute sicher, dass durch Thermobehandlung das allergene Potential zwar nicht gänzlich verschwinden kann, zumindest jedoch reduziert wird – aber das wussten wir bereits nach Verspeisen von unserem Apfelkuchen.
Mittlerweile mischt auch Brüssel kräftig mit und vereinfacht das Leben der Allergiker keinesfalls. Anfang des Jahres wurde eine Richtlinie erlassen, wonach jedes Lebensmittel, das eine Zutat oder ein technisches Hilfsmittel mit allergenem Potential enthält, mit einer Warnung versehen werden muss. Allerdings wird in dieser Liste nicht unterschieden, ob das Lebensmittel selbst oder die Zutat(en) eine Allergie auslösen können. Dem Allergiker hilft das wenig, denn aus haftungsrechtlichen Gründen werden nun möglicherweise alle Hersteller auf alle Produkte schreiben, dass sie eine allergieauslösende Zutat enthalten können.
Und so wird nicht nur vor Fischprotein beim Wein, sondern auch vor Hühnereiweiß bei Kartoffelchips, usw. gewarnt - die Liste ließe sich beliebig ergänzen.