Wer oder was ist dick, wer ist übergewichtig, wann endlich gibt es die so lange erwartete Pille, die einen abnehmen lässt? Jede dieser Teilfragen ist, die jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnisse zugrunde gelegt, beantwortbar – auch der letzte Teil: An der „Wunderpille Abnehmen“ wird weltweit gearbeitet. Dutzende von Forschungslabors sind in dieser Hinsicht tätig, und das Medikament „Acomplia“ der Pariser Pharmafirma Sanofi-Aventis kommt vielleicht noch in diesem Jahr auf den Markt.
Wie so viele der augenblicklich getesteten Pillen wirkt „Acomplia“ auf das Hirn ein. Dort werden bei Einnahme des Medikaments die so genannten „Freudenrezeptoren“ ausgeschaltet. Diese Methode bewährt sich nachgewiesenermaßen bei Marihuanaabhängigen: Die Pille suggeriert dem Hirn, man habe genügend Marihuana geraucht, so dass der Wunsch nach „mehr“ ausbleibt. Auf dieses Weise auch kann „Hunger“ oder der „Zwang zum Essen“, wie es ein Arzt in Paris formuliert, unterdrückt werden. Test-Personen, die „Acomplia“ unter ärztlicher Aufsicht genommen haben, verloren im Durchschnitt acht Kilogramm an Gewicht.
Einen anderen Weg gehen Merck und Nastech Pharmaceuticals. Sie experimentieren mit einem Nasenspray, das einer synthetischen Version jenes menschlichen Proteins entspricht, das dem Hirn das Weiteressen in dem Augenblick untersagt, da die erste Nahrung den Darm erreicht hat – ein wissenschaftliches und erzwungenes FDH sozusagen, „Futter` die Hälfte“. Als „Abnahmepille“ bereits zur Verfügung steht „Xenical“ von Roche. Dieses Mittel gilt als sicher, wird aber wegen unschöner Nebenwirkungen nur ungern genommen: sehr fettiger Stuhl und höchst unangenehme Blähungen.
Die „magische Pille“, so die „New York Times“, wird von etwa 200 Unternehmen weltweit „gesucht“, von den führenden Pharmagiganten bis zu absolut unbekannten Labors, wie etwa L-Marc Research im amerikanischen Louisville. Denn Übergewicht kann beispielsweise zu Diabetes oder Herzproblemen führen. Als „übergewichtig“ müssen heutzutage etwa ein Drittel der Bevölkerung eingestuft werden. Die Pharmaindustrie wittert ein gewaltiges Potential – von einer sicheren Pille, die zu Gewichtsreduzierungen führt, verspricht sie sich Milliardeneinkünfte. Eine solche Pille könnte den Cholesterin-bekämpfenden Champion „Lipitor“, Medikamenten-Bestseller überhaupt, in den Schatten stellen – und „Lipitor“ erzielte im vergangenen Jahr einen Umsatz in Höhe von zwölf Milliarden Dollar.
Einer „Abnahmepille“ sehen viele Experten mit gemischten Gefühlen entgegen, darunter auch der amerikanische Endokrinologe Dr. Donald Bergman. Er fürchtet, solche Pillen könnten missbraucht werden, etwa von Personen, die ein durchaus normales Gewicht haben, aber einige wenige Pfunde verlieren wollen, um etwa berufliche Vorteile zu bekommen – eine junge Frau vielleicht als Modell. Auf der anderen Seite aber sieht er in den Übergewichtigen auch ein „alarmierendes Gesundheitsproblem“, das bekämpft werden muss – „wir müssen diese Leute retten“, sagt Dr. Bergman, „unbedingt“.
Diesem Ziel widmen sich auch fünf Wissenschaftler der Boston University. Sie gründeten unter Leitung von Dr. Barbara Corkey ihre eigene Firma, AdipoGenix. Diese Gruppe arbeitet an einer Pille, die Fettzellen direkt attackiert. Auf diese Weise soll ein Mensch Gewicht „auf Dauer“ verlieren, so Dr. Corkney, „in der Gewissheit, danach nie wieder Gefahr zu laufen, zuzunehmen“. So phantastisch, so unglaublich das klingt: Die bisherigen Forschungsarbeiten der Gruppe haben Johnson&Johnson veranlasst, sich mit 60 Millionen Dollar an dem Projekt zu beteiligen.