Zwischen sieben und acht Millionen Frauen und Männer sind in Deutschland von Inkontinenz betroffen: Sie können entweder ihren Harndrang nicht mehr kontrollieren oder haben eine Schließmuskelschwäche des Afters. Harn- und Stuhlinkontinenz sind in der Öffentlichkeit jedoch häufig noch Tabuthemen. Für bestimmte Patienten mit überaktiver oder unteraktiver Blase sowie mit Stuhlinkontinenz existiert mit der so genannten sakralen Neuromodulation eine etablierte minimal-invasive Therapieoption: Der Beckenboden-Schrittmacher stimuliert mit leichten elektrischen Impulsen gezielt die für die Kontinenz zuständigen Nerven im Beckenbereich (Sakralnerven).
Die Reizblase, auch Dranginkontinenz oder überaktive Blase genannt, ist eine sehr häufige Form der Inkontinenz. Typisches Symptom ist das sehr häufige und starke Bedürfnis, Wasser zu lassen, oft bis zu 20mal am Tag. Der Harndrang setzt dabei fast immer plötzlich ein. Eine überaktive Blase ist meist idiopathisch – also mit nicht geklärter Ursache – und wird durch Faktoren wie etwa psychische Belastungen und hormonelle Veränderungen begünstigt. Sie kann auch neurogene Ursachen (Nervenschädigung) aufgrund von Krankheiten oder Traumata haben. Die Lebensqualität der Betroffenen wird durch eine überaktive Blase deutlich eingeschränkt – und der Tagesablauf durch die nächstverfügbare Toilette bestimmt. Auch soziale Isolation und Partnerschaftsprobleme mit nachfolgender Depression können die Folge sein. Gerade bei älteren Patienten existiert zudem das Risiko von Stürzen mit Verletzungen auf dem übereilten Weg zur Toilette. Trotz der zahlreichen negativen Folgen der überaktiven Blase wenden sich nur circa ein Drittel der Betroffenen an ihren Arzt.
Für die Behandlung der Inkontinenz gibt es keine pauschalen Therapieempfehlungen – die Therapie muss an die Ursache, die Art und das Ausmaß der Beschwerden, aber auch an die jeweilige Lebenssituation angepasst werden. Der Weg eines Patienten mit überaktiver Blase auf der Suche nach einer erfolgreichen Therapie geht jedoch häufig über viele einzelne Stationen und kann länger dauern. Zu der konservativen Therapie gehören in einem ersten Schritt verhaltenstherapeutische Ansätze wie Änderungen des Trinkverhaltens oder die Vermeidung von Reizstoffen wie etwa Nikotin, Kaffee, Pfeffer, Chili, scharfe Gewürze und Zitrusfrüchte. Zusätzlich kann die Verhaltenstherapie auch ein Blasentraining, Beckenbodengymnastik, Biofeedback oder Elektrotherapie beinhalten. Zudem gehört die medikamentöse Behandlung, etwa mit Anticholinergika, zur Standardtherapie bei Dranginkontinenz.
Bleiben diese konservativen oder medikamentösen Therapien erfolglos, können in einem nächsten Schritt Botulinumtoxin A-Injektionen in den Blasenmuskel oder die sakrale Neuromodulation (= Beckenboden-Schrittmacher) vielversprechende Behandlungsalternativen darstellen. Der implantierbare, programmierbare Schrittmacher gibt über eine Elektrode sanfte elektrische Impulse in der Nähe der Sakralnerven ab, um die neuronale Aktivität zwischen Blase (bzw. Darm) und Gehirn zu normalisieren. Dazu wird zunächst eine mehrwöchige Testphase mit externem Schrittmacher durchgeführt, um die Wirksamkeit zu testen und individuell festzustellen, ob der Patient auf die Therapie anspricht. Dies ist bei etwa 80 Prozent der Patienten der Fall.1 Die Verbesserung der Symptome wird durch eine Modulation der Nervenaktivität erreicht, die den Beckenboden, Harntrakt und Darm steuert. Der Beckenboden-Schrittmacher wurde bislang bei mehr als 250.000 Patienten vorwiegend zur Behandlung von funktionellen Beckenbodenstörungen wie überaktiver oder unteraktiver Blase sowie Stuhlinkontinenz eingesetzt. 84 Prozent der behandelten Patienten mit überaktiver Blase bestätigen eine langfristige Verbesserung der symptombedingten Beeinträchtigungen.2 Das Verfahren ist etabliert und wird von den Kassen erstattet.
Harndrang
Blase
Darm
Harninkontinenz
Stuhlinkontinenz