Am 22. Oktober ist Welttag des Stotterns. Die dazu veröffentlichte internationale Erklärung auf das Recht zu stottern stellt unter anderem fest, dass es betroffenen Menschen selbst überlassen werden muss, ob sie Unterstützung, beispielsweise in Form einer logopädischen Therapie, in Anspruch nehmen möchten oder nicht. Die 70 unterzeichnenden Organisationen, darunter die deutsche Bundesvereinigung Stottern & Selbsthilfe, betonen, dass die Behinderung Stottern zur menschlichen Vielfalt beiträgt. Denn noch immer sind stotternde Menschen häufig dem Hohn und Spott ihrer Mitmenschen ausgesetzt und werden, auf Basis von Fehleinschätzungen und Vorurteilen, in Ausbildung und Beruf benachteiligt. Dem muss endlich ein Ende gemacht werden.
Dr. Gerald Maguire, Psychologieprofessor an der University of California in Irvine, hat sich dem Kampf gegen das Stottern verschrieben - weil er selbst darunter gelitten hat. Er weiß deshalb auch aus Erfahrung, wie schwierig es ist, dieses Leiden durch spracherzieherische Mittel, die äußerste Disziplin erfordern, zu bekämpfen. „Eine Pille muss her, ein Medikament”, wurde seine Devise. Sie basiert auf einem Umdenken, das in medizinischen Kreisen inzwischen weitestgehend akzeptiert wird: Stottern ist weniger eine nervös-emotionale, als eine neurologische Erscheinung, die auch genetische Wurzeln haben kann - also vererbt worden sein kann.
Unter der Leitung von Dr. Maguire ist die bisher größte und zeitlich längste Testreihe mit einem Medikament gegen das Stottern abgeschlossen worden - er war selbst unter den „Versuchskaninchen”. Sieben Jahre lang nahm er die von Eli Lilly entwickelte Pille Zyprexa, und jetzt - noch bevor dazu eine wissenschaftliche Studie veröffentlicht wird - erklärte er, seine Sprache sei durch Einnahme des Mittels „beträchtlich verbessert, viel fließender” geworden. Schon acht Wochen nach Beginn einer Testreihe mit Stotterern hatten 55 Prozent von ihnen bedeutende sprachliche Fortschritte gemacht.
Fast jedes Medikament hat Nebenwirkungen, so auch Zyprexa. Es wird mit Diabetes und Gewichtszunahme in Zusammenhang gebracht. Dr. Maguire nahm in den sieben Jahren, die er das Mittel zu sich genommen hat, etwa neun Kilogramm zu. „Aber wer aufs Mittelalter zu geht”, kommentiert er das scherzend, „nimmt sowieso zu - also hätte ich einen Teil dieser neun Kilo auch angesetzt”.
Dr. Maguire hat auch mit anderen Pillen experimentiert, die Stottern beseitigen sollen: Risperdale etwa aus dem Hause Johnson and Johnson oder - die neueste Entwicklung - Pagoclone von Indevus Pharmaceuticals, früher bekannt unter dem Namen Interneuron. Er ist von Pagoclone besonders angetan: „Einige Patienten haben dank der Einnahme des Mittels Arbeitsplätze, die sie sich ersehnt hatten, gefunden und andere wagten sich wieder mehr in die Öffentlichkeit - sie fanden sogar Partner. Es ist, als ob betroffene Menschen ihr Schneckenhaus verlassen”. Testperson Claire Byrne: „Mir ist zweifellos geholfen worden”. Eine andere Frau, die an der Pagoclone-Reihe teilnahm: „Ich fühle mich befreiter und spreche jetzt viel lieber”.
Zu den weltweit prominentesten Stotterern zählten der britische Kriegspremier Churchill, König Georg VI. (der Vater der gerade verstorbenen Queen) und die Schauspielerin Marilyn Monroe. Auch Moses soll gestottert haben. Er schickte deshalb, so die Sage, mitunter seinen Bruder Aron vor, der dann verkündete, was er - Moses - selbst nur schwer verständlich von sich gegeben hätte.
Trotz aller Fortschritte bleibt Stottern ein Problem, sind die genauen Ursachen noch nicht restlos bekannt. In der Regel ist das Sprachzentrum in der linken Hälfte des menschlichen Hirns angesiedelt, bei Stotterern dagegen findet sich ein großer Teil dieser Aktivität in der rechten Hälfte. Es stottern weltweit viermal mehr Männer als Frauen. Einer Schätzung zufolge stottert ein Prozent der Weltbevölkerung. Etwa 50 Prozent der Stotterer können ihr Leiden auf Vererbung zurückführen. Das hat der Genetiker Dennis Drayna ermittelt. Er hat beispielsweise eine prominente Familie von Kamerun genau unter die Lupe genommen. Von 106 Erwachsenen dieser Familie waren 48 Stotterer. DNA-Studien ergaben in diesem Zusammenhang, dass Regionen der Chromosome Eins und Zwölf „Stotter-Gene” beherbergen.