Kalzium, so der Große Brockhaus, „ist eines der 10 am häufigsten vorkommenden Elemente, Atomgewicht 40,08“. Das wohl wusste Großmutter kaum. Warum auch. Sie dachte vielpraktischer: Kalzium war für sie knochenerhaltend, knochenstärkend, knochenaufbauend. Wer Kalzium zu sich nahm, wusste sie, musste weniger Sorgen um seinen Knochenbau haben, zumindest ab einem bestimmten Alter. Dem Vitamin D wurden ebensolche Fähigkeiten zuerkannt. Und jetzt diese schockierende Erkenntnis:
Kalziumpillen sind für die Katz, und Vitamin D hilft in dieser Hinsicht auch nicht.
Das jedenfalls ergab eine Studie, an der in den USA 36 282 gesunde Frauen im Alter zwischen 50 und 79 Jahren teilgenommen haben. Sie nahmen – natürlich mit einer Vergleichsgruppe, der Placebos (unwirksame Scheinmittel) gereicht wurden – über einen Zeitraum von sieben Jahren täglich 1 000 Milligramm Kalzium und 400 IU (International Units) Vitamin D zu sich. Zusätzlich zu jenem Kalzium, das in einer gesunden Nahrung ohnehin enthalten ist.
Die Auswertung dieser Studie ergab zwei überraschende Ergebnisse: Die Frauen, die Kalzium und Vitamin D regelmäßig konsumiert hatten, verzeichneten lediglich einen Zuwachs von einem Prozent ihrer Knochendichte – und das ausschließlich an ihren Hüften. Dafür wurden bei ihnen mehr Nierensteinerkrankungen als bei jener Gruppe festgestellt, die – unbewusst - auf zusätzliches Kalzium und Vitamin D verzichtet hatte.
Amerikanische Osteoporose-Experten nahmen von der Studie, veröffentlicht im angesehenen JAMA-Magazin (New England Journal of Medicine), überrascht Kenntnis – schließlich hatten auch von ihnen viele an Großmutters Weisheiten geglaubt. Auch deutsche Ärzte empfehlen Frauen nach der Menopause die zusätzliche Einnahme von Kalzium.
„Das muss ich jetzt ernstlich in Frage stellen“, äußert sich dazu Amerikas Osteoporose-Fachärztin Dr. Ethel Siris – sie ist sogar Präsidenten der US-Osteoporose-Gesellschaft -, „aber wir Ärzte dachten bisher, zusätzliches Kalzium schadet nicht – warum sollten wir es nicht empfehlen“. Vor allem Molkereiprodukte enthalten Kalzium.
Es schadet doch, ergab die Studie auch, denn in der Gruppe der Frauen, die zusätzlich Kalzium und Vitamin D einnahmen, wurden mehr Fälle von Nierensteinen als in der Vergleichsgruppe festgestellt. Wozu Dr. Siris kommentiert: „Zu viel des Guten ist eben nichts Gutes“.
Wie jede Studie, so hat auch diese unterschiedliche Ansichten hervor gerufen. Dr. Clifford Rosen etwa, anerkannter Osteoporose-Experte am Maine Center, empfiehlt nunmehr „nur Frauen über 70, die zudem nicht genügend Kalzium in ihrer täglichen Nahrung erhalten“, entsprechende Sonderrationen, also Pillen. „Vielleicht hätten noch höhere Dosen von Vitamin D in der Studie verwendet werden sollen“, sagt dagegen Dr. Russel Harris von der Medizinfakultät der University of North Carolina.
Schweres Geschütz gegen Hersteller und Händler von Vitaminen und Kalziumpillen fuhr der Osteoporose-Chef Dr. Joel Finkelstein vom Massachusetts General Hospital in Boston auf: „Kalzium ist der Bestseller unter all diesen Zusätzen“, schrieb er in einem Kommentar zu der Studie, und er nannte den Betrag, der allein in den USA im Jahre 2004 mit Kalziumprodukten erzielt wurde: 993 Millionen Dollar.