In der Notfallmedizin sind Vergiftungsfälle nicht selten. Laut Statistik machen sie fast ein Fünftel aller Notarzteinsätze aus - mit steigender Tendenz. Dennoch sind sie alles andere als Routine, denn das Spektrum der Intoxikationen reicht von eher harmlosen
Reinigungsmitteln bis hin zu akut lebensbedrohenden Giften wie etwa Blausäure oder Phosphorsäureester. Dabei setzt schon die Diagnosestellung häufig detektivischen Spürsinn voraus. Eine Fehlinterpretation der oft ähnlichen Symptome kann weitreichende Folgen haben. Was bei der einen Vergiftung als lebensrettende Maßnahme angezeigt ist, mag bei einer anderen kontraindiziert sein. Umso besser, wenn der Auslöser der Vergiftung eindeutig feststeht oder leicht zu rekonstruieren ist.
Besonders gefährdet sind Kinder im häuslichen Umfeld. Studien, die die Gesundheitsrisiken durch Chemikalien untersucht haben (z. B. des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin BgVV), zeigen, dass unter anderem Lampenöle (Petroleumderivate) und Abflussreiniger erhebliche Risiken für Kinder bergen. Auch Granulat für Geschirrspülmaschinen, Medikamente und Alkohol sind häufiger Auslöser für Notfalleinsätze. Allerdings ist die Mehrzahl der Vergiftungen (90 Prozent) erfreulicherweise eher leichter Natur und zum Beispiel auf den Konsum von Spülmitteln, den Verzehr von Zigarettenkippen oder Kosmetika zurückzuführen. Am gefährdetsten sind Kinder im zweiten und dritten Lebensjahr.
Anders sieht die Situation bei Erwachsenen aus. Zwar sind auch hier rund 25 Prozent der Fälle auf meist weniger schwere Vergiftungen durch Reinigungsmittel zurückzuführen. Aber es häufen sich auch die besonders schweren Vergiftungen. So zum Beispiel durch Insektenbekämpfungsmittel (Phosphorsäureester) oder giftige Lösemitteldämpfe. Zu den Unglücksfällen kommen bei Jugendlichen und Erwachsenen die Vergiftungen, die in selbstmörderischer Absicht erfolgen.
Ein deutschlandweites Netz von Giftnotrufzentralen steht nicht nur Laien, sondern auch Ärztinnen und Ärzten zur Verfügung. Spezialisierte Ärzte und eine umfangreiche Datenbank helfen rund um die Uhr.
Die Bandbreite potentiell gefährlicher Substanzen ist zu groß, um sie in einem kurzen Beitrag vorstellen zu können. Beschrieben werden Reinigungs- und Lösungsmittel , die in der Liste der Chemikalienvergiftungen ganz oben stehen. Die meisten Reinigungsmittel lösen nur milde Vergiftungen aus. Manche scharfen Reinigungsmittel sind aber mit Säuren und oder Laugen versetzt. In diesen Fällen sind Verätzungen häufig. Auch können sich aus diesen Substanzen Reizgase freisetzen. Organische Lösungsmittel finden sich in vielen Kosmetika (z. B. Azeton in Nagellackentferner). Außerdem kommen sie in Lacken und Farben vor. Terpentin oder Benzin werden als Pinselreiniger eingesetzt. Das toxische Potential ist sehr unterschiedlich, in schweren Fällen ist die Ausbildung eines Lungenödems, Kreislaufschock und nervale Störungen möglich.
Einen wichtigen Raum nehmen Alkohol- und Nahrungsmittelvergiftungen ein. Im Notdienst ist die Alkoholvergiftung die am häufigsten auftretende Intoxikation. Bei entsprechender Schwere führen Vergiftungen durch Ethanol und Methanol zu einer Lähmung der Atmung. Unter den Nahrungsmittelvergiftungen ist der Botulismus gefürchtet, der zwar selten auftritt, aber außerordentlich gefährlich ist.
Das Spektrum der Gase reicht vom Kohlendioxid und Kohlenmonoxid über Reizgase und Ammoniak bis hin zum Stickstoffdioxid. Kohlendioxid und Kohlenmonoxid werden (wie häufig auch Blausäure ) unter anderem bei Bränden in Wohnungen freigesetzt. Kohlendioxid ist auch in Feuerlöschern enthalten und kommt in Jauchegruben und Gärkellern vor. Inhalative Intoxikationen von Kohlenmonoxid entstehen bei schlecht abziehenden Öfen.
Auch im häuslichen Bereich werden Pestizide eingesetzt. Zu den giftigen Pflanzenschutz- und Schädlingsbekämpfungsmitteln gehören u. a. Herbizide , Carbamate , Alkylphosphate , Phosphorsäureester und Begasungsmittel. Die Wirkmechanismen und damit auch die toxikologische Symptomatik sind ebenso unterschiedlich wie häufig hoch brisant und lebensbedrohend.
Intoxikationen bilden 20 Prozent aller Notfälle, in 10 Prozent der Fälle ist die Vergiftung schwerwiegend.