Dass Kälte heilsam sein kann, wussten schon die Griechen in der Antike. Ihre Ärzte liessen sich einst das Eis vom Sitz der Götter, dem Olymp, holen, um Patienten damit zu behandeln. Und noch heute werden Verstauchungen, Entzündungen oder Fieber mit dem Hausmittel Kälte erfolgreich behandelt. Man denke nur an die Beule, auf die der Eisbeutel oder der kalte Messerrücken gedrückt wird. Kälte, das ist bekannt, blockiert die köperlichen Reizleitungen.
Dennoch lauscht man anfangs man den Ausführungen des Mediziners Dr. Georg Kettenhuber im AlpenMedHotel Lamm in Seefeld in Tirol ein bisschen ungläubig, als er über die vielfältigen Möglichkeiten der Kryotherapie zu referieren beginnt. Fast hat es ja ein bisschen was von der Anpreisung einer Wundermedizin - wären da nicht die fundierten Aussagen renommierter Kliniken und Ärzte, die positiv über die Heilungsmöglichkeiten der Therapie aus der Kälte berichten.
Die Energieschübe nach einer Kryotherapie werden von Sportärzten fast mit Doping gleichgesetzt, Rheumatologen preisen die Heilwirkung auf alle Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises, vor allem aber bei der schwer heilbaren Fibromylagie (Weichteilrheumatismus), die Patienten einfach überall Schmerzen empfinden lässt und daher äusserst schwer zu therapieren ist. Orthopäden erzählen begeistert, dass verkrampfte Muskulatur wieder gelockert wird, Immunolgen wissen zu berichten, dass die Ganzkörperkältetherapie regulierend in das Immunsystem eingrieft. Dermatologen können Erfolgsgeschichten bei allen entzündlichen Hauterkrankungen erzählen, Lungenfachärzte hingegen wissen von Verbesserungen des Asthma bronchiale. Der Arbeitsmedizinier Prof. Dr. W. Papenfuss aus Schwerin hat herausgefunden, dass die Kryotherapie vor allem „….bei Auto-Immun-Erkrankungen, bei denen körpereigenes Gewebe attackiert wird, eingreift. Die guten Helferzellen des Körpers werden durch die Kälte gefördert, die schlechten blockiert”. Also doch eine Wundertherapie?
Nach so viel positiven Aussagen kann man es eigentlich gar nicht mehr erwarten, endlich selbst diese Erfahrung machen zu dürfen. Im Grund genommen kann sich wohl kaum einer aus unserer Gruppe vorstellen, was -110°C bedeuten. Unsere „Kälte-Erfahrungen” basieren im wesentlichen auf eisigen Temperaturen beim Skifahren, vielleicht ist der ein oder andere schon mal im Freiluftballon über die Alpen geflogen - auch ganz schön kalt, aber in der Regel wird dieses Abenteuer in schützender Thermokleidung angetreten. Arktis- oder Antarktis-Reisen vermitteln sicher auch ein Gefühl von grosser Kälte, die neuerdings beliebten Eishotels präsentieren sich selten kälter als -4°C. Kühlkammern, ja, hat man auch schon mal hineingeschaut während einer Reportage - doch, da war es richtig kalt, immerhin so um die -28°C. Wie soll man also fast unbekleidet -110°C überstehen? In Fischstäbchenqualität schockgefrostet nach drei Minuten? Nein, ehrlich, man kann es sich nicht vorstellen. Dr. Kettenhuber zerstreut unsere Bedenken, weist aber ausführlich darauf hin, dass es bestimmte Ausschlusskriterien (s. unten) zur Ganzkörperkältetherapie gibt.
Erst nachdem Dr. Kettenhuber jedem von uns eigenhändig den Blutdruck gemessen und für in Ordnung befunden hat, dürfen wir den Untersuchungsraum Richtung Kältekammer verlassen. Die nette Assistentin versieht uns mit Mundschutz, Handschuhen und Mütze oder Stirnband. An den Füßen tragen wir unsere eigenen Socken und praktischerweise Turnschuhe (Badeschuhe sind nicht unbedingt geeignet). Wir tänzeln alle im kleinen Raum herum, sprechen uns gegenseitig Mut zu und versuchen, nicht jetzt schon zu frieren. Dann darf die erste Gruppe von drei Personen endlich hinein ins eisige Abenteuer. Die erste der aus drei Sektionen bestehenden Kältekammer ist sozusagen zum Gewöhnen, hier hat es „nur” - 10°, in der zweiten wird es schon ein bisschen frischer mit -60°C und erst in der dritten Kammer heisst es dann -110°C. Jetzt nur nicht stehen bleiben - der Gruppeneffekt ist hier äusserst hilfreich - man will sich ja schließlich nicht total blamieren? Also kaspert man ein bisserl herum, hält die Arme weit von sich und schlägt pinguinartig damit auf und ab. Von aussen müssen wir den Eindruck einer ausser Kontrolle geratenen Versammlung von Ausserirdischen erwecken - bekleidet mit Bikinis, Boxershorts oder Badeanzug, Kniestrümpfen, Socken und äusserst kleidsamem Schuhwerk jeder Machart, Zipfelmützen und Stirnbänder runden die derart modisch gestylte Runde ab - Heidi Klum und Konsorten hätten ihre helle Freude an uns…
Wir sind so damit beschäftigt uns gegenseitig zu versichern, dass es eigentlich gar nicht kalt ist, na ja höchstens ein bisschen, dass wir die Stimme aus dem Off fast nicht mitbekommen: „…. 30 Sekunden vorbei, 1 Minute vorbei, 1 Minute 15….” Doch langsam kriecht die Kälte in uns hinein. „2 Minuten vorbei….” Die ersten fliehen, ich eingeschlossen, denn mittlerweile hat es wenigstens gefühlte -35°C, ganz so als wäre man in einen eisigen Teich gefallen. Ein paar ganz Unerschrockene stehen die maximal erlaubten 3-4 Minuten durch, wobei es gar nicht ratsam ist, dies beim ersten Mal gleich erreichen zu wollen. Aber wir betrachten uns ja mehr als Testobjekte denn als Patienten.
Wieder draussen fühlt man erst mal gar nichts, dann, nach vielleicht 20, 30 Sekunden erfasst den gesamten Körper eine wohlige, fast flauschige Wärme, die Haut rötet sich leicht und fühlt sich wie Samt an.Wie kalter Samt immerhin! Erstaunlicherweise beträgt unsere Hauttemperatur immer noch 8 bzw. 10°C. Plus versteht sich. Und: Mein gerade noch schmerzendes Kreuz ist wie weggeblasen - kein Wunder, vermutet man doch, dass arktische Kälte schmerzmildernde Endorphine im Gehirn freisetzt. Der Arzt Dr. Eberhard Peter berichtet, dass „…bereits nach der ersten Behandlung selbst Patienten mit den größten Schmerzen ihre Gelenke drei bis vier Stunden ohne Schmerzen bewegen können”. Dieser Effekt wird für physiotherapeutische Übungen genutzt, die sich unmittelbar an die Kältebehandlung anschließen sollten. Maximal zweimal täglich darf man die Kältkammer besuchen. Man beginnt in der Regel mit einem Aufenthalt von höchstens 1 ½ Minuten, steigert diesen dann bis auf maximal 4 Minuten. Blutdruckmessung vor und nach Besuch der Kältekammer ist Pflicht.
Ich hülle mich erst mal in meinen angewärmten Bademantel und entschwinde, nach nochmaliger Blutdruckkontrolle, versehen mit einem wärmenden Kräutertee, in den Ruheraum des Hotels, wo ich kurz darauf auf dem Wasserbett treibend, seelig entschlummere….
Tipp: Wer kann sollte stets zusammen mit einem Partner die Kältekammer besuchen. Die Zeit vergeht so schneller - bei meinem zweiten Besuch, allein wohlgemerkt, wurden die 2 Minuten doch kalt gefühlt arg lang!
Der Ganzkörper-Kälteschock blockiert, ähnlich wie ein Eisbeutel, die Schmerzweiterleitung in den Nervenbahnen und verlangsamt die Vermehrung der Entzündungszellen im Blut. Bei Krankengymnastik-Schülerinnen verzeichnete man unmittelbar nach der Kältekammer bei Tests an Kraftgeräten eine Steigerung der Muskelleistung zwischen 3 und 18 Prozent.
Da die typischen Stresshormone wie Adrenalin oder Cortisol während und nach der Behandlung nicht an steigen , können in der Regel auch ältere Menschen, Kinder oder Patienten mit Vorerkrankungen problemlos behandelt werden.
Kosten: Einen Antrag auf Kostenübernahme bei der Krankenkasse sollte man auf jeden Fall stellen. Die Kosten wurden zum Teil ganz oder teilweise übernommen.