Synonyme: Affalter, Donarbesen, Drudenfuß, Geißechrut, Hexennest, Vogelchrut, Vogelmistel, Wintersamen
Wissenschaftlicher Name: Viscum album
Familie: Mistelgewächse (Loranthaceae)
Jetzt sind auch die milchig weißen Beeren zwischen den lanzettlichen, ledrigen Blättern reif, die die Blüte des Vorjahres im März bis April hervorbrachte. Misteln sind zweihäusig. Es gibt also männliche und weibliche Pflanzen. Die Samen der weiblichen Pflanze werden durch Vögel verbreitet. Keimt ein auf einem Baum gelandeter Same, bildet sich zuerst eine Haftscheibe (Haustorium). Nach mehreren Monaten wachsen die so genannten Senker in den Baum hinein, stimmen im Inneren des Stamms die Baumzellen um, die den Senker fortsetzen und eine Verbindung der Mistel zum Leitsystem (quasi dem Ernährungssystem des Baums) zulassen. Die so fest verankerte Mistel kann sich vom Baum ernähren und zu einem Busch von über einem Meter Durchmesser wachsen. Die Anzahl der Verzweigungen verrät das Alter der Mistel: Jede Abzweigung steht für ein Jahr Wachstum.
Portugal bis Iran, Skandinavien bis Sizilien
Viscotoxine, Lektine, Flavonoide, biogene Amine, Schleimstoffe
In der klassischen Heilpflanzenkunde unterstützt die Mistel die Therapie gegen Bluthochdruck und Arthrosen. Zusammen mit Weißdorn stärkt sie das „müde“, geschwächte Herz. Auch bei Schwindelanfällen, epileptischen Zuständen und in der Krebstherapie findet sie ihre Verwendung
Der wissenschaftliche Name Viscum bedeutet „Leim“ und beschreibt die klebrigen Samen. Der Name „Mistel“ leitet sich wahrscheinlich von „Mist“ ab, da die Samen durch Vogelmist verbreitet werden.
Bis in das fünfte vorchristliche Jahrhundert läßt sich die medizinische Verwendung der Mistel zurückverfolgen. Plinius berichtete im ersten Jahrhundert nach Christus vom Einsatz der Mistel gegen Fallsucht und Schwindelanfälle. Dieses Wissen wurde von Hieronymus Bock (1498-1554) sowie P.A. Matthiolus (1501-1577) weitertradiert und ergänzt durch die Anwendung von Mistelsalbe bei Geschwüren und eitrigen Wunden. Pfarrer Kneipp stillte mit der Mistel Blutflüsse und behandelte Störungen im Blutumlauf.
In den alten Mythen wurde die Mistel wie ein Heiligtum verehrt. Ihr befremdlicher Sitz in hohen Baumwipfeln ließen den Glauben entstehen, Götter hätten ihren Samen ausgestreut. Wer im Besitz der Mistel war, konnte Schmerzen lindern, Kranke heilen, Schätze aufspüren, und dem wurden alle Wünsche erfüllt. In alten Darstellungen sind Mistelzweige in der Hand von Göttern, Medizinmännern, Priestern, Feldherren und Königen zu finden.
Die Druidenpriester der Kelten zogen im Winter bei zunehmendem Mond in den Wald zu den misteltragenden Eichen, um dort ihr Gebet und Opfer zu verrichten. In weiße Gewänder gehüllt stiegen sie in die mächtigen Kronen und schnitten mit goldenen Sicheln die Mistelzweige, die Helfer mit weißen Tüchern auffingen. Nie durfte die Mistel die Erde berühren.
Im nordischen Baldur-Mythos wird die Mistel zur tödlichen Waffe. Baldur, Lieblingssohn der Götter und Menschen, träumt, daß ihm ein Unglück widerfährt. Seine Mutter Freya will diesen Traum abwenden, indem sie von allen Wesen den Schwur erbittet, ihrem Sohn kein Leid zuzufügen. Dass alle den Schwur ablegen, wird in einem großen Fest gefeiert, während dem jeder fröhlich Baldur bewirft, um zu beweisen, dass diesen nichts mehr verwunden kann. Nur Loki, Baldurs Bruder, ist von Neid gepackt und befragt verkleidet Freya, ob wirklich alle Wesen den Schwur abgelegt haben. Sie erwidert, dass nur ein Wesen ihr zu jung für den Schwur erschien: die Mistel.
Daraufhin entschwindet Loki, eine Mistel zu suchen. Mit der Pflanze kommt er auf das Fest zurück und gesellt sich zum blinden Hödur. Er überredet ihn, ebenfalls Baldur zu bewerfen und drückt ihm dafür die Mistel in die Hand. Gelenkt von Loki wirft Hödur die Mistel und trifft Baldur tödlich.
Heute noch übliche Bräuche um die Mistel sind meist auf frühere Verehrungen zurückzuführen. Aus England stammt der Brauch, in der Weihnachtszeit einen Mistelzweig über die Türe zu hängen. Jede Dame, die sich unter dieser Türe befindet, darf geküsst werden.
Als altes Fruchtbarkeitssymbol ist die Mistel in vielen Ländern zu finden, zum Beispiel in Frankreich und selbst in Japan. In manchen Gegenden der Schweiz trägt die Braut am Hochzeitstag Mistelzweige mit im Kranz.
Sogar Feuer und Blitzeinschlag soll die Mistel erfolgreich abwehren und Feuersbrünste löschen können.
Die Kirche bediente sich der Mistel gegen Besessenheit und schnitzte aus diesem Grund Rosenkränze und Kruzifixe aus ihrem Holz.
Pflanzen entwickeln sich in Polaritäten wie Licht und Dunkel, Leichte und Schwere, Bewegung und Ruhe. Der grüne, nach oben strebende Spross zeigt seine Beziehung zu Licht, Leichte und Bewegung. Die Wurzel dagegen wendet sich dem Dunklen, Schweren, der Ruhe zu. Der Mistel scheinen diese Polaritäten zu fehlen, da sie weder einen nach oben strebenden Sproß noch eine ins Erdreich wachsende Wurzel besitzt. Kugelig, in Blatt und Krone wenig differenziert, ständig grün und wenig verholzt, geradezu embryonal scheint ihr Wachstum gehemmt, in sich zu verharren.
Vielleicht deshalb nannte Goethe die Mistel „das Kind unter den Pflanzen“. Doch auch die Mistel lebt in Polaritäten, die bei ihr im Innern wirken in Form ihrer Inhaltsstoffe Viscotoxin und Mistellektin:
Auch in den Pflanzenteilen spiegeln sich diese Polaritäten wider. Das „lichte“ Viscotoxin ist vermehrt in Blatt und Stängel, das „dunkle“ Mistellektin vermehrt in den Beeren zu finden, die sich nur im Winter ausbilden. Die Mistel wird für Präparate zur Krebstherapie deshalb zweimal im Jahr geerntet: einmal im Juni und einmal im Dezember. Die aus den beiden Mistelernten gewonnenen Säfte haben unterschiedliche Viscotoxin- und Mistellektinanteile und werden unterschiedlich weiterverarbeitet, wobei jeweils die gegenteilige Polarität verstärkt wird: Der Wintersaft wird aus dem Zentrum in die Leichte geschleudert, den Sommersaft lässt man tropfenweise in die Schwere, in das Zentrum des Wintersaftwirbels fallen. Beide Säfte gemischt ergeben ein Arzneimittel, das dem Patienten hilft, innere Ungleichgewichte wieder zu ordnen und so wieder eine Kraft aus der eigenen Mitte heraus zu gewinnen.