Der Boom der Pflanzenheilkunde ist zugleich auch eine Gefahr für den Naturschutz und bedroht die Vielfalt der Heilpflanzen. Zu den gefährdeten Heilpflanzen gehören chinesische Kräuter wie auch ayurvedische Heilpflanzen und ebenso einige bekannte europäische Medizinalpflanzen wie etwa Arnika. Deutschland ist eine Drehscheibe für den europäischen Handel mit Arzneipflanzen und importiert jährlich 50.000 Tonnen Heilpflanzen zur Herstellung von Medizin und Kosmetik.
Naturheilverfahren gewinnen weltweit an Bedeutung. Doch der Boom der Pflanzenheilkunde birgt auch eine Gefahr: Die Vielfalt der Heilpflanzen ist gefährdet. Wie können sie geschützt werden?
Ginseng , die uralte asiatische Heilpflanze, steht seit kurzem auf der “roten Liste” der Pflanzenarten, die vom Aussterben bedroht sind. Apotheken und Kräuterläden in aller Welt bieten tausenderlei Variationen von Ginseng-Pillen und -Säften an, doch wild wachsende Ginsengpflanzen sind selten geworden. So selten, dass Händler in Asien für besonders schöne Ginsengwurzeln astronomische Preise zahlen - zwanzig mal so viel wie für reines Gold.
Besorgt sind auch Ayurveda-Mediziner in Sri Lanka: “Manche Heilpflanzen sind kaum noch zu finden oder sie werden von den Exportfirmen aufgekauft”, berichtet Wikrama Singha, Hersteller von ayurvedischen Heilmitteln in Colombo. Je mehr Ayurveda-Produkte ins Ausland exportiert werden, desto schwerer haben es die Naturheilkunde-Ärzte auf der Tropeninsel, einheimische Heilpflanzen für die alltägliche Versorgung ihrer Patienten zu bekommen.
In Europa gibt es ähnliche Erfahrungen. Arnika zum Beispiel, vielfach zur Förderung von Wundheilung verwendet, ist an vielen Standorten selten geworden. “Im Südschwarzwald kam die Arnika früher sehr häufig vor. Aber mittlerweile gibt es dort keinen richtig guten Bestand mehr”, berichten süddeutsche Pflanzenexperten. “Viele Wiesen, auf denen früher Arnika wuchs, werden heute künstlich gedüngt. Für die Arnikapflanze, die kalkarmen Untergrund liebt, ist das der Tod.” Außerdem wird zuviel gesammelt. 50.000 Kilogramm getrockneter Arnikablüten werden jährlich in Deutschland verarbeitet, vor allem für Wundmittel und Massageöle.
Die Gefährdung von Heilpflanzen ist kein nationales Problem. Sie überschreitet alle Ländergrenzen. Weltweit werden etwa 50.000 verschiedene Pflanzenarten für medizinische Zwecke benutzt. Der Gesamtumsatz mit Pflanzenheilmitteln wird auf 15 Milliarden US-Dollar geschätzt. Dabei nehmen die USA, Japan, Deutschland und Frankreich Spitzenplätze ein. Deutschland gilt als Drehscheibe für den europäischen Handel mit Arzneipflanzen. Jährlich werden nach Angaben von Dr. Dagmar Lange, Sachverständige für Heilpflanzen nach dem Bundesnaturschutzgesetz, über 50.000 Tonnen Heilpflanzen nach Deutschland importiert - darunter chinesische und indische Heilkräuter wie auch große Mengen Heilpflanzen, die in Albanien, Bulgarien, der Türkei und Polen gesammelt werden.
Die Nachfrage steigt stetig: Fünf Milliarden Menschen, also rund 80 Prozent der Weltbevölkerung, so schätzt die Weltgesundheitsorganisation WHO, nutzen Heilpflanzen. Für die Bevölkerung in den Entwicklungsländern sind Naturheilmittel oft die einzige Form von medizinischer Versorgung. In den Industrienationen steigt ebenfalls die Nachfrage nach sanfter Medizin und Arzneimitteln mit natürlichen Wirkstoffen.
Die Weltgesundheitsorganisation will Naturheilkunde und alternative Medizin weltweit unterstützen. Die Naturheilmethoden seien von größter Bedeutung, hat die WHO kürzlich in einem “globalen Strategieplan zur Förderung der traditionellen und alternativen Medizin” festgehalten. Sie fordert alle 190 Mitgliedsstaaten auf, sich für die Förderung der Naturheilkunde einzusetzen.
Der steigende Verbrauch macht aber deutlich, dass die “Apotheke der Natur” nicht**** unbegrenzt liefern kann. Etwa ein Zehntel der medizinisch genutzten Pflanzen gelten als gefährdet. Wenn Pflanzenarten aussterben, gehen mögliche Heilquellen für immer verloren. Besonders die tropische Flora gilt für westliche Wissenschaft und Pharmazie noch als unerforschte Schatzkammer für die künftige Entwicklung von Medikamenten. In diesem Zusammenhang weist die WHO auf den Wert der Natur- und Pflanzenheilmittel als bedeutendes Gut für die gesamte Menschheit hin. Ein Viertel aller modernen Arzneimittel sind nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation aus Pflanzen entwickelt worden, die zuerst in der traditionellen Medizin verwandt worden sind.
Weltweite Anstrengungen zum Schutz der Pflanzenvielfalt werden immer wichtiger. Das internationale Artenschutzabkommen (CITES), das von fast allen Ländern unterstützt wird, stellt immerhin 5.000 Tier- und 25.000 Pflanzenarten unter Schutz. Als Hauptprobleme gelten die Umweltzerstörung, die Verkleinerung der natürlichen Lebensräume und die übermäßige Nutzung der wild wachsenden Heilpflanzenbestände.
“Ö kologisch nachhaltig wäre es, wenn nur so viel geerntet wird, wie nachwächst”, betont Susanne Honnef von der Umweltorganisation World Wide Fund For Nature, Rebstöcker Straße 55, 60326 Frankfurt, Tel. 069/791440. Die Organisation mit dem schwarzweißen Panda-Markenzeichen hat in Deutschland die Initiative “Medizin und Artenschutz” gestartet. SECURVITA - als Krankenversicherung mit besonderem Engagement für Naturheilkunde - hat die WWF-Initiative von Anfang an unterstützt, um auf die Gefährdung von Heilpflanzen aufmerksam zu machen und den Schutz zu verbessern. Weitere Unterstützer sind das Berliner Entwicklungshilfeministerium, das Bundesamt für Naturschutz, der Kneippbund und engagierte Unternehmen wie zum Beispiel die Arzneihersteller Weleda, Wala und Madaus.
“Es geht bei der Initiative ‘Medizin und Artenschutz’ nicht um den totalen Schutz der Pflanzen. Auch soziale Belange und traditionelle Rechte der Bevölkerung müssen berücksichtigt werden”, betont Susanne Honnef vom WWF. “Häufig kann eine kontrollierte Nutzung der wild wachsenden Bestände durch behutsames, fachgerechtes Sammeln die beste Lösung sein. Wir wollen Naturheilkunde und Artenschutz so verknüpfen, dass die natürlichen Ressourcen auch für zukünftige Generationen gesichert werden.”
Ein positiver Beitrag dazu ist der gezielte Anbau von Heilpflanzen, wie zum Beispiel im Wala-Heilpflanzengarten in Bad Boll. Über 150 Heilpflanzenarten von Alraune über Johanniskraut und Sonnenhut (Echinacea) bis zur Zaubernuss (Hamamelis) werden auf fünf Hektar am Rande der Schwäbischen Alb biologisch-dynamisch angebaut.
Für homöopathische und anthroposophische Medizin werden vergleichsweise geringe Mengen an Arzneipflanzen benötigt, dafür aber in besonders reiner Qualität. “Mit den Blättern, Wurzeln, Blüten und Früchten aus dem Heilpflanzengarten können wir den überwiegenden Anteil des pflanzlichen Rohstoffbedarfs für unsere 1.000 verschiedenen Arzneimittel decken”, berichtet Wala-Sprecherin Julia Richter.
Auch Weleda in Schwäbisch Gmünd, Hersteller anthroposophischer Arzneimittel und Naturkosmetik, leistet sich einen eigenen Heilpflanzengarten. Er liefert jährlich eine Ernte von insgesamt 16 Tonnen frischer Pflanzen. Weitere Rohstoffe kauft Weleda durch Vertragspartnerschaften in aller Welt zu, insbesondere für die Produktion von Naturkosmetika. “Der Garten liefert uns nicht nur Frischpflanzen. Er dient auch der Fortbildung. Und er gewährleistet, dass wir mit der Natur in engem Kontakt bleiben”, erklärt Michael Straub, der den Heilpflanzenanbau leitet und mit dem WWF im Projekt “Medizin und Artenschutz” eng zusammenarbeitet.
” Unter den rund 5.000 Heilpflanzen, die wir in der chinesischen Medizin kennen, ist Ginseng eine der stärksten und vielseitigsten”, sagt Professor Lin Yue, Leiter des “An Zhen”-Gesundheitszentrums in Peking. Die Ginsengwurzel steht im Ruf, das Immunsystem zu stärken, den Herzmuskel anzuregen und Menstruations- und Wechseljahresbeschwerden zu lindern. Ginsengmedikamente werden rund um den Globus vermarktet. Der größte Teil des weltweiten Bedarfs kann durch gezielten Anbau gedeckt werden. Doch es gibt Kundenkreise, die der Wildpflanze nach wie vor eine höhere Heilwirkung zuschreiben und dafür horrende Preise bieten. Die Berühmtheit der Pflanze ist zugleich eine Bedrohung: Wild wachsender Ginseng (entfernt mit dem Efeu verwandt) gehört zu den am meisten bedrohten Heilpflanzenarten. Internationaler Handel ist nur noch mit spezieller Genehmigung erlaubt. Die heilende Wurzel könnte bald ausgestorben sein, wenn dem Raubbau nicht ein Riegel vorgeschoben wird.
Wurzeln, Blätter und die gelben Blüten der Arnika (auch Wolfsauge genannt) werden für eine Reihe von Arzneimitteln verwendet - zur äußerlichen Anwendung als Tinkturen und Salben, innerlich als Tropfen und homöopathische Kügelchen. Die besonderen Eigenschaften der Arnika gegen Entzündungen und zur Wundheilung waren schon Hildegard von Bingen im 12. Jahrhundert bekannt. Arnika wächst vornehmlich auf mageren kalk-armen Wiesen. Früher wurden die Blüten oder auch ganze Pflanzen in großer Fülle auf den Bergwiesen in den Alpen, den Pyrenäen, im französischen Zentralmassiv ebenso wie im Schwarzwald und in den Vogesen gefunden. Moderne Landwirtschaft und Übernutzung haben die Arnika stark zurückgedrängt. Für Arzneimittel wird die Arnika montana zum Teil aus besonders gepflegten Wildwuchsbeständen geerntet, aber auch in Heilpflanzengärten kultiviert. Kosmetikhersteller weichen heute zum Teil auf andere Arnika-Arten aus.
Die stachelige Teufelskralle (Harpagophytum spp.) ist im südlichen Afrika zu Hause. Ein Wirkstoff aus den getrockneten Nebenwurzeln hilft gegen Schmerzen, zum Beispiel bei Rheuma. Wegen der guten Verträglichkeit steigt die Nachfrage nach diversen Teufelskralle-Produkten auch in deutschen Apotheken und Reformhäusern. Im südlichen Afrika wird die Pflanze nach Angaben von Naturschützern an vielen Orten rücksichtslos abgeerntet. Zugleich werden aber auch schonende Erntemethoden erprobt: Wird nicht die ganze Pflanze aus dem Boden gezogen, sondern nur die Nebenwurzel entnommen, können die Pflanzen sich aus eigener Kraft regenerieren und weiter vermehren.
Die Schlüsselblume (Primula veris/Primula elatior) ist als Wiesenblume bekannt. In Deutschland steht sie unter Naturschutz. Sie dient als Heilpflanze gegen Atemwegserkrankungen und wird für Arzneien und Tees verarbeitet. Zu diesem Zweck werden große Mengen aus der Türkei und anderen Ländern Südosteuropas importiert. Dort werden die Pflanzen wild gesammelt und ganze Bestände, so ist zu befürchten, nach und nach vernichtet. Ein industrieller Anbau der Pflanzen ist nach Einschätzung von Naturschutzexperten keine Alternative. Eine Kontrolle der Wildsammlung wäre wohl die wirkungsvollste und gleichzeitig sozial verträglichste Schutzmaßnahme für die Schlüsselblume: Der Natur darf nur so viel entnommen werden, wie auch nachwachsen kann.