Birgit H. aus Bochum leidet an Multipler Sklerose, und daraus macht sie kein Geheimnis. Im Gegenteil: Sie hat ihre Erkrankung akzeptiert und führt ein möglichst aktives Leben. Bis bei der heute 39-Jährigen jedoch vor 8 Jahren die Multiple Sklerose endgültig diagnostiziert wurde, ist einige Zeit vergangen.
Heute weiß ich, dass bereits im Jahr 1992 bei mir erste Symptome einer Multiplen Sklerose aufgetreten sind. Damals war ich jedoch noch vollkommen unwissend. Ich hatte beim Gehen plötzlich Probleme: Ich zog mein Bein hinterher, was ich mir nicht erklären konnte. Daher entschloss ich mich, einen Orthopäden aufzusuchen. Um einen Bandscheibenvorfall, wie ich dies vermutet hatte, handelte es sich jedoch nicht, und auch ansonsten konnte nichts festgestellt werden. Deshalb wurde ich zu einem Neurologen in die Klinik Oberhausen überwiesen. Nach zahlreichen Tests wurde mir hier gesagt, dass es sich sicherlich um eine Nervenschädigung handeln würde, die sich jedoch ohne Therapie wieder bessern würde. Von Multipler Sklerose war zu diesem Zeitpunkt noch keine Rede. Aber der Neurologe sollte Recht behalten: Meinen Beinen ging es relativ schnell wieder besser, d.h. ich konnte wieder normal gehen. Ich war beruhigt– bis zum Juni 1996.
Mein Mann und ich verbrachten gerade unsere Flitterwochen in Kanada. Mit dem Auto machten wir eine Rundreise durch das Land. Als ich nach einigen Tagen plötzlich nicht mehr laufen konnte, führte ich dies zunächst auf das lange Sitzen im Auto zurück. Doch es wurde immer schlimmer, so dass ich nach anstrengender und mühevoller Heimreise zu Hause von meinem Orthopäden sofort zu gründlichen Untersuchungen zum Neurologen und von dort ins Krankenhaus überwiesen wurde. Ich selbst sprach die Ärzte dort auf die Möglichkeit einer MS-Erkrankung an. Das ist sicherlich nicht der übliche Weg, doch als Ökotrophologin hatte ich bereits in zahlreichen medizinischen Büchern nach Ursachen für meine motorischen Störungen beim Gehen gesucht. Dabei war ich auf das Krankheitsbild der Multiplen Sklerose gestoßen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich jedoch noch nie Kontakt mit MS-Betroffenen gehabt. Nachdem ich meinen Verdacht geäußert hatte, reagierten die Ärzte sofort und ich wurde umgehend in eine Bochumer Klinik überwiesen. Hier wurden alle typischen neurologischen Untersuchungen wie Kernspin, Lumbalpunktion etc. bei mir durchgeführt. Dabei fühlte ich mich wirklich schlecht: Die Unsicherheit, eventuell an der Multiplen Sklerose erkrankt zu sein und die anstrengenden Untersuchungen taten ihr Übriges. Die endgültige Diagnose MS wurde mir dann im Vorbeigehen vom behandelnden Arzt auf dem Flur mitgeteilt: „Ja, Sie haben eine schubförmige Form der MS“. Sicherlich nicht der charmanteste Weg der Mitteilung einer Diagnose. Der Arzt besorgte mir dann aber Fachliteratur, in die ich mich sofort vertiefte. Er bot mir an, ihn jederzeit mit Fragen zu löchern. Ein Satz des Arztes blieb mir insbesondere im Ohr: „An MS erkrankt zu sein, bedeutet nicht automatisch, dass alle Betroffenen einen Rollstuhl benutzen müssen“.
Es war an der Zeit, auch meine Verwandtschaft über meine Erkrankung zu informieren. Mein Mann reagierte großartig und unterstützte mich in jeglicher Form. Dennoch – wir waren frisch verheiratet und die Diagnose MS stellte unsere Beziehung auf eine erste Probe. Halb im Spaß, halb im Ernst haben wir auch über die Möglichkeit einer Trennung gesprochen. Aber davon war ja Gott sei Dank keine Rede. Auch meine Verwandten unterstützten mich, wo sie nur konnten. Es war jedoch nicht wirklich einfach, ihnen klarzumachen, was MS ist und für mein weiteres Leben bedeuten würde. Insbesondere für meine Schwiegereltern war meine Erkrankung ein Schock: Mein Schwager war erst 3 Monate zuvor an einem Hirntumor verstorben. Auf Mitleid wollte ich jedoch auf keinen Fall angewiesen sein, das war und ist mir auch heute noch ganz wichtig. Ich selbst musste nun lernen, mit der Diagnose MS positiv umzugehen. Leider gab es im Krankenhaus keinen Psychologen, der mir hätte helfen können. Ich wandte mich deshalb an die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG), die mir eine persönliche Einzelberatung vermittelte. Die Tatsache, dass das Gespräch ein MS-Betroffener mit mir führte, bei dem bereits vor über 17 Jahren die Diagnose gestellt worden war und dem es körperlich und kognitiv immer noch gut ging, war für mich eine wirkliche Erleichterung. Ich lernte, meine Multiple Sklerose zu akzeptieren. Dass mir meine Umwelt jedoch leider nicht immer Akzeptanz entgegenbringt, sollte ich schon bald merken. Bis zu meiner Diagnose MS hatte ich mitten im Berufsleben gestanden: Ich arbeitete als Hauswirtschaftsleiterin in der Behindertenwerkstatt einer sozialen Einrichtung. Eine interessante, aber anstrengende Arbeit, die mich sehr ausfüllte. Als ich meinen Arbeitgeber nun über meine Erkrankung informierte, wollte mich dieser umgehend entlassen. Ich war über diese Reaktion sehr geschockt und entschied mich, vor ein Arbeitsgericht zu gehen - und ich bekam Recht. Wie ich dafür auch noch die Kraft gefunden habe? Wenn ich mich für eine Sache einsetzen kann und dann auch noch ein Erfolgserlebnis habe, dann geht es mir besser – dies kennzeichnet auch jetzt noch den Umgang mit meiner Erkrankung. Leider erlitt ich dann im Jahr 1998 einen erneuten Schub, der zu einer bleibenden Bewegungsunfähigkeit sowie starken Konzentrationsstörungen führte, so dass ich berentet werden musste.
Heute führe ich dennoch ein ausgefülltes und zufriedenes Leben. Ich bin in der DMSG nun selbst als Beraterin für andere MS-Betroffene tätig. Ich versuche, ihnen zu vermitteln: „Das Leben ist mit der Diagnose MS nicht zu Ende. Sich in den eigenen vier Wänden zu verkriechen und von den Angehörigen bemitleiden zu lassen, bringt einen nicht weiter“. So engagiere ich mich auch für die Rollstuhltanzgruppe MTG Essen-Horst, in der ich nicht nur mit meinem Mann tanze, sondern auch die anderen Paare als Übungsleiterin trainiere. Das macht viel Spaß. Unsere Tanzgruppe nimmt auch regelmäßig an Wettkämpfen teil und tritt bei größeren Veranstaltungen auf. Mit meinem Hund absolviere ich derzeit eine Hundeausbildung – kurz: meine Tage sind mehr als ausgefüllt. Dabei achte ich darauf, dass ich mir in regelmäßigen, zeitlichen Abständen Ruhepausen gönne. Es ist klar, dass MS-Betroffene schneller ermüden, aber jeder kann lernen, seine Kräfte einzuschätzen, sich diese einzuteilen und so trotz MS ein aktives Leben zu führen.
Infos: www.mscollege.de