Früherkennung vorantreiben und Folgeschäden vermeiden – diese Schlagworte bestimmten daher auch das 50. Grünwalder Gespräch , bei dem führende Diabetologen zu Wort kamen. Denn… „gerade bei den 30- bis 40-Jährigen hat die Häufigkeit von Typ-2-Diabetes nach neuesten Werten um 70 % zugenommen “, so Dr. Heidemarie Abrahamian, Oberärztin an der III. Medizinischen Abteilung des Krankenhauses Wien-Hietzing.
Die Gründe für den rasanten Anstieg kennen die Mediziner: mangelnde körperliche Bewegung, ungesunde Ernährung, zunehmende Gewichtsprobleme und eine entsprechende genetische Disposition, denn gerade Diabetes vom Typ 2 wird zu einem großen Prozentsatz vererbt. Dennoch muss man sich nicht etwa in sein Schicksal ergeben: Eine Änderung des persönlichen Lebensstils kann den Ausbruch der Krankheit verhindern oder zumindest um Jahre hinauszögern. Und so brachte Prof. Hellmut Mehnert vom Institut für Diabetesforschung am Klinikum Schwabing die Probleme auf den Punkt: „Die Personenwaage ist wichtiger als die Küchenwaage.“ Schon in der Schule solle mit einer entsprechenden Gesundheitserziehung begonnen werden, forderte er. Besonders dem Bewegungsmangel bei Kindern und Jugendlichen müsse entgegengewirkt werden.
Nicht nur die Prävention, auch die Früherkennung des Diabetes ist von großer Bedeutung, denn so lassen sich gravierende Folgeschäden vermeiden. „Noch bevor sich das Vollbild des Typ-2-Diabetes manifestiert, steigt das Risiko vor allem für makrovaskuläre Folgeschäden signifikant an“, betonte Prof. Petra-Maria Schumm-Draeger, Chefärztin der 3. Medizinischen Abteilung des Klinikums Bogenhausen in München. Eine gestörte Glucosetoleranz muss als Alarmzeichen angesehen werden. Bereits in der frühen Phase der Entwicklung eines Typ-2-Diabetes arbeiten die insulinproduzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse nicht richtig. Ihre Stimulation durch die Nahrungsaufnahme und die nachfolgende rasche Insulinausschüttung sind deutlich herabgesetzt oder sogar ganz verloren gegangen. Dadurch kommt es besonders nach den Mahlzeiten (postprandial) zu einem starken Glucoseanstieg im Blut. „Der Nüchternzucker bewegt sich dabei oft noch im normalen Bereich“, erklärt Schumm-Draeger. Gerade die postprandialen Glucosespitzen stellen ein hohes Risiko für Gefäßschädigungen dar. So können in der Folge beispielsweise ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall, ein diabetischer Fuß oder eine Netzhautschädigung am Auge auftreten.
Diese hohen Blutzuckerwerte nach den Mahlzeiten lassen sich mit den üblichen Messmethoden oft nicht nachweisen. „Drei Messungen am Tag zeigen ein falsches Bild“, so die Expertin Abrahamian. Mit dem Blutglucosesensor, einem Messgerät, das über einen Zeitraum von 72 Stunden in Abständen von 5 Minuten den Blutzuckerwert ermittelt und aufzeichnet, können jedoch genaue Aussagen gemacht werden. So konnte sie zeigen, wie sich die therapeutische Gabe von Nateglinide (Starlix®, Merck Pharma GmbH) auf die postprandialen Blutzuckerspitzen bei Typ-2-Diabetikern auswirkt. Die Studie ergab eine deutliche Senkung der gefährlichen Spitzenwerte nach dem Essen, aber auch eine Reduzierung des Nüchternblutzuckers und der nächtlichen Blutzuckerwerte. Ob Nateglinide auch schon in der Prävention bei einer gestörten Glucosetoleranz eingesetzt werden sollte, wird zur Zeit in einer weltweiten Studie untersucht.
Bei einem neu diagnostizierten Diabetes vom Typ 2 sollte zunächst mit einer Umstellung der Lebensführung versucht werden, den Zuckerstoffwechsel wieder in den Griff zu bekommen. Richtige Ernährung, Gewichtsreduktion und vermehrte Bewegung können schon viel bewirken. Doch wenn dieses Ziel nach drei Monaten nicht erreicht wurde, sollte nach Meinung der Experten nicht länger gezögert und ein erstes orales Antidiabetikum eingesetzt werden. Bei Typ-2-Diabetikern mit Übergewicht ist Metformin (Glucophage®, Merck Pharma GmbH) das Mittel der ersten Wahl. Es ist nach Meinung von Schumm-Draeger bestens geeignet, um die Stoffwechselsituation in diesem Patientenkreis verlässlich zu stabilisieren. Sollte dennoch die Blutzuckereinstellung trotz Dosisoptimierung unzureichend sein, muss der Einstieg in die Kombinationstherapie erfolgen. „Prinzipiell sollte bei der Wahl der Antidiabetika auf komplementäre Wirkmechanismen geachtet werden“, betonte die Medizinerin. Dies ist zum Beispiel bei der Kombination von Metformin mit Nateglinide der Fall und führt somit zu einer signifikant verbesserten Stoffwechsellage, wie zahlreiche Studien gezeigt haben.
„Gut eingestellte Diabetiker haben weniger Folgeschäden und die sind im Augenblick die Hauptkostentreiber in der Diabetologie“, führte Prof. Mehnert aus. Kardiovaskuläre Erkrankungen, Nierenschäden, Erblindungen, Amputationen – harte Schicksale für die Betroffenen, die mit einer optimalen, großflächigen Versorgung der Patienten durch den Hausarzt, durch Schwerpunktpraxen und Kliniken größtenteils verhindert werden könnten.