“Warum wird der Blutzucker noch immer vorwiegend morgens bei nüchternem Magen gemessen?” So fragte kürzlich Prof. Jaakko Tuomilehto aus Finnland dem Diabetes-Kongress in Dresden. Er stellte eine Studie vor, die zeigt, dass gerade die Blutzuckerwerte nach dem Essen wichtig sind. Sie geben nicht nur Auskunft darüber, ob ein Diabetiker seinen Diabetes gut im Griff hat. Sie weisen auch auf das Risiko für die gefürchteten Folgekrankheiten hin, zum Beispiel Herzinfarkt oder Schlaganfall. Sogar bei Menschen, die noch keinen Diabetes haben, lassen erhöhte Blutzuckerwerte nach dem Essen auf ein erhöhtes Risiko für Diabetes und Herzkreislauf-Krankheiten schließen. Deshalb forderten Diabetes-Experten in Dresden, dass die Blutzuckerspitzen nach dem Essen mehr beachtet werden sollten.
Noch bis vor kurzem wurde dem Phänomen des erhöhten Blutzuckeranstiegs nach dem Essen - den sogenannten mahlzeitenbezogenen Blutzuckerspitzen - nur wenig Bedeutung beigemessen. Als entscheidend für eine gute Stoffwechseleinstellung bei Diabetikern galt vor allem der Nüchternblutzucker. Nach neuesten Erkenntnissen ist jedoch der Blutzuckerwert nach dem Essen noch wichtiger bezüglich der Prognose der Erkrankung. Im Gegensatz zum Nüchternblutzucker schädigen nämlich schon kurzzeitige Blutzuckerspitzen nach dem Essen die Gefäße nachhaltig, tragen zur Verkalkung der Arterien bei und führen so zu einem erhöhten Risiko für Herzinfarkt oder Schlaganfall. Deshalb werden auch die neuen Behandlungsstrategien immer wichtiger, die eine mahlzeitenbezogene Therapie ermöglichen. Das ist gerade für Typ 2 Diabetiker wesentlich, weil bei
ihnen die erste, schnelle Phase der körpereigenen Insulinausschüttung die zum Essen benötigt wird, gestört ist. Ihre Insulinantwort kommt zu spät und der Blutzucker steigt nach einer Mahlzeit unverhältnismäßig an. Um die Insulinantwort so natürlich wie möglich zu erreichen, können sie entweder direkt zum Essen eine Diabetes-Tablette einnehmen, die die Insulinausschüttung anregt, oder sich ein schnell wirksames Insulin spritzen - beides kappt die schädlichen Blutzuckerspitzen erfolgreich und wirkt so ganz ähnlich wie die natürliche Insulinreaktion eines gesunden Menschen…
Nüchternblutzucker klärt nur auf über den frühen Morgen und erweist sich oft nicht als ausreichend aussagekräftig. Liegt er bei Diabetikern zwischen 90 und 126 mg/dl bzw. 5 und 7 mmol/l, sind sie meist zufrieden. Was aber ist mit dem Blutzucker nach dem Essen? Wird dieser Wert nur hin und wieder gemessen, ist die Überraschung oft groß: Denn er kann leicht doppelt so hoch ausfallen wie der regelmäßig gemessene Nüchternwert! Das ist eigentlich auch ganz logisch: Wirklich nüchtern ist der Mensch nur in der zweiten Nachthälfte. Den restlichen Tag ist der Organismus fast durchgängig damit beschäftigt, aufgenommene Nahrung zu verwerten. Kein Wunder: Wir essen ja auch nicht nur einmal Tag!