Über die Vielschichtigkeit dieser Krankheit befrugen wir Privatdozent Dr. med. Konrad J. Werhahn von der Neurologischen Universitätsklinik in Mainz.
Eine Epilepsie greift tief in das Leben der betroffenen Patienten und ihrer Angehörigen ein. Unkenntnis und Vorurteile in der Bevölkerung tragen das ihrige zu der schwierigen Situation bei. Die Epilepsien gehören zu den häufigsten Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Sie sind zumeist chronisch, das heißt man hat ein ganzes Leben lang eine Neigung zu Anfällen. Damit trifft sie jedes Lebensalter. Etwa 5% der Bevölkerung erleiden einmal im Leben einen epileptischen Anfall. Eine Epilepsie, das heißt wiederholte Anfälle ohne Auslöser, entwickelt hingegen etwa 1% der Bevölkerung, dies entspricht ca. 600.000 bis 800.000 Menschen in Deutschland. Der Beginn der Erkrankung ist aber am häufigsten entweder im Kindesalter oder im Alter über 70 Jahren. In den meisten Fällen liegt keine Erbkrankheit vor, bei etwa 10% der Menschen wird lediglich eine erhöhte Bereitschaft zu Anfällen weitergegeben.
Epileptische Anfälle entstehen durch eine plötzliche, gleichzeitige Übererregung von vielen Millionen Nervenzellen. Es kommt zu unkontrollierten Entladungen, die vorübergehend die Funktion von Teilen oder des gesamten Gehirns stören. Wenn kein Anfall auftritt, funktionieren die meisten Hirnanteile aber wieder normal, so dass man den Erkrankten nichts anmerkt. Die Symptome, die man bei den Anfällen „von außen” wahrnimmt, entstehen dadurch, dass diese Übererregung mehr oder weniger lang andauernde Veränderungen der Hirnfunktion auslöst, die die Bewegungs- und Wahrnehmungsfähigkeit, das Sprechvermögen, das Gedächtnis oder das Bewusstsein vorübergehend beeinträchtigen. Die Anfälle können von Patient zu Patient sehr verschieden sein in der Art und Weise der Beeinträchtigung, in ihrer Dauer und in ihrer Häufigkeit.
Man unterscheidet bei Epilepsien zwei Hauptformen: Bei fokalen Epilepsien entsteht die Übererregung in einem umschriebenen Areal der Hirnrinde und breitet sich von da aus. Bei generalisierten Epilepsien liegt eine weit verbreitete Störung innerhalb der Zellen der Hirnrinde vor, so dass die Anfälle von Anfang an das ganze Gehirn oder beide Gehirnhälften gleichzeitig erfassen. Einzelne epileptische Anfälle können bei Menschen bei einer akuten Erkrankung (Stoffwechselentgleisung, Schlaf- oder Alkoholentzug) entstehen. Akute Ursachen von einzelnen Anfällen können aber auch ein Schlaganfall, eine Hirnblutung, eine schwere Verletzung oder Sauerstoffmangel des Gehirns sein. Man spricht dann auch von akut-symptomatischen Anfällen. Bei diesen Erkrankungen steht die Behandlung des Auslösers im Vordergrund. Durch dauerhafte oder chronische Veränderungen der Struktur des Gehirns, z.B. durch Narben, langsam wachsende Hirntumore oder Anlagestörungen, können dagegen chronische Epilepsien entstehen, bei denen die epileptischen Anfälle das Hauptproblem sind.
Die Epilepsie zählt heute insgesamt zu den gut behandelbaren neurologischen Erkrankungen. Bei einer Mehrzahl von etwa zwei Dritteln aller Epilepsiepatienten kann mit einer medikamentösen Therapie - meist im ersten oder zweiten Anlauf - komplette Anfallsfreiheit erzielt werden. Bei einem Drittel der Patienten gelingt es trotz mehrerer Versuche nicht, Anfallsfreiheit zu erreichen. Unter bestimmten Voraussetzungen kann bei ca. 20% dieser Patienten eine epilepsiechirurgische Behandlung zum Erfolg führen. Abgesehen von der ketogenen Diät fehlen für andere Behandlungsstrategien - z.B. Naturheilverfahren, Akupunktur, Homöopathie, Psychotherapie - die erforderlichen Wirksamkeitsnachweise.