Traditionelle Heiler im Hochland von Mexiko verwenden gegen Diabetes speziell zubereitete Heilpflanzen. Nach jahrelangen Untersuchungen können nun Forscher der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn bestätigen, dass diese Arzneimittel hochwirksam sind. Außerdem haben die Pflanzenmischungen nur wenige Nebenwirkungen, berichten die Forscher des Forschungsprojektes Medizin und Gesundheitswissenschaften der Universität Bonn. Jetzt sollen diese Präparate in Mexiko sogar in einer Fabrik produziert werden, die Anti-Diabetes-Kapseln auf pflanzlicher Basis produziert.
Die traditionellen mexikanischen Heiler erkennen Diabetes am Geschmack. “Wenn der Patient die entsprechenden Symptome hat - starker Durst, Harndrang, Müdigkeit, Gewichtsverlust -, testet der Heiler, ob Blut oder Urin süßlich schmecken”, berichtet Helmut Wiedenfeld, Wissenschaftler am Pharmazeutischen Institut der Universität Bonn. “Wenn die Heiler süßen Geschmack feststellen, steht die Diagnose fest. Im mexikanischen Hochland sind in Dörfern teilweise acht von zehn Erwachsenen zuckerkrank”, so der Experte. Gründe für die hohe Zahl an Diabetes-Fällen, die meisten leiden unter der so genannten Typ-II-Diabetes, vermuten die Forscher in der falschen Ernährung und Veranlagung. Behandelt werden die Patienten mit einer Mixtur aus verschiedenen Heilpflanzen. In ersten Versuchen hatte der Bonner Experte die Pflanzen an zuckerkranken Ratten getestet. Das Ergebnis war allerdings nicht erfolgreich. “Der Schlüssel zum Erfolg liegt häufig in der Zubereitung”, erklärt Wiedenfeld, der im Hochlanddorf Xochipila die Schamanen bei der Aufbereitung der Arznei beobachtet hatte. Der Heiler versetzt die Arzneipflanze beispielsweise mit Mais oder anderen Zutaten und lässt die Mischung einige Zeit stehen. “Molekulare Scheren” im Mais zerschneiden dabei Inhaltsstoffe der Anti-Diabetes-Pflanze in kleinere Bruchstücke. Diese wirken gegen die Zuckerkrankheit.
Aus dem Gemisch gewinnt der Schamane ein Getränk, das er “Agua de Uso” (Wasser zum täglichen Gebrauch nennt). Die Patienten müssen davon einen halben Liter täglich trinken. Den Bonner Forschern ist es gelungen, Kapseln mit der pulverförmigen Wirksubstanz herzustellen. Drei Kapseln enthalten soviel Wirkstoff wie 250 Gramm Pflanzenmaterial, das entspricht der täglichen Dosis. Inzwischen laufen die ersten klinischen Versuche. Eine Naturarznei-Firma hat bereits Interesse an dem neuen Bio-Medikament bekundet. Sofern die Tests erfolgreich verlaufen, soll bald direkt vor Ort eine Produktionsanlage für Anti-Diabetes-Kapseln entstehen. Bei Erfolg wird das traditionelle Wissen auch im eigenen Land vermarktet. “Die Bauern erhalten eine Abnahmegarantie für gesammelte oder angebaute Arzneipflanzen”, so Dr. Wiedenfeld.
Dass die Entwicklung von neuen Diabetes-Medikamenten eine wichtige Rolle für das mittelamerikanische Land spielt, ist auch der Weltgesundheitsorganisation WHO klar. Die Experten fürchten, dass bis 2025 jeder siebente Mexikaner an Diabetes leidet. Das wären insgesamt fast 12 Mio. Betroffene.
Die meisten Einheimischen leiden unter dem so genannten “Typ-II” oder “nicht-insulinpflichtigen” Diabetes. Früher nannte man diese Form auch “Altersdiabetes”; mittlerweile ist jedoch bekannt, dass der Typ II-Diabetes bereits in jungen Jahren auftreten kann. Als Faktoren, die die Krankheit auslösen oder verschlimmern können, gelten kohlenhydrat- und fettreiche Ernährung bei gleichzeitigem Bewegungsmangel. Zur Behandlung werden in erster Linie synthetische Wirkstoffe eingesetzt, die jedoch Nebenwirkungen wie Übelkeit, allergischen Reaktionen oder Veränderungen des Blutbildes hervorrufen können. “Ein Problem bei dieser Erkrankung ist meist die späte Diagnose: Da im frühen Stadium der Blutzuckerspiegel noch nicht so drastisch erhöht ist wie z.B. beim Typ-I Diabetes, fällt das bei Routineuntersuchungen nur selten auf”, erklärt Dr. Wiedenfeld. Zumal die Routinechecks meist in nüchternem Zustand und daher bei geringerer Blutzuckerkonzentration durchgeführt werden. Zu spät behandelt, drohen den Patienten dramatische Folgeschäden bis hin zur Erblindung oder dem Verlust von Gliedmaßen.
Auch die traditionellen Heiler wissen, dass richtige Ernährung Diabetes vorbeugen kann. “1993 wurde im Hochland von Mexiko ein neues Dorf entdeckt. Eine der ersten Errungenschaften der Zivilisation war ein bekanntes zuckerhaltiges Erfrischungsgetränk”, berichtet Dr. Wiedenfeld. Der Dorf-Schamane sieht den immensen Pro-Kopf-Verbrauch des süßen Getränks sehr kritisch. “Er empfiehlt seinen Diabetikern inzwischen, auf die zuckerfreie Light-Version umzusteigen.”