Auch in der Arztpraxis ist dasThema der sexuellen Funktionsstörungen noch fast immer ein Tabu. „Das muss sich ändern“, plädiert Dr. Cindy Günzler, Sexualforscherin an der Universitätsklinik Freiburg , im Interview. Denn sexuelle Störungen können wirkungsvoll behandelt werden – und zwar nicht nur mit Medikamenten. Auch das Internet wird vermehrt zu einer Therapieoption.
Frau Dr. Günzler, sexuelle Probleme sind auch heutzutage ein Tabuthema. Warum?
Dr. Cindy Günzler, Universitätsklinikum FreiburgDie Sexualität ist einer der intimsten Bereiche unseres Lebens. Tauchen Probleme auf, möchten viele Betroffene nicht darüber sprechen – meist aus Scham. Obwohl sexuelle Funktionsstörungen weit über das Schlafzimmer hinaus zu Problemen führen: Die Partnerschaft leidet häufig darunter und die Betroffenen bekommen nicht selten Depressionen oder Angstzustände. Dennoch thematisieren sowohl die Betroffenen als auch die behandelnden Ärzte das Thema viel zu selten. Das muss sich ändern! Denn sexuelle Störungen sind alles andere als selten: Schätzungen und auch einer eigenen Studie zufolge leiden etwa 16 Prozent der Frauen unter einem verminderten sexuellen Interesse, acht Prozent unter einem Erregungsmangel oder ausbleibendem Orgasmus. Zwischen fünf und 20 Prozent der Männer leiden unter Erektionsstörungen und 15 bis 25 Prozent der Männer haben Studien zufolge Probleme mit vorzeitigem Samenerguss.
Sie haben in einer vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützten Studie untersucht, welche Behandlungsmöglichkeiten bei sexuellen Problemen helfen. Müssen es denn immer Medikamente sein?
Nein, durchaus nicht. Wir haben uns alle Studien angeschaut, die seit 1985 weltweit zum Thema Therapie von sexuellen Funktionsstörungen durchgeführt wurden. Dabei wurde deutlich, dass psychosoziale Interventionen, also zum Beispiel Sexualtherapien, Verhaltenstherapien und Paartherapien, besonders effektiv sind, um sowohl die sexuelle Funktionsfähigkeit als auch die Lebens- und Partnerschaftszufriedenheit zu steigern. Psychosoziale Interventionen sind zum Teil sogar wirksamer als Medikamente, natürlich besonders dann, wenn ein sexuelles Problem primär psychisch und weniger organisch bedingt ist. Aus unserer Studie lernen wir, dass es wichtig ist, je nach Patient ganz individuell zu entscheiden, ob eine medikamentöse, eine sexualtherapeutische oder eine kombinierte Behandlung die richtige Alternative ist.
Wann ist Ihrer Meinung nach eine Paartherapie sinnvoll?
Kein Einzelfall: In Deutschland leidet jeder fünfte Mann an Erektionsstörungen.Eine Paartherapie ist immer dann sinnvoll, wenn auch der Partner bzw. die Partnerin von der sexuellen Funktionsstörung betroffen ist. Und das ist oft der Fall. Denn meist kommt es erst dann zu Problemen, wenn die beiden Partner unterschiedliche Wünsche oder Vorstellungen bezüglich einer gelingenden Sexualität haben. Der Vorteil einer Paartherapie ist, dass sich auch der Partner oder die Partnerin aktiv an der Lösung des Sexualproblems beteiligen kann. Hierdurch fühlen sich viele Betroffene entlastet. Denn das Problem lastet dann nicht mehr nur auf den eigenen Schultern, sondern kann gemeinsam angegangen werden. In unserer Studie haben wir auch herausgefunden, dass eine Therapie per Internet, also eine Art Online-Beratung, zur Behandlung von Erektionsstörungen durchaus eine gute Alternative ist. Hierbei haben die Betroffenen in der Regel E-Mail-Kontakt mit einem Therapeuten und bekommen Aufgaben, also zum Beispiel spezielle sexualtherapeutische Übungen. Anschließend berichten die Betroffenen über ihre Erfahrungen und bekommen Feedback vom Therapeuten. Durch das Medium Internet ist das Gefühl der Anonymität höher als bei Psychotherapien, die von Angesicht zu Angesicht stattfinden. Dies kann besonders bei einem solch intimen Thema von den Betroffenen durchaus als hilfreich erlebt werden. Wir planen gerade eine Studie zur Wirksamkeit und Akzeptanz einer Online- Beratung für Paare, bei denen die Frau unter vermindertem sexuellen Verlangen leidet. Das Internet bietet gerade für das sensible Thema sexuelle Störungen in Zukunft sicher viele Möglichkeiten.
Welche Rolle spielen Ärzte, um sexuelle Funktionsstörungen aus der „Schmuddelecke“ zu befreien?
Besonders Hausärzte, Urologen und Gynäkologen sollten ihre Patienten über die Behandlungsmöglichkeiten für sexuelle Probleme aufklären und informieren. Bislang erhalten Betroffene viel zu oft gar keine Unterstützung. Als Gründe werden von Seiten der Ärztinnen und Ärzte meist fehlende Zeit für eine Behandlung genannt. Gleichzeitig wissen wir, dass etwa ein Viertel der Ärztinnen und Ärzte davon ausgeht, dass ihre Patientinnen und Patienten eine entsprechende Diagnose und Therapie nicht akzeptieren würden. Aber das ist reine Mutmaßung. Patienten berichten in Studien hingegen häufig, dass sie sich wünschen würden, häufiger nach ihrer sexuellen Gesundheit gefragt zu werden. Hier muss noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden. Wir vom Universitätsklinikum Freiburg arbeiten deshalb eng mit dem Informationszentrum für Sexualität und Gesundheit in Freiburg zusammen.