Biotin gehört zu den Wasserlöslichen Vitaminen der B-Gruppe und wurde ursprünglich auch als Vitamin H oder Koenzym R bezeichnet. Nur eines der 8 verschiedenen Stereoisomere des Biotins, das D-Biotin, kommt in der Natur vor und ist als Vitamin voll aktiv.
Biotin kommt in den meisten Nahrungsmitteln, wenn auch in kleineren Mengen, vor. Gute Biotinquellen für die menschliche Ernährung sind Hefe, Leber und Nieren, aber auch Eigelb, Sojabohnen, Nüsse, Getreide und Milch. Aus Tierexperimenten weiß man, daß die biologische Verfügbarkeit von Biotin erheblich schwankt. Zudem wird von einer mikrobiellen Biosynthese des Biotins im Dickdarm ausgegangen, da die Biotinausscheidung über Harn und Stuhl die alimentäre Aufnahme teilweise übersteigt. Ausmaß und Bedeutung dieser Synthese für den Gesamtumsatz an Biotin sind jedoch bislang nicht bekannt.
Avidin, ein Glycoprotein aus Hühnereiweiß, bildet einen festen Komplex mit Biotin und verhindert dessen Resorption. Daher kann die Aufnahme großer Mengen von rohem Hühnereiweiß über einen längeren Zeitraum zu einem Biotinmangel führen. Es gibt außerdem Hinweise, daß Störungen der Darmflora durch antibakterielle Substanzen zu einer ungenügenden Biotinversorgung führen können. Die Resultate solcher Untersuchungen beim Menschen waren jedoch nicht eindeutig. Beobachtet wurden auch Wechselwirkungen mit bestimmten Antikonvulsiva.
Biotin ist ein wichtiger Bestandteil verschiedener enzymatischer Systeme und wird im Stoffwechsel sowie für ein normales Wachstum benötigt. Es spielt eine Schlüsselrolle im Stoffwechsel von Kohlenhydraten, Fetten und Proteinen. Ein biotinabhängiges Enzym katalysiert die Synthese von Fett-Säuren, andere spielen eine entscheidende Rolle im Energiehaushalt und bei der Synthese von Aminosäuren und Glucose.
Biotinmangel ist beim Menschen äußerst selten. Mangelsymptome sind u.a. Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Glossitis (Zungen-Entzündung), Blässe, trockene, schuppige Dermatitis, Depressionen sowie bei Langdauerndem, schweren Biotinmangel auch Haarausfall (Alopezie).
Versuchspersonen, die eine biotinarme Diät mit viel rohem Eiweiß erhielten, entwickelten nach 3-4 Wochen eine feinschuppige Abschuppung der Haut ohne Juckreiz. Nach einwöchiger Diat waren sie erschöpft, deprimiert und müde, litten unter Übelkeit und Appetitlosigkeit. Muskelschmerzen, Hyperästhesie und Parästhesie wurden beobachtet, jedoch ohne daß eine Beeinträchtigung der Reflexe oder andere objektive Zeichen einer Neuropathie vorlagen. Die Zunge wurde blaß und verlor Papillen. Die Haut war trocken und schuppig; Anämie und Hypercholesterinämie traten auf.
Außer Menschen, die große Mengen rohes Eiweiß zu sich nehmen, sind, wahrscheinlich Kinder unter 6 Monaten am stärksten gefährdet, in einen Biotinmangelzustand zu geraten. Ein unter Umständen tödlicher Biotinmangel kann bei Kindern auftreten, denen die Biotinidase fehlt (ein angeborener Stoffwechseldefekt). Diese Kinder sind schlecht ernährt, zeigen unstillbares Erbrechen, Muskelhypotonie, fehlende Ansprechbarkelt, sind apathisch, es kommt zum Koma. Bei älteren Kindern werden häufig Ketoazidose, Haarausfall und Entwicklungsretardierung beobachtet. Eine große Zahl von Studien zeigte einen günstigen Einfluß von Biotin auf die seborrhöische Dermatitis bei Kindern sowie auf die Leiner´sche Krankheit, die wahrscheinlich eine generalisierte und sehr intensivierte Form der seborrhöischen Dermatitis ist. Es existieren Vermutungen über einen Zusammenhang zwischen Biotin und der Ursache für den plötzlichen Kindstod, einer im ersten Lebensjahr nicht seltenen Todesursache. Die meisten der betroffenen Kinder bekamen Flaschennahrung. Patienten, die über einen längeren Zeitraum künstlich ernährt werden, entwickeln Biotinmangel-Symptome, wenn der Nahrung kein Biotin zugesetzt wird. Es ist bekannt, daß diese Patienten Hautveränderungen, Haarausfall und depressive Phasen haben, die auf eine Therapie mit Biotin ansprechen. Niedrige zirkulierende Biotinspiegel werden auch bei Alkoholikern, Patienten mit gastrointestinalen Störungen, Brandopfern sowie nach langdauernder Therapie mit einigen krampfhemmenden Medikamenten beobachtet.
Die erste ausführliche Abschätzung der angemessenen und unschädlichen Menge für die tägliche Nahrungszufuhr stammt aus dem Jahr 1980 vom Food and Nutrition Board of the United States National Research Council. 1989 wurden in den USA für Erwachsene und Kinder über 11 Jahren 30 bis 100 po, für Säuglinge und Kleinkinder 10 bis 30 für täglich empfohlen. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung geht davon aus, daß bei durchschnittichen Kostgewohnheiten der Biotinbedarf gedeckt ist. Als Richtwert werden 12 pg/1 MJ bzw. 50 pg/1000 kcal pro Tag angegeben.
Biotin ist in vielen Multivitamin- und Kombinationspräparaten enthalten. In einigen Ländern sind auch Einzelpräparate von Biotin als orale oder parenterale Zubereitungsformen erhältlich.
Beim Menschen wurden keine toxischen Effekte von Biotin beobachtet. Biotin wurde in einer Dosierung von bis zu 40 mg pro Tag gegeben, ohne daß unerwünschte Nebenwirkungen auftraten.
Mit Biotin werden Getränke sowie Rezepturen für Säuglingsmilch und andere Babynahrung ebenso wie sonstige diätetische Produkte angereichert.
Das Wachstum der Bäckerhefe (Saccharomyces corevisiae) ist biotinabhängig. Biotin wird daher den Nährmedien für die Fermentation von Hefe als Wachstumsstimulans zugesetzt. Viele Mikroorganismen, die in der modernen Biotechnologie verwendet werden, sind ebenfalls biotinabhängig. Auch hier ist Biotin Bestandteil der Nährmedien. In der Kosmetik wird Biotin als Zusatz in Haarpflegeprodukten verwendet.