Vitamin B 12 ist die Bezeichnung für verschiedene chemische Verbindungen, die eine Co-Enzym Funktion ausüben und Cobalamine heißen. Cobalamine enthalten Kobalt und gehören zu den Corrinoiden, welche eine bestimmte Molekülstruktur, Corrin genannt, aufweisen. Frühere Bezeichnungen für Vitamin B 12 waren Antiperniziosafaktor, Castle´s Extrinsic facior oder Animal protein factor. Die wichtigsten Cobalamine im Menschen und in Tieren sind Hydroxocobalamin, Adenosylcobalamin und Methylcobalamin, wobei die beiden letzten aktiv als Coenzyme wirken. Cyanocobalamin, eine synthetische Form des Vitamins B 12, die aufgrund ihrer Verfügbarkeit und Stabilität breite klinische Anwendung findet, wird im Körper zu aktiven Formen umgewandelt.
In der menschlichen Ernährung wird Vitamin B 12 vorwiegend mit tierischen Nahrungsmitteln, insbesondere Innereien (Leber, Niere, Herz, Hirn) aufgenommen. Andere ergiebige Quellen sind Fisch, Eier und Milchprodukte. In Lebensmitteln pflanzlichen Ursprungs fehlt Vitamin B 12 weitgehend.
Wenn Vitamin B 12 Licht, Sauerstoff sowie sauren oder alkalischen Bedingungen ausgesetzt wird, verliert es langsam seine Aktivität. Es ist jedoch hitzestabil. Im Blutplasma behält Vitamin B 12über mindestens 14 Tage seine volle Wirkung.
Vitamin B 12 ist für die Bildung von Erythrozyten, Nervenscheiden und zahlreichen Proteinen erforderlich. Es ist ferner am Fett- und Kohlenhydratstoffwechsel beteiligt und für das Wachstum essentiell.
Adenosylcobalamin ist das Coenzym für die Isomerisierung (Umwandlung) von 1-Methylmalonyl-Coenzym A zu Succinyl-CoA (eine wichtige Reaktion im Fett- und Kohlenhydratstoffwechsel) und für die Reduktion von Ribonukleotiden, wobei die Bausteine für die DNA-Synthese entstehen. Reaktionen, an denen Methylcobalamin beteiligt ist, sind u.a. die Biosynthese von Methionin, einer essentiellen Aminosäure, von Methan und Acetat. Zudem gibt es Hinweise, daß Vitamin B12 für die Synthese von Folatpolyglutamaten, den aktiven Coenzymen bei der Entwicklung des Nervengewebes, und für die Regeneration von Folsäure während der Bildung roter Blutkörperchen notwendig ist.
Klinischer Cobalaminmangel aufgrund ungenügender Aufnahme mit der Nahrung ist selten. Vitamin B 12-Mangel führt beim Menschen zu megaloblastischer Anämie (gekennzeichnet durch vergrößerte, unreife rote Blutkörperchen) und zu Nervenleiden mit schleichendem Ausbruch der Symptome. Die Symptomatik umfaßt: Schwäche, Müdigkeit, Atemlosigkeit (Dyspnce) bei Belastungen, entzündete Zunge (Glossitis), Appetit- und Gewichtsverlust. Neurologische Störungen können auftreten in Form von Zittern und Taubheitsgefühl (Parästhesie), Verlust des Geschmacks- und Geruchssinns, Impotenz, seelische Störungen wie Reizbarkeit, Gedächtnisstörungen, leichte Depressionen, Halluzinationen, sowie schwere Anämien (bis zu Symptomen einer Herzfunktionsstörung). Der Mangel an Vitamin B 12 hat eine gestörte DNA-Synthese in der Zelle zur Folge. Dies betrifft vor allem Gewebe mit einem hohen Zellumsatz, wie z.B. das blutbildende System.
Außerdem kann es zu einer Schädigung des Nervensystems mit Demyelinisierung (d.h. Schwinden der Markscheiben des zentralen Nervensystems) kommen. Dies führt zu der gefürchteten funikulären Spinalerkrankung mit peripheren Lähmungen und Sensibilitätsausfällen. Die Erkrankung ist bei einer rechtzeitigen Therapie mit B 12 rückbildungsfähig. Die Symptome des Vitamin B 12-Mangels ähneln denen des Folsäuremangels, wobei der wichtigste Unterschied darin liegt, daß nur bei Vitamin B 12-Mangel eine Degeneration des Rückenmarks auftritt. Wenn irrtümlicherweise Folsäuremangel als Grund der Anämie bzw. der Nervenstörung angesehen und daher Folsäure anstatt B 12 zur Behandlung eingesetzt wird, kann zwar die Anämie gelindert werden, das Risiko einer Schädigung des Nervensystems bleibt jedoch bestehen. Daher muß der Mangel vor der entsprechenden Therapie eindeutig diagnostiziert werden.
Die Hauptursache für Cobalamin-Mangelerscheinungen ist der Ausfall der Sekretion des Intrinsic factors. Dies ist der Fall bei Personen mit perniziöser Anämie, einer erblichen, hauptsächlich nach der Lebensmitte auftretenden Krankheit. Zudem können Mangelerscheinungen nach einer Magenresektion und nach Aufnahme ätzender Substanzen auftreten, bei der die Magenschleimhaut zerstört wurde. Bei Patienten mit Schädigungen des Dünndarms (Darmdivertikel, Stenosen, Strikturen) kann ein verstärktes Bakterienwachstum zu einer kompetitiven Nutzung des verfügbaren Vitamins führen. Eine Beeinträchtigung der Resorption findet man auch bei Patienten mit Dünndarmdefekten (z.B. Sprue, Zöliakie, Darmentzündung oder Darmresektion), mit angeborenen Störungen des Cobalaminstoffwechsels, bei Sekretion eines biologisch abnormen Intrinsic factors oder beim Zollinger-Ellison-Syndrom. Eine unzureichende Cobalaminresorption wird zudem bei Patienten unter Langzeitbehandlung mit bestimmten Medikamenten und bei älteren Patienten mit einer Magenatrophie beobachtet. Das Risiko eines ernährungsbedingten Mangels ist bei strengen Vegetariern, die sich ausschließlich von pflanzlicher Kost ernähren, erhöht; eine hohe Ballaststoffzufuhr bewirkt eine Verschlechterung des bereits prekären Vitaminhaushalts. Ebenso gibt es Berichte über Vitamin-B12-Mangel bei gestillten Säuglingen, deren Mütter sich vegetarisch ernähren.
Empfehlungen zur Zufuhr von Vitamin B 12 mit der Nahrung reichen in 25 Staaten von 0,3 - 5 µg/Tag. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung nennt in ihren Empfehlungen vom November 1991 für die Nährstoffzufuhr für Jugendliche und Erwachsene beiderlei Geschlechts 3 µg pro Tag. Kinder zwischen 1 und 15 Jahren sollen je nach Alter 1 - 3 mg zu sich nehmen, Säuglinge bis zu 1 Jahr 0,5 - 0,8 µg. Für Schwangere werden 0,5µg zusätzlich empfohlen, für Stillende 1 mg zusätzlich. Die durchschnittliche “westliche” Ernährung liefert etwa 3 -15µg/Tag, die Mengen können sich jedoch zwischen 1 und 100 µg/Tag bewegen.
Zur Injektion ist Vitamin B 12 als Cyanocobalamin oder Hydroxocobalamin in stabiler wäßriger Lösung verfügbar. Cyanocobalamin ist auch in Tablettenform und in flüssiger oraler Zubereitungsform erhältlich. Der Zusatz eines Zink-Tanninsäure-Komplexes zum Vitamin B 12 erlaubt eine langsame Diffusion von der Injektionsstelle aus, so daß relativ geringe Verluste mit dem Urin und hohe Blutplasmawerte über einen langen Zeitraum gewährleistet werden. Die Suspension dieses Komplexes in Sesamöl/Aluminiummonostearat führt zu einer verbesserten Retention (verlängerte Verweildauer) unmittelbar nach der Injektion. Vitamin B 12 ist ferner in einer Reihe von Multivitaminpräparaten enthalten, die als Nahrungszusätze bei Anämien Anwendung finden.
Cyanocobalamin hat bei Tieren in Mengen, die das Mehrtausendfache ihres nutritiven Bedarfs darstellen, keine toxischen Wirkungen gezeigt. Für den Menschen wurden unter einmaligen oralen Dosen von 100 mg und konstanter Verabreichung von wöchentlich 1 mg über einen Zeitraum bis zu 5 Jahren keine nachteiligen Effekte berichtet. Auch gibt es bis heute keine Hinweise auf krebs- oder mutationsauslösende Eigenschaften oder auf ein fruchtschädigendes Potential. Bei der parenteralen Anwendung wurde in Einzelfällen über Akne, ekzematöse und urtikarielle (Nesselausschlag) Arzneimittelreaktionen sowie über anaphylaktische bzw. anaphylaktoide (Schock-)Reaktionen berichtet.
Vitamin B 12 wird häufig zur Anreicherung von Getreideprodukten und verschiedenen Getränken verwendet. Diätetischen Lebensmitteln, wie Säuglingsnahrung und Reduktionskost, werden oft Vitamine, darunter auch Vitamin B 12, zugesetzt. Die Anreicherung mit Vitamin B 12 ist besonders bei Produkten von Bedeutung, die Personengruppen mit geringer Aufnahme durch die Ernährung, wie Vegetarier, ansprechen.