Eine spanische Provinz, die in sich die Welt vereinigt, liest man in den meisten Reiseberichten. Sie gehört zu Europa, trägt in sich ein Stückchen Lateinamerika und sonnt sich noch heute in der Sonne Arabiens. Allgegenwärtig noch immer 1001 Nacht. Nur wer diese farbigen Märchen zwischen Phantasie und Realität gelesen hat, weiß um die Herzen bewegenden und erregenden Sze-nen vor blühenden Sträuchern, kühlenden Springbrunnen und maurischen Hufeisenbögen, weiß, wie „Mädchen den Monden gleich“ tanzen und schließlich das gewähren, was ihre Gebieter begehren. Man schätzt und schützt die intime Idylle, denn Allah ist gütig. In der Moschee preist man(n) ihn, in den Bä-dern dagegen die weiblichen Himmelsgeschöpfe mit weißer Haut und dunklem Haar.
Granada– wie betörend, ja beschwörend, wirkt das Lied, vor allem wenn von Mario Lanza (1921 Philadelphia) gesungen, noch heute. Es paßt zu den Höfen, Hallen und Heiligtümern der Alhambra,zu den Höhepunkten der dortigen Architektur: Mexuar, Patio de los Arrayanes, Torre de Comares, Patio de los Leones (der weltberühmte Löwenhof), Sala de los Reyes, Sala de los Abancerrajes, Sala de las dos Hermanas, Mirador de Daraxa, Jardin de Lindaraja. Der zarte Schmuck und die Perspektiven blenden die Menschen aus allen Erdteilen und zu allen Zeiten. Wenn es ein Weltwunder der Neuzeit gibt, dann ist es die Alhambra. Heute weltweit äußerst selten: Bilder des Islam. Der Brunnen im Löwenhof(im 14. Jahrhundert von Mohammed V. in Auftrag gegeben) wird von zwölf Raubtieren getragen. In der Sala de los Reyes bewundern wir zehn Personen (möglicherweise Angehörige der herrschenden Nasriden-Dynastie) in arabischen Kleidern. Welcher Glanz, welcher Zauber!
Müßte oder sollte man ein zweites Weltwunder der Neuzeit nennen, dann kommt die Mezquita von Córdoba in Betracht. Die Stadt ist nicht irgendein Pflaster. Seneca (um 4 vor Christus) und sein Neffe Lucanus (39), der eine der geniale Denker, der andere der große Chronist und Historiker, werden hier geboren (und 65 in Rom von Nero in den Selbstmord getrieben), ebenso der Maler Julio Romero de Torres (1879), der die Frauen gerne schön und nackt porträtiert. Mal mit, mal ohne Orangen unter den Brüsten. Córdoba ist heute die Stadt der tausend Blumentöpfe und –kübel am Boden und an den Häuserwänden. Alle denkbaren Farben und Formen versammelt hier die erfinderische Göttin Flora. Von Rosengestrüpp überdachte Nischen, Oleander flankierte Treppen, hängende Gärten verhüllen das reine Weiß der Mauern, die zudem mit Keramiktafeln geschmückt sind. Um schmiedeeiserne Balkon-geländer ranken sich seltene Pflanzen mit feinen Blättern und ebensolchen Blüten.
Aber was ist dies alles gegen die Mezquita? Schon 711 gerät Córdoba unter maurischen Einfluß. Christen und Muslime teilen sich damals gütlich die alte Kirche. Sie steht mit großer Wahrscheinlichkeit auf dem Fundament oder den Ruinen eines Tempels des Sol invictus (unbesiegbarer Sonnengott). Der erhaltene Steinschmuck (um 500), der überwiegend aus Sonnenkreisen besteht und in einer musealen Ecke der Mezquita gezeigt wird, bestätigt dies. Auf den Exponaten dominieren überall die streng aus-gezirkelten sechsstrahligen Rosetten, Signa des Sol invictus ebenso wie des neuen Religionsstifters Christus! Schon 786 kauft das Besatzungsvolk den Einheimischen ihren Kirchenanteil ab und beginnt mit dem Bau es heutigen Wunderwerks auf 25 000 Quadratmetern. Elf Längs- und zwölf Querschiffe mit über tausend Säulen tragen am Ende das gewaltige Dach. Nur selten errichten Menschen etwas ähnlich Kunstvolles.
Dann ist Allah nicht mehr gnädig. 1236 erobert Ferdinand III. die Stadt Córdoba. König und Kirche ge-ben sich konziliant. Die Moschee wird vom Bischof geweiht und das Minarett mit einem Kreuz bekrönt. Das ist alles. Nach fast drei Jahrhunderten aber wüten Barbaren. Der Mensch in seinem Wahn, kann man mit Schiller nur sagen. Ein Eck mit 150 Säulen wird gefällt, christlicher Kitsch installiert und ein Weltkulturerbe verschandelt. Dem arabischen Giganten aus Fels und Farbe steht nunmehr hilflos der größte und gröbste Unfug der Reconquista gegenüber. Selten auf der Welt sieht man Geschmacklose-res, läßt man die herrliche Verkündigung (Engel mit Schlangenband am Heroldstab) auf dem Tafelbild von 1475 außer Betracht.
Nachdenklich fahren wir nach Sevilla, dieser Stätte und Stadt der Weltliteratur und –komödie, des Stierkampfs, der Wissenschaftler und Maler. Aus Italica ganz in der Nähe stammen die römischen Kaiser Hadrian (76) und Trajan (53), im Dom findet Kolumbus (1451 Genua) seine letzte Ruhe. Einer der bedeutendsten Symbol-Analytiker und Schriftsteller zwischen Antike und Mittelalter residiert in der Stadt: Bischof Isidor von Sevilla (um 560). Hier erblicken das Licht der Welt: Velázquez (1599), Spa-niens größter Maler, und Murillo (1618), der sein ganzes Leben in der Vaterstadt arbeitet. Von hier gelangen seine weltberühmten Gassenkinder nach München. In Sevilla beendet König Alfons X. (1284) sein Leben, einer der gelehrtesten Fürsten aller Zeiten und Länder. Seine von ihm begründeten historischen, juristischen und astronomischen Enzyklopädien haben weltweit nicht seines gleichen. Die von ihminitiierte spanische Arabistik verändert das abendländische Geistesleben. Seine _Cantigas_werden noch heute gesungen.
Hier ist weiter Don Juan zu Hause, den der Dramatiker Tirso de Molina (1579 Madrid) in der Person des Don Juan Tenorio in seinem Stück El burlador de Sevilla (Der Spötter von Sevilla) schafft. Bis in unsere Tage entfachen sich an diesem Herrn Johann Diskussionen, die sich immer nur um eines drehen. Der große spanische Philosoph Ortega y Gasset (1883 Madrid) reichert diese Art noch auf folgende Weise an: „Wie Don Juan, der die Liebe liebte und nie dahin kam, eine Frau zu lieben, haben wir Spanier das Wollen gewollt, ohne irgend etwas zu wollen.“ Rund um den Globus bekannt macht den Don Juan aber Mozart (1756 Salzburg) mit seiner Oper Don Giovanni. Und weil wir gerade bei diesem Genre sind, auch Der Barbier von Sevilla (Rossini) hat hier seinen großen Auftritt, ebenso natürlich Carmen (Bizet), das Luder zwischen Don José und Escamillo. Le nozze di Figaro (Mozart) findetin der Nähe statt, die Revolutionsoper schlechthin, das Fanal für Selbstbestimmung und Menschenwürde.
Keine Stadt ist so oft Schauplatz der Opern wie Sevilla und sein nächster Einzugsbereich. Hierher verlegt auch Wolfgang Amadeus Mozart sein Revolutionswerk Le nozze di Figaro (Hochzeit des Figaro), das mit seinem ungewöhnlichen Text, Takt und Trommelwirbel zu einem Fanal für die Französische Revolution wird. In Sevilla spielen auch seine Oper Don Giovanni undBizets_Carmen._
Sevilla. Herkules gründet der Sage nach die Stadt, sein Nachfolger im Christentum ist der heilige Christophorus, der nie gelebt hat und vom Zweiten Vatikanum abgeschafft wird. Der antike Gott trägt den Iupiterknaben und hat als Symbol den Löwen, der starke Heilige schleppt das Christkind, sein Fest wird in den Tierkreis Löwe (23. Juli) gesetzt. Das Korrelat wirkt noch heute im Dom nach, wo mehrere Darstellungen des Christophorus auszumachen sind. Diese Kathedrale ist die größte gotische Kirche der Welt (9000 Quadratmeter), der spätgotische Hochaltar eine Biblia pauperum und einfach grandios, die sonstige Ausstattung mittelmäßig bis unerträglich. Im integrierten Museumeine Madonna von El Greco (um 1541 Kreta) und die zwei Heiligen Justa und Rufina von Goya (1746 Fuendetodos/Arago-nien), die den Martyrertod erleiden. Zu ihren Füßen eine zertrümmerte Venusbüste. Der Turm (Giralda) steht schon als Minarett unter dem Schutz Allahs. 712 beginnt hier seine Oberaufsicht, die 1248 endet.
Dem Dom gegenüber das Kastell (Alcázar), die Residenz der christlichen Herrscher, erbaut als Liebeslaube Pedros I. (1334 Burgos), genannt der Grausame, der hier seine Mätresse Maria de Padilla karessiert. Wir stellten viele Parallelen zur Alhambra fest: Maurische Kunst und Bögen, daneben der Achteckbau Kaiser Karls V. (1500 Gent), dessen Parole Ultra plus überall zu lesen ist.
Nach Kathedrale und Konkubinenschloß locken dann die spanischen Spezialitäten der Restaurants. Unter einem Schirm und im Schatten des Doms ist rasch eines gefunden. Man macht es richtig, wenn man Tapas bestellt. Doch in Sevilla sollte man eine der berühmten Delikatessen Andalusiens genießen: Rabo de toro (Stierschwanz). Besser kann man nicht essen und trinken, seliger nicht sein. Dann schlendert man frohgestimmt weiter, durch das herrliche Viertel Santa Cruz. Überall Blumen in Vasen und Töpfen, Kutschen queren den Weg.
Von Sevilla ist nicht weit nach Ronda, in die Wiege des Stierkampfs. Wer hat sich von den Spanientouristen nicht schon darüber ausgelassen? „Man muß Spanier sein“, so schreibt der berühmte Casanova (1725 Venedig), „um Geschmack für den Zauber zu hegen; in den Augen eines Fremden wird das Schauspiel stets eher traurig als ergötzlich erscheinen.“ Und Hemingway (1899 Oak Park) behauptet: „Auf alle Fälle ist der Stierkampf kein Sport. Er ist eine Tragödie, eine Symbolisierung der Fehde zwischen Mann und Ungeheuer.“ Im Arena-Museum wird der Kult um Torero und Toro ein-drucksvoll nachgezeichnet. Das Gelb des Kampfbodens und das Rot des Bullenblutes passe idealzu den spanischen Nationalfarben, hört man.
Danach gilt eine Visite Rainer Maria Rilke (1875 Prag), respektive dem Hotel (Husa Reina Victoria), in dem er vom 9. Dezember 1912 bis zum 19. Februar 1913 wohnt. Hier schreibt er die Spanische Triologien, die sechste der Duineser Elegien und ständig Briefe. So am 17. Dezember 1912 an seine Freundin Marie von Thurn und Taxis über seine Herberge: „Hier wäre nun freilich der Ort, recht spanisch zu leben und zu wohnen, wäre nicht die Jahreszeit, wäre nicht meine unsälige Unlust, mich mit andern Beschwerden als den nöthigsten (angebornen und eifrig angeeigneten) einzulassen – zum Überfluß hat der Teufel den Engländern eingegeben, hier ein wirklich ausgezeichnetes Hotel zu bauen, in dem ich natürlich nun wohne, neutral, theuer und wie es sich der und jener wünschen würde…“ Über Ronda selbst berichtet er: „Steigend und fallend, da und dort so offen in den Abgrund, daß gar kein Fenster hinzuschauen wagt.“
Von Ronda geht die Fahrt nach Málaga, in die Heimatstadt Picassos (1881). Sein prächtiges Ge-burtshaus steht noch, sein ganz in der Nähe liegendes Museum sollte man sich auch dann ansehen, wenn man ihn nichtzu seinen Lieblingsmalern zählt. Unvergeßlich für jeden auch die klassischen Konzerte auf den ruhigen Plätzen der Stadt und die Volksfeste am Rande des Hafens. Noch heute spürt man den Schnittpunkt der drei Kulturen. Málaga zählt so zu den internationalsten Städten Europas. „Hebräisch die Königliche“, lesen wir im Conversations-Lexikon (Leipzig 1846) über die elegante Hafen-stadt. Und weiter entnehmen wir diesem Buch: „In schöner Ebene, mit netten weißen oder gelben mehr modernen Gebäuden, maurischem Schloß, Dom. Málaga hat den einzigen protestantischen Gottes-acker in Spanien.“ So spiegeln sich in dieser Stadt nicht nur Geschichte und Geschicke Europas, Amerikas und Arabiens, sondern auch die Religionen mit ihren toleranten und intoleranten Phasen, bis hin zur Reformation Luthers, der heute der Großteil Deutschlands und der Norden Europas huldigt.
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