Wenn der Primas aus Salzburg im Schloß Fuschl Quartier bezieht, geht es den Menschen hierzulande immer gut. Viele wissen es, die Rede ist vom Erzbischof der nahen Residenzstadt, der seit 1529 den päpstlichen Titel Primas Germaniae trägt, also als Erster und Vornehmster geehrt wird. Seine Präsenz beglückt und entzückt das Tal, in dem das Hifthorn der Jäger widerklingt - vergleichbar mit dem Füllhorn der segenspendenden Göttin Fortuna.
Am Fuschlsee hat der Primas gewöhnlich nur zwei Interessen: Erfolge bei der Hirsch- und Schürzenjagd. Großer Anstrengungen bedarf es dabei nicht, denn das Rotwild wird von Treibern in den See gehetzt, um dort vom geistlichen Landesherrn persönlich erlegt zu werden. Und den Streifzug von den Almen in den Venusberg erleichtert dem Primas seine hohe Stellung. Jeder Bauer weiß, wenn es seine Tochter schafft, einem fürstbischöflichen Kind das Leben zu schenken, ist es für immer aus mit Angst und Armut.
Schamhaft verschweigen Hobby- und Heimathistoriker diese episkopalen Begierden in den Reichen der Aphrodite und Artemis. Denn christlich geht es darin mit Sicherheit nicht zu. Daß die Frau keine Würde hat, entnehmen wir dem Salzburger Homiletikbestand. Einen Sinn ergibt danach ihre Existenz allein die Nacht und ihr Lager. Es sei nicht Aufgabe eines Oberhirten, seine Untertanen zu zwingen, für das gehetzte Wild höchst arbeitsintensive Schleußen an einen See zu bauen, behaupteten schon Reformatoren.
Aber mit den Ketzern hat man in Salzburg schon immer seine Probleme. Man kann dazu stehen wir man will: Die Untertanen, die Habe und Heimat hinter sich ließen, um ihrem Gewissen nicht untreu zu werden, ehren ihre Muttererde. Das Schicksal der Salzburgerin Dorothea interessiert sogar Goethe, der 1796 ein Stück schreibt, das heute zu den edelsten Werken der Weltliteratur gehört:Hermann und Dorothea.
Apropos Weltliteratur. Wir waren just in der Woche in Fuschl, als die Königliche Akademie in Stockholm entschieden hatte, der Österreicherin Elfriede Jelinek den Nobelpreis zu verleihen. Es wurde natürlich viel diskutiert am Fuschlsee. Und überall stellten wir fest: Die Alpenrepublik ist ratlos. Man konnte einst nicht fassen, warum die fesche Dorothea das Land ihrer Ahnen verlassen hatte, jetzt steht man ähnlich begossen da.
Dabei regnete es in Fuschl (im Gegensatz zu München) gerade nicht. Der Föhn zeigte seine ganze Macht und präsentierte die Pracht der Natur. Von unserem Hotel Ebners Waldhof, eine Zierde des Salzkammerguts, erschauen wir vom „Turmbalkon“ auf eine phantastische Landschaft. Der See ändert seine Farbe zwischen grünblau und blaugrün. Rechts hinten das Schloß, das Land und Leute seit Jahrhunderten prägt, in dem ein Herr prahlt und der Bauer die Zeche zahlt.
Eine erste historische Einführung gibt der Chef des Hauses, Herbert Ebner, ein Hotelier von Gottes Gnaden, wie man zu Franz Josephs Zeiten gesagt hätte. In der Bar des großzügigen Arkadenhofs erzählt er von Salzbaronen, Schauspielerinnen und Industriellen vergangener Zeiten, den Anfängen des Fremdenverkehrs, dem eigenen Umbau, dem beachtlichen Wellness-Bereich, von seinem Programm für die großen und kleinen Gäste.
Man stutzt, und schon die nächste Tageszeitung des Hauses (Morgenpost) dokumentiert eine Fülle von Angeboten und Aktivitäten, die einen 48stündigen Tag erforderten. Wir lesen von Konzert- und Kutschenfahrten, von Berg- und Seewanderungen, von Ausflügen nach Salzburg, St. Wolfgang und Bad Ischl, von Golf und Kaffeepausen, Sauna und Hallensport und, ja nicht zu vergessen, von den Ressourcen der Küche und Kosmetikabteilung. Alles mit viel Effizienz - bis hin zum Murmeltierfett, das wir hier erwerben, um später zu Hause feststellen zu dürfen, wie es Hautkrankheiten nachhaltig heilt.
Ruhig und ohne Aufdringlichkeit wünscht Herbert Ebner den Gästen schon am Frühstückstisch einen schönen Tag, gibt den Wetterbericht wieder, fragt nach dem Befinden, erklärt die Speisekarte, redet über Golf und Tennis (natürlich zum Hotelbetrieb gehörend), über den „Fitnesschek“ seiner engagierten Sportmagisterin Silvia Weigl, über das Abendprogramm und die Kaminmusik, deren Harfen- und Hackbrettklänge den kredenzten Wein vergolden. Wir sind erstaunt über die Bierpreise. So billig bekommt man in München keinen Gerstensaft eingeschenkt.
Dann ist da Ebners Koch Franz Josef Wagner, aus dessen Feder ein Buch (Fuschlsee) stammt, das Auge, Gaumen und Herz anspricht, dasNatur und Nahrung zu einer göttlichen Symbiose vereint. Bestehend aus den Ingredienzien wie Marillenstrudel und Winterzauber, Gamsbart und Topfenknöderl, Sülze und Blasmusik. Man fragt sich beim Blättern in dieser farbintensiven Edition nur, warum man nicht schon früher diesen Garten Gottes entdeckt hat.
Zufällig, rein zufällig, gibt uns die Morgenpost des Hauses eine Antwort auf diese Frage, eben besagte Hotelzeitung, deren alte Rechtschreibung sich (übersetzt) in einem gediegenem Englisch spiegelt. Der Tagesspruch lautet gerade: „Es ist ein Vorteil im Leben, die Fehler, aus denen man lernen kann, frühzeitig zu machen.“
Ein Satz aus dem Genre Humanismus, dem übrigens auch Fuschls prominentester Schloßherr huldigt: Kardinal Matthäus Lang von Wellenburg, um 1470 geboren, Sohn eines Augsburger Patriziers, einer der bedeutendsten Vorklassiker. Ein Ästhet, dem die Antike viel bedeutet, vor allem wenn er in das Reich von Amor und Psyche eindringt. Er umgibt sich gerne mit jungen Frauen. Was er will, erreicht er. 1529 schenkt ihm Papst Clemens VII. den eingangs zitierten Titel Primas Germaniae, die bezaubernde Sibilla Millerin ihre ganze Liebesgunst und -kunst und mehrere Kinder. Ein Herr, der am Fuschlsee auftritt wie der Kaiser und der die alte Konfession verteidigt wie dieser.
Als der Kardinal am 30. Mai 1540 das Zeitliche segnet, ist die Welt ärmer geworden, unser See aber wieder um zwei Prominente reicher. Neuer Herr in Salzburg und auf Fuschl wird Prinz Ernst von Bayern (40),ein Erzhumanist und anfangs ein Anhänger Luthers, Schüler des großen Aventinus und Freund schöner Mädchen und Marmorbüsten. Zu ihm zieht noch 1541 der bedeutendste Arzt seiner Zeit: Paracelsus (47). Seine Schriften prägen europaweit die Heilkunde. Doch nunmehr ist er am Ende seiner eigenen Kräfte. Er sucht am Fuschlsee Erholung und stirbt schon im Herbst 1541 in Salzburg.
1587 wählt das Salzburger Domkapitel den rabiaten Wolf Dietrich von Raitenau (27) zum Erzbischof und Schloßherrn am See. Wohl die schillerndste Bischofsgestalt im deutschsprachigen Raum. Ein gnadenloser Jäger des Wildes und der Protestanten, ein Mann, dem auch Treue und Reue eigen sind, der mit seiner Geliebten Salome Alt 15 Kinder zeugt und zeigt, er darf alles und dafür 1612 bitter büßt, als man ihn auf Hohensalzburg einkerkert.
Ja, Schloß Fuschl könnte Geschichte schreiben. Und schaut so harmlos aus, wenn man vom „Turmbalkon“ Ebners hinüber blickt. Aber auch die Straße Salzburg-Ischl erlebt seinen Teil. Auf ihr ziehen unentwegt fromme Wallfahrer (nach St. Wolfgang), das Posthorn erschallt, die Bierknechte lassen ihre Peitsche schnalzen, die Panduren Maria Theresias verheeren auf ihrem Zug nach Bayern das Ufer, Mutter Mozart fährt nach Salzburg, und ihr weltberühmter Sohn Wolfgang Amadeus dürfte die Strecke ebenso kennen.
Klänge und Gesänge seiner Opern mischen sich nach seinem frühen Tod mit den Schlachtenliedern der Soldaten, die nach der Französischen Revolution die Straßen Europas überfluten. 1809 zieht ein bayerisches Heer unter Kronprinz Ludwig (dem späteren König Ludwig I.) über Fuschl nach St. Gilgen. Das Land ist jetzt weiß-blau und im Gegensatz zu Tirol weitgehend ruhig. Und so geht die größte Furcht nicht vom bayerischen Löwen aus, sondern vom Braunbären in den Wäldern um den See. 1835, so glaubt man in Fuschl, wird das letzte Raubtier erlegt. Kurz darauf malt und preist Ferdinand Waldmüller den idyllischen See. Fuschl erscheint aber noch immer nicht in den Lexika der Zeit. Um 1865 wird das Schloß Privatbesitz.
Im August 1867 steht dann Fuschl Spalier, als das Kaiserpaar Franz Joseph und Elisabeth (Sissi) von Ischl nach Salzburg kutschiert, wo man Kaiser Napoleon und Eugenie von Frankreich trifft. Niemand kann ahnen: Sissi ist schwanger, in Ischl hatte sie ein Rendezvous mit ihrem Herzensfreund Andrássy aus Ungarn, das jetzt Folgen zeitigt. Die schöne Frau steht zu ihrem Seitensprung. Man muß nur ihre Gedichte lesen.
Nur wenige denken damals an den Fremdenverkehr, doch die sommerliche Stadtflucht der Oberschicht in Wien und München läßt sich mit zunehmender Zeit nicht mehr aufhalten. Kurz vor und nach dem Ersten Weltkrieg bieten Einheimische ihre schmucken Häuser zur Untermiete an. Der berühmteste Gast ist in den dreißiger Jahren der gewesene englische König Edward VIII., der mit seiner Gattin, der mehrfach geschiedenen Amerikanerin Wallis Simpson, seine junge Ehe und die Schönheit der Landschaft genießt. Er gehört nicht zu den Freunden Hitlers, bewundert ihn aber bis zu einem gewissen Maße.
Damit sind wir bei den dunklen Wolken, die jetzt über dem Fuschlsee aufziehen. 1938 stimmt auch das Salzkammergut mit großer Mehrheit für den „Anschluß“. Bald darauf gehört das Schloß dem Reichsaußenminister Joachim von Ribbentrop, von dem Hitler sagt: „Er ist größer als Bismarck.“ Und seine Schwiegermutter Anneliese Henkell ergänzt: „Seltsam, daß mein dümmster Schwiegersohn den größten Erfolg hat.“ Letztere liefert den Sekt, der ihren Namen trägt, in gigantischen Mengen. Und so werden im Schloß zu den fürchterlichen Liedern, die ordensgeschmückte Nazis und ihre halbseidenen Flittchen anstimmen, Batterien von Flaschen geleert.
Das Amt des Hausherren hat natürlich viele Besucher zur Folge. Einer der Anständigen darunter ist Italiens Außenminister Galeazzo Ciano (36), der hier im August 1939 vorfährt. Dabei Chefdolmetscher Paul Schmidt, der in seinen Memoiren schreibt: „Zunächst fuhren wir nach Schloß Fuschl, einem der Landsitze Ribbentrops, das einige Kilometer von Salzburg an einem See gleichen Namens in einer malerischen Landschaft liegt.“ Der Römer sucht „mit Engelszungen“, dem Deutschen den bevorstehenden Krieg auszureden. Er gibt zu bedenken: Im Falle eines Angriffs auf Polen werden Frankreich und England dem Reich den Krieg erklären. Italien sei zu schwach, um entscheidend helfen zu können. Schmidt: „Ribbentrop befand sich bereits in einem Zustand fieberhafter Aufregung, wie ein Jagdhund, der ungeduldig darauf wartet, von seinem Herrn auf die Beute losgelassen zu werden.“
Weiter lesen wir in Schmidts Erinnerungen: „Nach dem Gespräch in Fuschl um Krieg oder Frieden machten wir mit Ciano einen Ausflug nach St. Wolfgang, wo wir im Weißen Rößl inmitten eines lustigen Volksfestes unter den nichtsahnenden Sommergästen dieses berühmten Kurortes zu Abend aßen.“ Am 13. August fliegt Ciano in die Heimat und schreibt in sein Tagebuch: „Ich kehre nach Rom zurück voller Abscheu über Deutschland.“ Im November 1940 sieht er noch einmal den Fuschlsee. Diesmal dabei der spanische Außenminister Suner. „Völlig belanglose Besprechungen“, notiert Dolmetscher Schmidt.
Danach wirft das bittere Ende immer mehr seine schwarzen Schatten. Ciano wird in Italien der Prozeß gemacht und 1944 in Verona hingerichtet. Im selben Jahr fallen Bomben auf den Fuschlsee und seine Ufer. Ribbentrop läßt seinen Sektvorrat im See versenken, sagen Gerüchte. Nach dem Krieg taucht man danach. Doch das Wasser ist zu tief (80 Meter). Die Reste der vorgeschichtlichen Pfahlbauten machen es da den Suchenden leichter.
Nach dem Krieg lenken dann Fabrik und Film von der grauen Vergangenheit ab. Die Männer Mitteleuropas beziehen von hier ihre Qualitätsrasierklingen_Maka_. 1947 gründet Karl Weck an den Gestaden des Sees einen Betrieb, der schon im Jahr darauf 1,5 Millionen Klingen produziert. Nur ein Jahrzehnt floriert dieser Zweig, dann ist der Bart ab.
Wieder weltbekannt wird Schloß Fuschl durch die Sissi-Filme mit Romy Schneider und den Rummel um die Filmsternchen, die sich nach dem Aufenthalt im hauseigenen Bad nicht lange zieren, wenn ihnen Titelrollen winken. Die Salzburger Fürstbischöfe werden jetzt durch Regisseure ersetzt. Was sie in der Nacht im Rausch hinterlassen, greifen nunmehr die bunten Blätter auf: Mit Gold bestickte Dessous, Kontrazeptionsmittel, leere Champagnerflaschen, im Wasser abgetauchte BHs.
Armes Schloß Fuschl. Als genügten die Nazis nicht, stellt sich auch bald der nächste Despot ein. Vom 4. auf den 5. Juli 1960 übernachtet hier Nikita Chruschtschow (66). Er poltert auf seiner Österreichtournee gegen Adenauer und seine Allianz, gegen Kapitalismus und Kleriker. Die Welt steht am Abgrund zum Krieg, und der Fuschlsee überdauert auch dieses Spektakel.
Liest man heute die Berichte über die 1960-Szenen am See, stößt man auf eine inzwischen versunkene Welt. Associated press berichtet über die Vorgänge im „Lustschloß Fuschl“ und seinen Gast Chruschtschow: „Während er im dritten Stock schlief, vergnügte sich seine Begleitung in der eleganten Hausbar mit Wolgaliedern und sibirischen Volksweisen. Dies hatte zur Folge, daß sich der Aufbruch der Delegationen am Morgen verspätete.“
Aber auch im Garten und Foyer herrscht rege Aktivität, die besonders markante Schlaglichter auf diese ereignisreiche Nachkriegszeit wirft. Besagte Nachrichtenagentur berichtet: „Während seines Aufenthaltes in Schloß Fuschl wurde dem sowjetischen Regierungschef ein Bittgesuch der Frau des ehemaligen Reichsjugendführers von Schirach auf Freilassung ihres Mannes aus dem Spandauer Kriegsverbrechergefängnis überreicht. Ein zweites Bittgesuch kam von der Arbeitsgemeinschaft gegen Behördenwillkür in der Bundesrepublik. Chruschtschow wird darin gebeten, einem deutschen Arbeiter seine nach der Sowjetunion verschleppte Frau mit den Kindern zurückzugeben. Auch der Bürgermeister von St. Gilgen überbrachte ein Bittgesuch. Eine Mutter bittet darin um Schreiberlaubnis für ihren in der Sowjetunion verurteilten Sohn.“
Dann blickt die Welt im Juli 1978 auf Schloß Fuschl. UN-Generalsekretär Waldheim wartet bei herrlichem Sommerwetter (25 Grad) auf besondere Gäste. Die Deutsche Presseagentur meldet: „Zu einem überraschend vereinbarten Nahost-Meinungsaustausch sind am Donnerstag im Schloßhotel Fuschl im Salzkammergut der ägyptische Präsident Sadat, sein Kriegsminister Gamassi und der israelische Verteidigungsminister Weizman zusammengetroffen. Gamassi kam aus Kairo, Weizman aus Israel. Beide gaben bei ihrer Ankunft keine Erklärungen ab.“ Dazu erscheint in den Zeitungen ein Bild: Sadat und sein Außenminister Kaamal lassen sich im Boot den Fuschlsee zeigen.
Nunmehr schlagen die Wellen des Sees nicht mehr so heftig ans Ufer. Drüben im Dorf Fuschl beginnt Herbert Ebner mit seinem Waldhotel eine so ganz andere Ära der Völkerverständigung. Auf dem Parkplatz stellen wir Autos aus halb Europa fest. Die friedlichen Bürger, die ihnenentsteigen, erleben hier etwas, was es nicht mehr oft auf der Welt gibt: Am Seepfad kann man den vom Aussterben bedrohten Feuersalamander auf seinen Wanderungen beobachten. Im Hotel serviert man einen geräucherten Saibling, der seinesgleichen sucht.
Es geht einem also bestens hier. An das glückverheißende Hifthorn der erzbischöflichen Jäger von einst erinnert nur noch der lebensgroße Metallhirsch vor dem Hotel. Ansonsten ist das Füllhorn des Hauses reichlich gefüllt - präsentiert ebenfalls von einem Primas, der hier nicht Raitenau heißt, sondern Ebner.