Diäten und Entschlackungskuren boomen. Wo immer man hinschaut, hinkommt, sie sind schon da – die zahlreichen, teilweise blumig verpackten Angebote zum Abnehmen. Mal professionell, oft traditionell, in der Regel unter Anleitung auch funktionell, dafür dann in den heimischen vier Wänden umso schneller als nicht durchführbar abgelegt. Abnehmen ist für viele unserer Mitmenschen zu einem ewig wiederkehrenden Diskussionsthema geworden – und dies trotz der Tatsache, dass es uns im Augenblick ja eigentlich gar nicht so gut geht. Aber immer noch gut genug, um unsere Wohlstandspfunde mit uns herum zu tragen…
Eine der bekanntesten Kuren auf dem gut bestückten Diät-Markt ist die F. X. Mayr-Kur, der bekannte Politiker ebenso frönen, wie alternde Schauspieler. Wir haben uns diese, aus unserem südlichen Nachbarland Österreich stammende Entschlackungs-Kur, am Geburtsort ihres Erfinders zu Gemüte geführt.
F.X. Mayr war der Sohn einer Wirtsfamilie in Gröbming in der Obersteiermark und wurde in jenen Zeiten geboren, da der Charme von Kakanien noch von Sisis Schmelz durchzogen war. Er studierte in Graz Medizin und ließ sich nieder in Troppau, später in Karlsbad, damals einer der bekanntesten Kurorte der alten Welt, besucht und gepriesen von echten Majestäten, alternden Dichterfürsten und dem hagestolzen Geldadel der Gründerzeit.
Mayr, allein schon durch seine Kindheit auf dem Lande mit einem gesunden, den Jahreszeiten angepassten Lebensrhythmus vertraut, erkannte sehr schnell, worunter seine Patienten wirklich litten. Sie waren alle mehr oder weniger reich, hatten meist keine richtige Lebensaufgabe – das Wort Beruf war in diesen Kreise noch gar nicht erfunden – lebten in Saus und Braus und – langweilten sich zu Tode. Was Wunder, dass sie tausend Zipperleins plagten, welche mindestens zweimal jährlich auskuriert werden mussten. Konnte man doch während der Kur-Saison auch mit lieben Freunden über die neu erworbenen Leiden plauschen, seine Kinder verheiraten, das ein oder andere erfolgreiche Geschäft anbahnen, die teuren Roben und Präziosen der Gattinnen präsentieren und viel Geld in den Spielbanken verlieren – von den amourösen Abenteuern, mit denen man die Verluste wieder erträglich machte, wollen wir gar nicht erst berichten…
Der junge Kurzarzt F. X. Mayr stand also tatsächlich vor einem fast unlösbarem Problem. Wie konnte er sein Klientel erfolgreich behandeln und es dennoch Jahr aufs Jahr wieder gewinnen? Denn wirklich ernsthaft krank waren ja die wenigsten seiner Patienten. Im Gegenteil, die meisten von ihnen mussten über eine buchstäbliche Rossnatur verfügen, bei dem Lebenswandel, den man führte…
Entschlacken, den Körper von all den ständig zugefügten Genuss-Giften reinigen, dabei nebenher auch noch abnehmen und - sich vor allem möglichst nicht langweilen. Das hieße schon fast die Quadratur des Kreises lösen. Aber Mayr wäre nicht Mayr gewesen, jung und vor allem ehrgeizig, wenn ihm nicht ein genialer Einfall gekommen wäre. Und so entstand aus all diesen Zutaten die heute weltbekannte F. X. Mayr-Kur, die, streng genommen, nur von ausgebildeten F. X. Mayr-Ärzten an zertifizierten F. X. Mayr-Kurstätten durchgeführt werden darf.
Wen wundert es da noch, wenn die Nachfahren im heutigen Gröbming sein Geburtshaus, und wir erinnern uns, es war ja zugleich auch ein Wirtshaus, in eine solche Kur-Stätte umwandelten. Mag es auch nicht den oft sterilen, durchgestylten Wellnesstempeln des 3. Jahrtausends entsprechen, so hat es doch Charme und Flair und zwei tatkräftige Damen. Die eine, hochbetagte, aber äußerst agil immer noch das Zepter in der Hand haltend, ist die Nichte des berühmten Kurarztes, die nicht nur weiß an genau welchem Tag im Spätherbst der riesige Kachelofen erstmals angeheizt wird, sondern auch viele Anekdoten ihres berühmten Onkel erzählen kann. Die andere ist ihre, sowohl in marketingstrategischen, als auch in modischen Fragen, äußerst innovativen Hotelleiterin, welche die Geburtsstätte zielorientiert vermarktet. Und so treffen sich heute in den alten Mauern zum “Mayern” Schweizer Bankiers, österreichische Hofräte und deutsche Industrielle, durchsetzt von wahlkampfflüchtenden Politikerehefrauen und ganz normalen Durchschnittsgästen. Und alle sitzen sie brav, schön einzeln, damit nichts von der Kur ablenkt, an ihren Tischchen und versuchen morgens tapfer jeden Bissen des mindestens drei Tage alten Dinkelbrotes 30x zu kauen, angereichert höchstens durch ab und an einem Löffelchen Milch (welche hier natürlich nicht einfach Milch ist, sondern von einer biologisch hochwertigen Ziege gemolken wurde).
Der grundlegende Zusammenhang vom Zustand der Verdauungsorgane und der Gesundheit des Menschen, sowie der Mechanismus des Verdauungsapparates begeisterte Mayr und die Beseitigung der Auswirkungen einer gestörten Darmfunktion auf die Gesundheit und somit auch auf die Lebensfreude wurde zu seiner Lebensaufgabe.
Um den Verdauungsapparat zu säubern, ließ er seine Patienten morgens bis zu einem Liter frisches Quellwasser trinken und versuchte mit den Händen durch zarte rhythmische Drückungen der geblähten Gedärme die Peristaltik anzuregen. Die Darmgymnastik (jetzige manuelle Bauchbehandlung) pflegte er als Schulung des Darms zu bezeichnen, weil er durch den Druck seiner Hände, wie auf ein Kommando hin, den Darm veranlasste, intensiver zu arbeiten.
Schonung, Säuberung und Schulung des Darms sind das A und O der F. X. Mayr-Kur, die in der Regel mindestens drei Wochen dauern und unter ärztlicher Betreuung durchgeführt werden sollte.
Die Schonung wird durch das Fasten herbeigeführt, denn durch die nur noch geringe Nahrungsaufnahme wird der Darm entlastet. Die Säuberung erfolgt durch den morgendlichen Bitterwassertrank, während die Schulung durch das bewusste Kauen erfolgt. Kauen, solange, bis das Stück alte Semmel (Brötchen) sich im Munde buchstäblich verflüssigt hat und sich, man mag es zuerst ja gar nicht glauben, ein Sättigungsgefühl einstellt.
Da nun kein Mensch nur altes Brot mit ein bisschen Milch für längere Zeit freiwillig zu sich nehmen will, hat man die Kur im Laufe der Zeit etwas angereichert. Obligat sind Kräutertees “die man mit Honig süßen darf”, die sogenannte Basenbrühe, rohe Gemüsestäbchen “aus Paprika, Zucchini, Gurken, Kohlrabi oder Karotten” und natürlich Heil- oder Mineralwasser in jeder gewünschten Menge. Viele Kurstätten, so auch in seinem Geburtshaus, bieten zusätzlich gesunde, aber auch lecker schmeckende Produkte aus Ziegenmilch zu den verschiedenen Mahlzeiten an. Grundbedingung bei allen angebotenen Nahrungsmitteln ist jedoch auch in diesem Fall das lange gründliche Kauen (30-50x) derselben. Und so mancher Neuling wundert sich, wie viel Zeit er auf diese Art für das bisschen Essen benötigt. Zwanzig Minuten für eine Semmel sind die Regel! Wer sich so auf seine Essenstätigkeit konzentrieren muss, dem kann eigentlich nicht langweilig werden, zumal die Kur am Beginn den Körper fordert und man relativ rasch ermüdet. Viel Schlaf zwischen den einzelnen Sitzungen zur Nahrungsaufnahme ist daher am Kurbeginn angebracht. Der Check durch den Kurarzt und die verschiedenen angebotenen Zusatz-Programme zur “Leibesertüchtigung” werden die Freizeit auf nur noch wenige Stunden zusammenschrumpfen lassen.
Vielfach wird zur Mayr-Kur heute auch die Hydro-Colon-Therapie angeboten, der jedoch nicht jeder aufgeschlossen gegenüber steht und die von so manchem Medizin-Kollegen schlicht als “Geldschneiderei” abgetan wird. Nun, darüber mag sich jeder selbst informieren und seine Entscheidung dementsprechend treffen. Die Tatsache, dass die Therapie das Budget als eine extra zu bezahlende Zusatzleistung nicht unbeträchtlich belastet, bleibt hingegen bestehen.
Überhaupt: “Mayern”, wie die eingefleischten Anhänger sagen, ist nicht billig – aber, die Frage, ob unsere Gesundheit uns dies nicht wert ist, sollte man sich nicht erst dann stellen, wenn man diese nicht mehr hat. Und: Hand aufs Herz: Schaffen Sie das Entschlacken wirklich “allein zu Haus”? Nichts fordert Körper, Darm und Seele jedoch mehr, als ein abgebrochenes, erfolgloses Diätprogramm – dann sollte man es lieber ganz bleiben lassen, oder zumindest kurzfristig versuchen auf FdH umzusteigen.