Heidiland, ein Wunderland unter steilen Gipfeln und zu beiden Seiten des noch jungen Rheins mit dem Hauptort Bad Ragaz. Heimat einer heißen Therme und eines Pinguinforschers, der in der Antarktis erfror, Eldorado der Golfspieler und Weinkenner. Die Gästeliste ist so stattlich wie das Gebirge imposant. Unter anderen steht auf ihr Johanna Spyri, die hier ein Stück Weltliteratur ansiedelt (Heidi). Das prächtigste Palais (Äbtehaus) läßt ein Fürstbischof errichten (1774), das Schloß ein Ingenieur, der beim Bau des Panamakanals das Geld dazu verdient. Sein köstlicher Besitz heißt heute Schloßhotel Bad Ragaz. Impressionen von einer Idylle, die seit über einem Jahrhundert ein Märchen und ein Mädchen prägen!
„Man muß nicht alles so hinnehmen, was einem ein Peter sagt, man muß selbst probieren.” Diesen Satz läßt Johanna Spyri (*1829 Hirzel bei Zürich) die Großmutter Sesemann aus Frankfurt dem Mädchen Heidi von den Ragazer Bergen sagen. Peter ist der Geißhirt, der erkannt haben will: „Lesen kann man nicht lernen, es ist zu schwer.” Wir sind damit mitten in einem Genre, das unsere Welt zu bestimmen beginnt. Ein Präsident, Papst, Professor, Pfarrer - oder Peter - sagt irgend etwas, und schon plappert man ihm nach. Dem eigenen Verstand wird so Rot gesetzt, dem Unverstand Grün. Wenige lesen mehr etwas nach, folgen Großmutters Rat: „Man muß selbst probieren.”
Spyris Novelle ist ein phantastisches Psychogramm, das Kinder ehrt und belehrt, aber auch Erwachsenen helfen kann. „Wer etwas böses tut und denkt, es weiß es keiner”, so sagt die alte Sesemann, „der verrechnet sich immer.” Man muß heute den lieben Gott nicht mehr bemühen, weil dem Gewissen das „Wächterchen” der Oma sehr nahe kommt. Es hat „einen kleinen Stachel in der Hand”, so fährt die Sesemann fort, „mit dem sticht es nun in einem fort den Menschen, daß er gar keinen ruhigen Augenblick mehr hat.” Diese und ähnliche Lehrsätze der Psychologie versteckt die Spyri genial in ihrem Märchen mit realen Hintergrund. Reichtümer werden relativiert und Kräfte der Natur und des schlichten Menschenverstandes aufgezeigt. Güte und Barmherzigkeit leuchten, Besserwisserei und Gespreiztheit nicht.
“Unterdessen saß die Großmama unten im Bad Ragaz und war hocherfreut über die vortrefflichen Nachrichten, die täglich von der Alp heruntergelangten. Das Entzücken über ihr neues Leben steigerte sich bei Klara noch von Tag zu Tag, und sie wußte nicht genug zu sagen von der Güte und sorglichen Pflege des Großvaters und wie lustig und kurzweilig das Heidi sei, noch viel mehr als in Frankfurt, und wie sie jeden Morgen beim Erwachen immer zuerst denke: Oh, gottlob, ich bin noch auf der Alp.” (Auszug aus Johanna Spyris Heidi)
Das sind so die Gedanken, die einem in Ragaz kommen, die freilich jäh unterbrochen werden, wenn einem der Durchgangsverkehr die Gefahren aufzeigt, die Johann Spyri noch nicht kennt. Das Auto drängt und zwängt den Menschen an den Rand wie das Fräulein Rottenmeier das Heidi, das sich Adelheid nennen muß. So ist der Ort am schönsten, wo der Fußgänger keinen Verkehr zu fürchten hat. Park, Friedhof und Taminaschlucht, ein einzigartiges Stück Natur, an dessen Anfang ein bearbeiteter Mignatit steht. Er erinnert an den großen Pinguinforscher Bruno Zehnder (*1945 Bad Ragaz), der im Juli 1997 inmitten seiner Lieblingstiere in der Antarktis erfiert. Auf dem Gedenkstein lesen wir: „Er suchte das Leben in der Welt des Todes.”
Exakt dieses Wort steht Pate bei der Entschlüsselung des zweiten Gedenksteins von Format. Wir sind damit im nahen Friedhof, in dem das wohl wertvollste Ragazer Kunstwerk (aus Tiroler Marmor) steht, ein Spitzenprodukt des Klassizismus und seiner tief bewegenden und erregenden Ikonographie. Wir sprechen das Denkmal des am 20.August 1854 in Ragaz gestorbenen Philosophen Friedrich Wilhelm Schelling (*1775 Leonberg) an. Schöpfer ist der Architekt Georg Friedrich Ziebland (*1800 Regensburg), von dem in München die Antikensammlungen und St. Bonifaz und in Rom die Schlafzimmerfresken der Villa Malta stammen. Bezahlt wird alles vom bayerischen König Maximilian II. (*1811 München), der sich stolz zu den Schülern Schellings zählt.
Das Schelling-Denkmal hat deshalb einen besonderen Stellenwert, weil es ein letztesmal die griechische Sage und Klage um Tod und Jenseits in klassische rund grandioser Manier aufleben läßt. So prangen die Stelen nach ihrer Freilegung durch deutsche Archäologen in Athen (Kerameikos-Friedhof), die zwei feschen Karyatiden in Ragaz sind direkt vom Erechtheion auf der Akropolis geholt, ebenso die zarten Astragali, weiter der Akroterion, die Büste Schellings auf Palmettensockel, der Lehrstuhl und -saal im Tempel (Parthenon?), in dem das von Schelling gehaltene Buch natürlich gar nicht in die griechische Szenerie paßt. Schließlich das Geheimnis des Falters (im Olivenzweikranz) oben am Denkmal! Schmetterling heißt auf griechisch Psyche, die unsterblich ist. Dante greift das Motiv wieder auf. „So gaukle ich als Schmetterling aus dem Sarg meines Lebens”, schreibt Bettina von Arnim 1809 an Goethe. Acht Jahre später erscheint der Sommervogel im Kranz am Zürcher Grab Lavaters. Nach Ragaz fällt das Symbol der zum Himmel schwebenden Seele = Schmetterling der Vergessenheit anheim. Vergessen ist heute auch Schelling (sieht man von der nach ihm benannten Straße in München ab), der sich noch ganz zum Gottesgnadentum bekennt und darauf seine Philosophie baut. Seine Doktrin, in der Medizin sei „kaum Neues zu finden”, weist ihn als rückständig aus. Freilich, seine Wohnung nimmt er in Ragaz im schönsten Gebäude, dem Äbtehaus.
Schräg gegenüber der Quellenhof, wo sich der dritte deutsche Reichskanzler Hohenlohe-Schillingsfürst (*1819 Rotenburg/Fulda) so gern aufhält! Er ist ein flotter Gesellschafter, war schon bayerischer Ministerpräsident unter König Ludwig II. (Neuschwanstein, Linderhof). 1900 schauen ihm die vornehmen Damen in Ragaz nach. Im Jahr darauf kommt er wieder (aus Paris). Doch des Bades kann er sich nicht lange erfreuen. Er stirbt unerwartet am 7. Juli 1901 im Quellenhof, nur wenige Stunden übrigens nach Johanna Spyri.
Als die Todesnachricht um die Welt geht, wohnt in Ragaz schon der Ingenieur Conrad Sonderegger (*1858 Heiden) einer der leitenden Ingenieure beim Bau des Panamakanals, der dort soviel Geld verdient, daß er sich hier ein Schlößchen bauen kann. Nach seinem Tod im Jahr 1938 wird es zu einem Hotel umgebaut (Schloßhotel Bad Ragaz). Direktor Patrick Zettel setzt hier auf Gäste, die Ferien suchen, Golf spielen und gerne im Bad kuren. Im Winter schätzen sie die günstige Lage. „Wir befinden uns in einem der größten Skigebiete der Schweiz.” Als wir in seinem Hotel wohnen, ist auch gerade Harald Schmidt mit seinen Eltern da. Ein ruhiger Gast, der sich rührend um Mutter und Vater kümmert! Man fühlt sich wohl. Die Preise sind normal, die Zimmer groß, die Parkmöglichkeiten optimal, Bier und Wein gut und preiswert. Golfplatz direkt vor der Tür, die Therme nur vier Gehminuten entfernt.
Hier und im Quellenhof (Neubau mit Vorgängerfassade und Eisengitter; mit eigenem Bad) lebt eine reiche und kranke Schicht, eine erholungssuchende und sportliche, eine normale und extravagante. Hier trifft sich in John Knittels Roman Via Mala der reiche Andreas von Richenau mit der noch reicheren Luise Frobisch aus St. Gallen, um Golf und Tennis zu spielen. In der benachbarten Therme (104,37 mg/l Kationen, davon 55,1 Calcium, 28,4 Natrium, 17,4 Magnesium, 2,4 Kalium. - 287,38 mg/l Anionen.
“Andreas fuhr also in seinem Alpha Romeo nach Ragaz. Er hielt vor dem stattlichen Portal des Quellenhof-Hotels, sprang frisch und lebhaft aus dem Wagen, ging in die prunkvoll eingerichtete Halle und setzte sich hin. Eine halbe Stunde später fuhr draußen ein großes Auto vor. Er stand schnell auf, ging zur Tür und begrüßte Frau Frobisch und Luise. Er küßte sie beide, die Mutter etwas weniger herzlich als die Tochter - ein feiner Unterschied.” (Auszug aus John Knittels Roman Via Mala).”
davon 223,9 Bicarbonat, 34,0 Chlorid, 27,6 Sulfat, 1,2 Fluorid) herrscht ein Sprachengewirr mit asiatischen und amerikanischen Elementen, Kindertreiben und „Heidischmuserei”, wie ein Einheimischer das Verhalten der Jugend umschreibt. Schon ist das Bad zu klein, man denkt an eine Erweiterung hin zum Spielcasino.
Der weite Kurpark, der sich oft mit dem Golfplatz überschneidet, gehört zu den schönsten seiner Art und erstreckt sich bis zum Rhein. Hier stellt der englische Weltenbummler Thomas Coryate (*1577 Odcombe) 1608 einen „fetten und fruchtbaren Boden” fest, hier trifft der geile Kirchenfürst seine Mädchen - und Rainer Maria Rilke (*1875 Prag) seine alte Freundin, die Fürstin Marie von Thurn und Taxis, der er einst die Duineser Elegien widmete und ihr im Juni 1924 ein schwermütiges Gedicht schreibt: „Welt war in dem Antlitz der Geliebten.”
Die Liste der Illustren ist lang und in der Information der Stadt präsent. Direktor Hans Rudolf Schmid nennt viele Namen (Nietzsche, Zuckmayer, Edison, Lenau, Andersen, Thomas Mann). Ihre Porträts sind oben in der Gaststätte des ehemaligen Klosters Pfäfers vereinigt, aus dessen Nachbarschaft die heiße Quelle entspringt. Unbedingt aufsuchen! Zu Fuß braucht man eine gute Stunde, per Bus zehn Minuten. Das große Erlebnis am Ende der Klamm, wo der gesundheitsfördernde Born aus dem Felsen springt! In Pfäfers arbeitet Paracelsus (*1493 Einsiedeln) als Badearzt. Zu den Patienten, die über ein langes Seil in die tiefe Therme gelangen, zählen Zwingli (*1484 Wildhaus), der auch Hutten (*1488 Burg Steckelberg) hierherschickt, und James Cooper (*1789 Burlington), der Schöpfer des Lederstrumpf, weiter Martin Deutinger (*1815 Langenpreising/Oberbayern), einer der Lieblingstheologen des heutigen Papstes, und der Dichter Johann Gaudenz von Salis (*1762 Malans bei Ragaz).
Damit sind wir bei der bedeutendsten Familie des Landes. Ihr entstammen Generäle und Generalvikare, Kaufherren und Künstler, Intriganten und Idealisten, Verführer und Verführte. Hortensia von Salis (*1659 Maienfeld) ist eine berühmte Heilkundige und Schriftstellerin und mit Leutnant Rudolf Gugelberg von Moos verheiratet. Sie tritt als Protestantin unerschrocken für mehr Bildung und Gleichberechtigung der Frau ein. Nachfahrin Meta von Salis (*1855), eine gefeierte Dichterin, verficht ebenso die Rechte ihres Geschlechts und zählt zu den bekannten Frauenrechtlerinnen ihrer Epoche. Überall im Land (bis Chur) begegnet uns das Salis-Emblem mit einem nackten Mädchen. Von Portalen und Epitaphien, Palästen und Kirchen leuchtet sein praller Leib. Im Friedhof von Jenins (bei Ragaz) brüstet sich offenbar das Wappenmädchen auf dem Grabstein des Hauptmanns Johann Albert von Salis (*1791) so sehr, daß man es verstümmelt. Schade um das kleine Kunstwerk, das die Dummen auf dem Gewissen haben. Die Versalie D und M auf dem benachbarten Epitaph (um 1600) verstehen sie Gott sei Dank nicht. D M (= Dies manibus = Den Totengöttern). Pures Heidentum neben Christlichem, wenn wir den Vers auf einer Hauswand lesen:
Und sind doch hier nur fremde Gäste,
Und wo wir ewig sollten sein,
Da legen wir nur wenig ein.”
Hier auf der Höhe der Moral bewegt sich auch Johanna Spyri. Sie wohnt im Schloßbau direkt neben Kirche und Kirchhof, sagen die Einheimischen, von denen einige glauben, hier habe man ihr die seltsame Geschichte eines Mädchens erzählt, die heute zum Weltkulturerbe gehört. Das Heidi! Und so fahren wir vorbei am Denkmal des berühmt-berüchtigten Schriftstellers und Hugenottenführers Henri Duc de Rohan (*1579 Blain bei Nantes), dem man hier die beliebte Burgunderrebe verdankt, hinüber nach Maienfeld, zu demjenigen Ort, in den von Ragaz aus „das Heidi” von seiner Tante Dete auf einem Heuwagen gebracht wird. Die junge Frau ist noch Zofe im Hotel Quellenhof und zog als solche das nunmehr fast fünfjährige Mädchen groß. Kurz vor ihrer Fahrt nach Maienfeld bekam sie ein Angebot von Gästen (Sesemann) aus Frankfurt. So übergibt sie das Waisenkind dem Großvater, dem Alp-Öhi, einem Weltmann, der schon in neapolitanischen Diensten stand.
Maienfeld ist heute ein idyllischer Ort mit Wandmalereien und Sonnenuhren, plätschernden Brunnen und Weinlokalen. An einem Haus lesen wir:
Dann wirst du immer glücklich sein.”
Ringsum Weinhänge, die einen phantastischen Blick auf Ragaz und Rhein gewähren. Die Dorfkirche ist an Einfachheit nicht mehr zu überbieten. Das rührt von der Tatsache, daß man einst den Turm als Schießpulverdepot mißbrauchte, das 1720 explodierte und die Stadt vernichtete. Exakt von diesem Gotteshaus aus gehen Dete und Heidi zum Dörfli und dann zum Großvater. Spyri: „Vom freundlich gelegenen, alten Städtchen Mayenfeld aus führte ein Fußweg durch grüne, baumreiche Fluren bis zum Fuße der Höhen, die von dieser Seite groß und ernst auf das Tal herniederschauen.” Besuch und Genuß des Heidilandes steht von Maienfeld aus nichts mehr im Wege. Der Wanderer schreitet durch umfriedete Weinberge, bald sieht er das weite Rheintal in seiner ganzen Pracht. Ober-Rofels ist das Dörfli und der Weg zum Heidi gut markiert. Märchen und Mythos wird man gewahr, eine zauberhafte Landschaft und freundliche Menschen. Alles unbeschreiblich schön. Doch wie sagt die Frankfurter Großmutter: „Man muß selbst probieren.”
Schweiz Tourismus:
- Tel.: 00800 100 200 30 (gebührenfrei)
- E-mail: info@MySwitzerland.com
- Internet: www.MySwitzerland.com
Ferienregion Heidiland: - Tel.: 0041 81 7200820 - E-Mail: sabina.gantenbein@heidiland.com - Internet: www.heidiland.com
Bad Ragaz Tourismus: - Tel.: 0041 81 3004020 - E-mail: h.schmid@spavillage.ch - Internet: www.spavillage.ch
Hotel Schloß Ragaz: - Tel.: 0041 81 303 7777 - E-mail: info@hotelschlossragaz.ch - Internet: www.hotelschlossragaz.ch
Bad Ragaz und sein Heidiland bieten buchstäblich jedem Gast eine besondere Delikatesse. Kinder aus nah und fern lauschen der Heidi-Geschichte, wenn sie gerne wandern, ist der Urlaub gerettet. Sportler finden alles, was ihr Herz begehrt (Golf, Tennis usw.). An Regentagen locken Therme und Spielcasino. Nieselt es nur, erfrischt die Wanderung zum Kloster Pfäfers. Abends bieten die Weinlokale in Maienfeld ihre edlen Produkte an. Ein Ausflug ins nahe Chur (eigener Artikel) ist immer ratsam.
Spyri, Johanna: Heidi (in vielen Ausgaben und Sprachen erhältlich, für Kinder liegen illustrierte Ausgaben auf), Knittel, John: Via Mala (mit einer schönen Episode in Ragaz)