Über die allgemeine medizinische Situation auf Kreuzfahrtschiffen und sein neues Konzept sprach unsere Mitarbeiterin Carin Melzer mit Dr. Werner Kalbfleisch , Allgemeinmediziner und Konzessionär des Hospitals auf der MS “Astoria”.
Auf den deutschen Schiffen dürfte die Versorgung im Großen und Ganzen in Ordnung sein. Auf jeden Fall ist die Lage hier nicht so krass wie angeblich auf den amerikanischen Schiffen. In einer medizinischen Fachzeitschrift hat man die Situation dort als katastrophal beschrieben. Wortwörtlich wurde gesagt, es wäre eine lebensgefährliche Situation, wenn man sich dort in die Hände eines Arztes begibt. Die deutschen Schiffe schneiden diesbezüglich im Vergleich sicher sehr viel besser ab. Der Arztwechsel erfolgt auf deutschen Schiffen in kürzeren Abständen. Die Verweildauer des Arztes an Bord ist in der Regel viel kürzer. Man kann demzufolge davon ausgehen, dass die Ärzte zu Hause mehr Zeit für Fortbildungen aufbringen können und dass es sich um Ärzte handelt, die ihren Urlaub an Bord verbringen aber ansonsten erfolgreich in ihrer eigenen Praxis tätig sind.
Häufig sind das tatsächlich niedergelassene Ärzte, die ihre Ferien an Bord verbringen. Teilweise handelt es sich um Kollegen, die vor einem Arbeitsplatzwechsel stehen und an Bord eines Schiffes die Zeit überbrücken. Eine große Gruppe stellen auch die berenteten Ärzte dar. Der kleinste Teil entfällt auf die Ärzte, welche im Medizinmarkt keinen anderen Job finden. Für diese Ärzte bietet die Schiffsarzttätigkeit eine Möglichkeit, frei von Kritik und Fortbildungszwängen einer geregelten Arbeit nachzugehen. Gott sei Dank handelt es sich nur um einen kleinen Teil, aber es gibt ihn leider auch auf deutschen Schiffen.
Es gibt mehr Bewerber als offene Stellen. Seitens der Auswahlkriterien scheint es aber bei vielen Reedereien sehr lasch gehandhabt zu werden. Bei den Entscheidungsträgern handelt es sich nicht um medizinisch kompetente Spezialisten, sondern in der Regel um wirtschaftlich orientierte Manager. Diese Leute können in den wenigsten Fällen beurteilen, welche Qualifikation tatsächlich wichtig und notwendig ist. Entscheidend und ausreichend ist häufig nur das Vorliegen einer Approbation.
Er sieht zunächst einmal so aus, dass die kompletten Hospitalangelegenheiten outgesourced worden sind. Das heißt, Reederei und Veranstalter haben damit überhaupt nichts mehr zu tun. Die komplette Verantwotung wurde in externe Hände gelegt - natürlich verbunden mit den Auflagen, dass entsprechend qualifizierte Ärzte und auch kompetentes, erfahrenes Hilfspersonal an Bord kommen. Wie diese Auflagen gelöst und organisiert werden, ist alleinige Angelegenheit des Konzessionärs. Im Falle der “Astoria” also mein Problem. Ich habe Ärzte aus Bereichen rekrutiert, bei denen ich davon ausgehen kann, nur hochqualifizierte Kollegen zu finden. Sie kommen zum Beispiel aus dem Forum Reisemedizin. Forum Reisemedizin ist ein Verband, in dem man nur dann Mitglied wird, wenn man jedes Jahr entsprechende Fortbildungsnachweise beibringt. Wer sie nicht erbringt, fällt sofort wieder raus. In diesem Forum finden sich auf jeden Fall nur Ärzte, die gewillt und in der Lage sind, sich fortzubilden. Das sind tolle Kollegen mit zum Teil mehreren Fachausbildungen. Zur Allgemeinmedizin zusätzlich noch Innere Medizin, Chirurgie, Notfallmedizin und eben auch Reisemedizin.
Ich lasse mir die ganzen Unterlagen, bzw. Bescheinigungen ihrer Ausbildung und ihrer Fortbildungen zuschicken. Dann führe ich ausführliche telefonische Gespräche. Außerdem haben wir regelmäßige Treffen, mal im Süden, mal im Norden, zu denen die Kollegen eingeladen werden. Nur im persönlichen Kontakt kann man die medizinischen und menschlichen Qualitäten beurteilen.
Von über 80 Bewerbungen sind letztendlich 30 bis 35 Kollegen übrig geblieben. Damit ist wirklich eine optimale medizinische Betreuung auf der “Astoria” gewährleistet. Und nicht nur auf der “Astoria”. Wir haben so viele Ärzte, dass wir auch vier bis fünf weitere Schiffe mit einem medizinischen Team ausstatten könnten. Ursprünglich habe ich nicht daran geglaubt, so viele kompetente Kollegen finden zu können. Ich habe mich im worst case schon als Einzelkämpfer und Dauerarzt auf der “Astoria” gesehen. Dank meiner bundesweiten Kontakte ist dieses Problem nicht aufgetreten. Es scheint schwieriger zu sein, kompetente Schwestern zu finden als Ärzte.
Meine Schwestern wechseln sich im Dreimonatsrhythmus ab. Vom subjektiven Gefühl her freut man sich nach drei Monaten, wieder an Land gehen zu können. Meiner Meinung nach fördert es auch die Motivation, wenn man weiß, dass man nach drei Monaten an Bord anschließend eine dreimonatige, bezahlte Pause hat! Ich glaube, die Schwestern freuen sich darauf, wieder an Bord gehen zu können. Sie haben Spaß, Freude und Lust zu arbeiten.
Immer jeweils ein Arzt und ein oder zwei Schwestern. Die Schwestern gewährleisten durch ihre längere Dienstzeit an Bord eine gewisse Kontinuität. Da wir doch häufigere Arztwechsel in Kauf nehmen müssen ist es sinnvoll immer eine konstante Bezugsperson vor Ort zu haben. Wirklich gute und erfolgreiche Ärzte finde ich leider nur für einen zeitlich beschränkten Einsatz von vier bis sechs Wochen. Ich muss diesbezüglich leider den Wechselkompromiss eingehen.
Im Großen und Ganzen kann man das mit nein beantworten. Für die Passagiere stellt es überhaupt kein Problem dar. Da sie selbst nur für eine beschränkte Reisedauer an Bord sind, bemerken sie einen Arztwechsel gar nicht. Schwieriger ist es schon mit der Besatzung. Speziell der Kapitän und die Offiziere, müssen sich immer wieder auf einen neuen Schiffsarzt einstellen. Wir sorgen allerdings mit ausführlichem Briefing und Erfahrungsberichten im Internet dafür, dass den Ärzten die Gepflogenheiten und Verfahrensweisen an Bord genauestens bekannt sind. Wenn ein neuer Kollege auf das Schiff kommt, weiß er schon ganz genau, was er wann zu tun hat und wann er wem was zu melden hat. Die Besatzung hat es damit nicht mehr mit völligen Informationsfrischlingen zu tun.
Es funktioniert erstaunlich gut, wenn auch zunächst nicht völlig reibungslos. Das ist ja bislang auch absolutes Neuland. Da der Arzt nicht mehr Angestellter der Reederei ist, ändern sich auch seine Rechte. Elementare Pflichten unterscheiden ihn gleichzeitig aber auch von den anderen Konzessionären an Bord. Fehlt im Shop die Verkäuferin, kann man das Geschäft notfalls schließen, fehlt der Arzt an Bord, darf das Schiff nicht auslaufen! Es ist für die Offiziere nicht einfach, die neue Situation zu beurteilen. Im Fall der “Astoria” hat sich die Zusammenarbeit recht schnell eingespielt. Kapitän und Staffkapitän kamen als versierte Offiziere schnell mit der neuen Situation klar.
Das ist richtig! Ich möchte in erster Linie mehr Gesundheit verkaufen und nicht warten, bis jemand krank ist. Gesundheit heißt natürlich auch Gesundheitsberatung. Deshalb bieten wir auch an Seetagen medizinische Informationsveranstaltungen oder Roundtable-Gespräche an. Bezüglich der Themenwahl ist vieles möglich: “Neue Wege in der Asthma-Therapie” oder “Warum altert der Mensch?” oder “Sport bei älteren Menschen”, wer kann welchen Sport machen, wie sieht eine gesunde Lebensweise aus, welche Möglichkeiten gibt es? Darüber hinaus kann man über Diabetes informieren oder auch die Möglichkeiten der plastischen Chirurgie beleuchten. Man kann wirklich sehr vielfältige und breit gefächerte Themen aufgreifen. Von der chinesischen Medizin über Naturheilverfahren bis hin zur modernen Schmerztherapie ist alles möglich. Die Kollegen, die auf solche Fachgebiete spezialisiert sind, halten diese Roundtable-Gespräche ab. Die interessierten Passagiere haben die Möglichkeit, sich mit einem Spezialisten auseinander zu setzen und mit anderen Urlaubern Erfahrungen auszutauschen. Diese Form der Veranstaltung wird sehr gut angenommen. Meine beiden letzten Veranstaltungen zu Asthma und Diabetes wurden von jeweils 30 Personen besucht..
Modelle, in denen der Arzt sich sehr offensiv darstellt und zusätzliches Gesundheitsmarketing anbietet, gibt es bislang noch nicht. Jedenfalls ist mir nichts bekannt. Das sich manche Reedereien zunehmend Gedanken machen, kann man aber schon erkennen. Eine klares Konzept kristallisiert sich aber noch nicht heraus. Hier gibt es noch viel tun.
Es war wirklich interessant, die Reaktionen der Passagiere zu beobachten. Viele waren ja alte Kreuzfahrthasen und zunächst sehr überrascht, den Arzt ständig so präsent zu sehen. Mir wurde dann mehrmals bestätigt, dass es vielen Gästen ein Gefühl der Sicherheit vermittelt hat, den Schiffsarzt vom ersten Tag an zu kennen. Es ist ja wohl bisher oft so, dass sich der Arzt in seinen Katakomben verschanzt und praktisch während der Reise nicht sichtbar ist. So kann man natürlich kein Vertrauen bilden.
Möglich ist vieles. Beispielsweise nach Unfällen die Patienten so weit zu stabilisieren, bis eine weitere Behandlung in entsprechend ausgestatteten Häusern an Land möglich ist. Das heißt, wir können die gesamte Notfallmedizin, die man auch in einem Rettungswagen oder Rettungshubschrauber anbietet, stellen. Man könnte theoretisch auch kleinere Operationen durchführen. Nur ist hierbei das Risiko an Bord viel größer als das Transportrisiko. Es sei denn, man befindet sich mitten auf dem Atlantik oder irgendwo in der Dritten Welt, wo der Patient im Bordhospital besser aufgehoben ist als in einem Buschkrankenhaus. Uns stehen die wichtigsten diagnostischen Hilfsmittel wie Labor und Röntgen zur Verfügung. Wir können eine zahnärztliche Notfallbehandlung durchführen. Das heißt Schmerzbekämpfung und Zahnkonservierung. Zusätzlich gibt es auf der “Astoria” eine vollausgestattete Dialyse-Station, in der auch Dialyse-Patienten auf ausgesuchten Reisen optimal betreut werden können. Diese wird jedoch unabhängig vom Hospital von einem spezialisierten Kollegen aus Hamburg betrieben.