Ab nach Piran! So nur kann die Devise lauten, wenn im Leben einmal wieder alles schief läuft. Aber auch, wenn man vor Glück zerspringen könnte! In dieser Kleinstadt, in der die zwei Göttinnen des Staates und der Wissenschaften (Minerva) und die der Stärke und Tapferkeit (Fortitudo) den Stadtbrunnen bewachen und Venus das schönste Haus am Platz behütet, dort wo der Prager Bürgerrechtler Vaclav Havel über die Zukunft Europas diskutiert und Folke Tegetthoff seine Märchen (Der Engel von Pirano) erzählt, dort wo man auf das Schloß Miramar der Kaiserin Elisabeth sieht und auf die Burg Duino Rainer Maria Rilkes (Duineser Elegien), dort wo die Einheimischen ihren Wein auf den engen Dachterrassen trinken und jeder Bürgermeister die nächste Wahl verliert, wenn er den Autoverkehr reduzierte, dort wo der Segelhafen an San Tropez erinnert und die Meerjungfrau beim Leuchtturm verlockender wirkt und winkt als in Kopenhagen, dort, geben die Götter auch in Zeiten vielfältiger Kontroversen den guten Rat: Lassa pur dir = Naj Giovorijo = Laßt sie reden.
Diesen Spruch bringt im 16. Jahrhundert ein verliebter Venezianer an das schönste Haus am Platz an. Er schenkt es seiner Geliebten, einer Einheimischen. Einfach so! Die venezianischen Bögen und das Interieur erinnern an den Canal grande. Oben ein großes, feines Liebesnest. Möglicherweise läßt man die Vorhänge nicht fallen, denn die Begegnungen zwischen Piran (weiblich) und Venedig (männlich) erregen und bewegen die Altjungfernzungen der Stadt bald gar so, daß sie von Sündenpfuhl, Satan und Hölle sprechen. So versteht man besagten Satz, den der galante Venezianer am kaminroten Haus der Mätresse anbringen läßt: Laßt sie reden!
Fast sprachlos ist man dagegen, wenn man heute unten im Laden die Spezialitäten der Umgebung bestaunt. Berühmt in aller Welt gemacht hat Piran zunächst das tausendfach ausgezeichnete Salz, das am Meeressaum ringsum gewonnen wird. Man verarbeitet es zu Peeling und Seife, man verkauft es in großen und kleinen Mengen. Jeder Küchenchef greift gerne zu diesem weißen Gold. Natürlich hat alles seinen Preis. Der Besucher im Haus bestaunt weiter edle Holzprodukte und Mitbringsel – und irgendwo, fast versteckt, liegt eine CD auf. „Srecanje s Tartinijem – Inconzto con Tartini“ lautet der Titel.
Womit wir beim berühmtesten Sohn der Kleinstadt sind, der zwei Häuser weiter am 8. April 1692 als Sohn wohlhabender Eltern geboren wird. Er heißt Giuseppe Tartini und beherrscht in überlebensgroßer Nachbildung den weiten Platz vor dem Haus seiner Kindheit. Wer ist dieser Mann, fragt sich natürlich jeder Besucher. Die Antwort lautet: Ein Komponist, der durch ein einziges Werk Weltberühmtheit erlangt. Die Rede ist von der Teufelstrillersonate, die heute zum Repertoire der besten Geiger(innen), wie Anne-Sophie Mutter, gehört. Der Satan geht um in Piran, das ahnt oder weiß schon Tartini, der eines Nachts folgenden Traum hat: Er schließt einen Pakt mit dem Teufel und gibt ihm seine beste Violine. Dieses wunderbare Instrument beherrscht dieser so grandios, daß Tartini die geträumten Töne des Höllenfürsten nach dem Erwachen zu Papier bringt.
Heute ein Stück der Psychoanalyse! Warum spielt der Teufel so schön, warum diese bezaubernden Töne, in der Musikgeschichte so einmalig wie herzzerreißend? Dann in den anderen Werken des Meisters aus Piran die steten Anspielungen an Liebeskummer und Seelenleid, an das Selbstverständliche und doch manchmal so weit Entfernte? Die Sehnsucht findet nirgends solche Sequenzen auf dem Notenpapier.
Man muß als Gast in Piran besagte CD einfach hören! Dann öffnet sich eine farbige und faszinierende Welt, die sich denn auch prompt in Tartinis Vita spiegelt: Vater ist ein bigotter Venezianer, die Mutter eine fesche, lebenslustige Frau vom Ort. Sie heißt Caterina Zangrando, stammt aus einer alten Familie und will offensichtlich nicht, daß ihr schöner Sohn Franziskanermönch wird, wie Vater plant. Vorerst wird Giuseppe nach Padua zur musikalischen Ausbildung geschickt, doch er denkt Tag und Nacht an seine Geliebte Elisabetta Premazone, die zwar sehr hübsch, aber eines niedrigen Standes ist. Da stirbt 1710 der Vater, der nunmehrige Halbwaise wird 18, er wähnt sich endlich frei von väterlicher Fessel – und heiratet seine attraktive Geliebte.
Doch über der Hochzeitsnacht schweben schwarze Wolken! Der lüsterne Kardinal Giorgo Cornaro, 1658 in Venedig in einem sehr vornehmen Haus geboren, im Geburtsjahr Tartinis zum Priester geweiht, lockt die zarte Elisabetta in das Bett seiner Gelüste. Gleichzeitig läßt er ihrem Ehemann Giuseppe mitteilen, er werde ihn in ein Kerkerloch werfen. Sofort flieht Tartini daraufhin nach Assisi, von dort nach Ancona, weiter nach Venedig und schließlich nach Padua, wo er der nachweislich erste Eigentümer einer Stradivari wird. Dort an der Kirche des „Gschlamperlpatrons“ Antonius gründet er 1726 eine damals weltberühmte Musikschule. Zu seinen Schülern gehören unter anderen der Franzose Joseph Touchemoulin, Mitglied einer der besten europäischen Orchester, des der Thurn und Taxis in Regensburg, und Gottlieb Graun, Konzertmeister am Hof des Preußenkönigs Friedrichs des Großen. Zu Tartinis Lesern zählt man schließlich Leopold Mozart in Salzburg.
Die Sonate um den Teufel und die Stücke um Liebe und Leid begleiten natürlich den Gast in Piran in den winkeligen Gassen und auf idyllischen Plätzen, in den Bars und Restaurants, in den Kirchen und Läden. Von hoch oben, neben der Kirche San Giorgio, sieht man weit nach Grado und Triest, die Dolomiten bauen sich vor dem Betrachter auf. Der Campanile hier oben ist dem des Markusplatzes in Venedig nachgebaut. Im Gotteshaus drinnen hört man eine wunderbare Kirchenmusik. Überall das blaue Meer und in den Bars am Ufer der funkelnde Wein des Landes im Glas!
Diesen baut auch die Familie Fonda an, ein Unternehmen mit Dr. Irena Fonda als Direktorin an der Spitze. Eine gelernte Biologin, unglaublich charmant, die sich zudem mit der Züchtung des Wolfsbarschs im heimischen Meer, dicht an der kroatischen Grenze, beschäftigt. Ein Spezialgebiet ist auch das Olivenöl, das heute in alle Welt exportiert wird. Und immer wieder stößt man auf die Salzgewinnung und den Satz: „Salz ist Meer, das nicht in den Himmel zurückkehren konnte.“ Zu Tartinis Teufelstrillersonate ist also nach dem Genuß von Wein und Wolfsbarsch nicht weit. Die Gedanken sind frei!
Aber wie das alles letztlich logisch zusammenpassen soll und kann, wissen wir dann auch nicht so genau. Dafür entdecken wir beim Grübeln auf einem Straßenschild Pirans den Namen des großen slowenischen Dichters Fran Vidic, der 1800 das Licht der Welt erblickt. Jedes Kind kennt ihn heute, ein Vers von ihm wurde zur Nationalhymne bestimmt: „Es leben alle Völker,/ Die sehnend warten auf den Tag,/ Daß unter dieser Sonne/ Die Welt dem alten Streit entsagt!/ Frei sei dann jedermann!“
Zu Vidics Zeit ist Slowenien ein Teil der Habsburger Monarchie. Kaiser Franz Joseph und Elisabeth sind öfter hier, in der Nähe liegt Lipica, das weltbekannte Gestüt. Auch die Adelsberger Grotte, die zweitgrößte erschlossene unserer Erde, bestaunen sie. Damit sind wir bei den tausendfältigen Ausflugsmöglichkeiten. Strand und Thermalbäder von Portoroz und Krka liegen sozusagen um die Ecke, einen Tagesausflug in die Landeshauptstadt Ljubljana wird man nicht bereuen. Nova Gorizia erinnert an die einst so unglückselige Teilung Europas, der Fluß Isonzo an die Barbarei des Ersten Weltkrieges.
Schnell sind wir aber wieder in der Gegenwart, beim Anblick der satten Reben und Granatäpfeln zum Beispiel. Wir sehen fröhliche Leute, man ist stolz, zur EU zu gehören und mit dem Euro zu bezahlen. Irgendwann fällt auch die Grenze zu Kroatien, hofft man. Irgendwann wird auch der regelmäßige Schiffsverkehr nach Triest und Venedig möglich sein. Doch das Erreichte und die geographische und historische Vielfalt des Landes Slowenien versetzen den Besucher heute schon in ein Paradies, in dem sogar der Teufel und seine Fidel viel Platz haben. Von welchem Staat kann man das heute sagen?
Weitere Informationen unter: Slowenische Fremdenverkehrsamt - Tel.: 089 2916 1202; Fax 089 2916 1273 - E-Mail: slowenien.fva@t-online.de - Internet: www.slovenia.info