Auch wenn ich wahrlich kein Liebhaber von Mäusen bin, die Meldung dass man mit einem Designer-Protein gelähmte Mäuse geheilt werden können, lies mich standfest weiterlesen. Denn normalerweise nehme ich, sobald ich eine Maus in meiner Nähe vermute oder gar sehe, Reißaus, denn sie könnten über meine Füße steigen. Und lesen will ich lieber auch nichts von den Nagern. Aber gelähmte, speziell querschnittgelähmte Mäuschen? Die bedauere ich wirklich. Und wünsche ihnen ihre Beweglichkeit zurück.
Doch nun zu dieser Meldung, die etwas verkündet, was nach bislang bekannten Maßstäben nicht möglich war oder noch Wunschdenken ist.
Querschnittslähmungen treten meist dann auf, wenn das Rückenmark durch ein Trauma, einen Unfall oder durch Erkrankungen, auch von umgebenden Strukturen, verletzt wurde. Das Ausmaß des Schadens hängt von dem Ort der Verletzung, der Art der Verletzung und der Nervenbahnen sowie dem Grad der Verletzung ab. Neben motorischen Störungen (Bewegungsunfähigkeit) und sensorischen Ausfällen (Gefühlsstörungen bis hin zur Taubheit der umgebenden Gewebe) kommt es auch zu vegetativen Problemen: im Magen-Darm-Bereich, der Blase, der Sexualfunktion. Zudem fällt nicht selten die Regulation der Herzfrequenz und des Blutdrucks aus. Die Ursache all dieser Ausfälle liegt in der Schädigung von Axonen, Nervenfasern, die Informationen vom Gehirn zu den Muskeln und umgekehrt von der haut und Muskeln zurück ins Hirn leiten. Sind die Axone geschädigt, ist diese Kommunikation unterbrochen.
Bislang gelten Lähmungen nach Rückenmarksschädigungen irreparabel. Nun scheint es dennoch Hoffnung zu geben. Forscher der Ruhr-Universität Bochum (RUB) haben herausgefunden, dass mit einem Designer-Zytokin, dem Hyper-Interleukin-6 (hIl-6) Nervenzellen zur Regeneration angeregt werden können. Dabei spielt die Art und Weise, wie hIl-6 zugeführt wird eine Rolle.
Zum Verständnis: Zytokine sind Proteine, die das Wachstum und die Differenzierung von Zellen regulieren. Bei hIl-6 handelt es sich um ein sogen. Designer-Zytokin. Es kommt so in der Natur nicht vor und wurde gentechnologisch hergestellt.
Neben der direkten Injektion von hIl-6 ins Gewebe von leicht zugänglichen Hirnarealen injizierten die Forscher auch Viren mit den Bauplänen für Hyper-Interleukin-6. Damit wurden Motoneurone (Nervenzellen des motosensorischen Cortex) angeregt, das hIl-6 zu produzieren. Da die Motoneurone über axonale Seitenäste auch mit anderen für die Bewegung zuständige Nervenzellen verbunden sind, konnte das Interleukin direkt in diese sonst schwer zugänglichen, aber wichtigen Nervenzellen transportiert und dort freigesetzt werden. Durch diese gentherapeutische Behandlung von nur wenigen Nervenzellen wurde die gleichzeitige Regeneration von verschiedenen Nervenzellen im Gehirn und einiger motorischer Trakte im Rückenmark angeregt. Damit wurde ermöglicht, dass die Mäuse ihre ersten Gehrversuche nach 2-3 Wochen starteten.
Nach diesem vielversprechenden Anfang wollen die Forscher nun die Gaben von hIl-6 weiter optimieren und mit weiteren Maßnahmen kombinieren, um zusätzliche Funktionsverbesserungen zu erreichen.
Vor allem wollten sie untersuchen, ob mit hIl-6 Erfolge auch dann zu erreichen sind, wenn die Verletzung bereist mehrere Wochen zurückliegt. Dies wäre ein Aspekt, der für die Anwendung am Menschen besonders relevant ist. Das Rückenmark von betroffenen Patienten könnte regeneriert und geheilt, zumindest jedoch teilweise wieder mobil gemacht werden.
Die Zukunft wird zeigen, ob Querschnittgelähmte auf ein zweites Leben hoffen dürfen - zu wünschen wäre es Ihnen allemal!
Originalpublikation: Marco Leibinger, Charlotte Zeitler, Philipp Gobrecht, Anastasia Andreadaki, Günter Gisselmann, Dietmar Fischer: Transneuronal delivery of hyper-IL-6 enables functional recovery after severe spinal cord injury in mice, in: Nature Communications, 2021, DOI: 10.1038/s41467-020-20112-4. https://rdcu.be/cdCob