Eine durchaus interessante Meldung des Deutschen Krebsforschungszentrums läßt aufhorchen. Dort hat man herausgefunden, dass sogenannte epigenetisch wirkende Medikamente es ermöglichen, dass in der Zelle Bereiche des Erbguts abgelesen werden, die vorher blockiert und unzugänglich waren. Immuntherapien sind fester Bestandteil des Behandlungsspektrums bei vielen Krebsarten. Doch nicht jeder Patient profitiert von ihnen. Dass das Immunsystem des Patienten die Krebszellen nicht als solche erkennt, kann ein Grund für das Versagen dieser Behandlungsform sein. Denn Krebszellen tragen auf ihrer Oberfläche Eiweißstrukturen, so genannte Antigene, an denen die T-Zellen des Immunsystems sie von gesunden Körperzellen unterscheiden können.
Bei diesen Antigenen kann es sich zum Beispiel um krebsassoziierte Proteine („tumorassoziierte Antigene”) oder um durch Mutationen veränderte Proteine handeln. Es können aber auch ganz neue Genprodukte sein, die in Tumorzellen durch das Ablesen ganz neuer Genabschnitte entstehen.
Wissenschaftler um Christoph Plass, DKFZ, und Juliane Walz, Universität und Universitätsklinikum Tübingen, hatten nun die Idee, Krebszellen für das Immunsystem noch sichtbarer zu machen: Sie rüsten die Zellen mit ganz neuen Antigenen aus - nämlich mit epigenetisch aktiven Krebsmedikamenten. Bei vielen Krebserkrankungen kommen diese Wirkstoffe zum Einsatz. Sie wirken auf sogenannte epigenetische Markierungen auf der DNA oder DNA-Verpackungsproteinen, den Histonen. Epigenetische Markierungen sind entscheidend für das Ablesen bestimmter Bereiche des Erbguts in mRNA durch die Zelle.
Demethylierende Medikamente wie Decitabin1 oder sogenannte HDAC-Inhibitoren (Histon-Deacetylase-Inhibitoren) gehören zu diesen Wirkstoffen. Sie führen dazu, dass bisher blockierte, nicht zugängliche Bereiche des Erbguts abgelesen werden können und auf diese Weise neue mRNA-Transkripte in der Zelle entstehen.
Durch die Behandlung einer Lungenkrebszelllinie in der Kulturschale mit Decitabin und HDAC-Inhibitoren wurden tatsächlich mehrere tausend neue Transkripte induziert, wie das Team um Plass durch RNA-Analysen herausfand. Die Mehrheit dieser neuen Transkripte entstammte endogenen Retroviren. Diese Sequenzen, die bis zu acht Prozent des menschlichen Genoms ausmachen, gelten als Relikte früherer Retrovirusinfektionen. Epigenetische Mechanismen blockieren normalerweise ihre Transkription. Der Effekt der durch Decitabine und den HDAC-Inhibitoren induzierten Neoepitope fällt in Krebszellen weitaus stärker aus als in gesunden Zellen. Experten sehen die Ursache für diesen Unterschied in der hohen Proliferationsrate der Krebszellen.
Die spannende Frage war nun, ob diese „therapieinduzierten Transkripte” tatsächlich für immunogene Proteinabschnitte, so genannte Peptide, kodieren. Das Team um Juliane Walz überprüfte dies mit Hilfe der Massenspektrometrie. So konnten die Forscher 45 „Neoepitope” identifizieren, die nach der Behandlung auf der Oberfläche der Krebszellen präsentiert wurden. Vergleichbare Ergebnisse erzielten die Forschenden mit einem breiten Spektrum verschiedener Krebszelllinien. Mit den therapieinduzierten Neoepitopen konnten zytotoxische T-Zellen in der Kulturschale aktiviert werden.
„Die Induktion von Neoantigenen durch epigenetische Wirkstoffe könnte ein neuer Weg sein, um mit Medikamenten-Kombinationen die Wirksamkeit von Krebsimmuntherapien zu steigern. Mit weiteren Untersuchungen wollen wir herausfinden, ob es möglich ist zielgerichtete Immunotherapien gegen diese Neoantigene zu entwickeln”, sagt Studienleiter Christoph Plass.
Decitabine werden u. a. zur Behandlung der akuten myeloischen Leukämie (AML) eingesetzt ↩