Abnehmen ist leichter gesagt als getan, das wissen nicht nur fettleibige. Daher hörte sich die Meldung, dass ein Diabetes-Medikament auch beim Abnehmen helfen könne, fast paradiesisch an. Allerdings hat dieses Paradies auch einen Höllenzugang.
GLP-1-Rezeptor-Agonisten nennt sich eine Wirkstoffgruppe, zu der auch Semaglutid gehört. Entwickelt als Medikament für Diabetiker, hat es sich zum Lifestyle-Fertigpen entwickelt. Angeblich hat auch der nicht immer schlanke Elon Musk sich den Fertigpen verabreicht, um ganz mühelos wieder rank und schlank zu erscheinen. Doch was steckt hinter diesem Hype?
Richtig ist, dass das zur Behandlung von Diabetes Typ 2 eingesetzte Semaglutid, darüber hinaus beim Abnehmen helfen kann. In Zeiten von immer schneller anwachsenden Zahlen von Adipösen1 eigentlich ein Lottogewinn. Denn, so berichtete die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie (DGE) bereits im November 2022, Semaglutid führt auch bei Menschen ohne Diabetes zu einer Gewichtsreduktion von etwa 15 Prozent. Es wirkt als Appetithämmer, ähnlich wie das körpereigene Hormon GLP-1. So weit, so gut. Weniger erfreulich ist jedoch, dass das Präparat mittlerweile “off label“, also ohne Zulassung, bei Übergewichtigen als Life-Style-Medikament zum Abnehmen eingesetzt wird. Die Deutsche Gesellschaft für Endokrinologie e. V. (DGE) weist nicht nur aus diesem Grund auf die Risiken und Nebenwirkungen einer unkontrollierten Anwendung hin. Zudem, so die Ärzte-Gesellschaft, gefährde der Ansturm auf die Medikamente die Versorgung der eigentlichen Zielgruppe, der Diabetiker.
Adipositas ist direkt oder indirekt für etwa sieben Prozent aller Todesfälle verantwortlich. „Gefährlich ist Dickleibigkeit besonders für Menschen mit Risiken und Vorerkrankungen, etwa Bluthochdruck, erhöhte Blutfette oder Diabetes Typ 2“, sagt Professor Dr. med. Harald J. Schneider von der DGE. Denn Bauchspeck, also viel Fettgewebe in der Unterhaut sowie rund um die inneren Bauchorgane, sei mit Insulinresistenz und chronischen Entzündungen assoziiert.
Sogenannte GLP-1-Rezeptor-Agonisten helfen erfolgreich bei der Kontrolle des Diabetes und beim Abnehmen, indem sie Völlegefühl verstärken und Hunger und Heißhunger reduzieren. Vor allem der GLP-1-Rezeptor-Agonist Semaglutid tut sich, als wöchentlich verabreichte Spritze, in Bezug auf eine Gewichtsreduktion besonders hervor. So wies die klinische STEP-1-Studie eine Gewichtsreduktion unter Therapie mit Semaglutid nach 68 Wochen bei 14,9 Prozent aus. Die Studien-Teilnehmer mussten dazu jedoch auch ihren Lebensstil ändern. Die Placebo-Gruppe nahm im gleichen Zeitraum nur 2,4 Prozent ab.
In den USA ist Semaglutid (Handelsnamen Wegovy®) bereits zur Therapie bei Adipositas seit 2021 zugelassen. Seit Januar 2022 hat Wegovy® auch die Zulassung der EU-Kommission in der Indikation bei Adipositas erhalten.
Voraussetzung ist entweder ein BMI von 27 oder höher, mit mindestens einer gewichtsbedingten Begleiterkrankung oder ein BMI von 30 oder höher, jeweils in Verbindung mit der Durchführung einer kalorienreduzierten Diät und erhöhter körperlicher Aktivität. Allerdings ist das Medikament derzeit aufgrund von Lieferengpässen in Europa nicht erhältlich.
„Es ist naheliegend, dass sich die Aufmerksamkeit auch der ansonsten gesunden aber übergewichtigen Normalbevölkerung auf die neuen Wirkstoffe richtet“, stellt Prof. Dr. Schneider fest. Er nennt die USA als Beispiel: „Dort wird das verschreibungspflichtige Diabetesmedikament Ozempic® sehr stark im Off-Label-Use, also ohne Zulassung, zur Gewichtsreduktion verwendet; auch weil viele Prominente wie Elon Musk das stark bewerben. Alleine der Hashtag #Ozempic wurde 350 Millionen Mal in Sozialen Medien geteilt“, berichtet er.
Dieser Hype hat natürlich Folgen für jene, die es tatsächlich bräuchten: Die Typ 2 Diabetiker.
Die DGE warnt zudem vor unkontrollierter Anwendung ohne Indikation. Denn diese ist mit Risiken und Nebenwirkungen verbunden, etwa Übelkeit und Erbrechen. Aber auch Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse und Gallenblase können die Folge sein. In Tierversuchen fand man zudem ein potenziell erhöhtes Risiko für bestimmte Schilddrüsenkrebsarten. Auch über die Langzeitwirkungen ist derzeit noch nichts bekannt.
„Adipositas ist nicht nur ein Lifestyle-Problem, sondern als Erkrankung zu werten“, sagt Professor Dr. med. Stephan Petersenn von der ENDOC Praxis für Endokrinologie und Andrologie in Hamburg. „Mit den GLP1-Agonisten besteht eine interessante Therapieoption, die jedoch immer in Zusammenhang mit diätetischen Maßnahmen erfolgen sollte. Hier ist wichtig, dass die Anwendung nur unter erfahrener ärztlicher Begleitung etwa von Endokrinologinnen und Endokrinologen oder Diabetologinnen und Diabetologen erfolgt.“
Bislang übernehmen die Krankenkassen allerdings nicht die Kosten der Medikation.
2017 lagen die Schätzungen der an Adipositas erkrankten Menschen weltweit bei mehr als 700 Millionen. ↩