Die Heileurythmie sei „eine sichtbar gewordene Sprache und eine sichtbar gewordene Musik”, so beschreibt es Pirkko Ollilainen, Heileurythmistin an der anthroposophischen Filderklinik bei Stuttgart. Sie kommt im Rahmen der Anthroposophischen Medizin bereits seit über 80 Jahren erfolgreich in der Behandlung akuter und chronischer Erkrankungen zum Einsatz. Ursprünglich entwickelte Rudolf Steiner¹ (1861-1925), der Begründer der Anthroposophie, diese besondere Bewegungstherapie aus der bereits bestehenden künstlerischen Eurythmie - das bedeutet wortwörtlich „schöner Rhythmus” (aus dem Griechischen „eu” = schön). Inzwischen wird die Heileurythmie unter dem Gesichtspunkt der Salutogenese zunehmend und mit Erfolg zur Krankheitsprävention eingesetzt. Dann spricht man allerdings von „hygienischer” oder „heilender” Eurythmie, die meist in der Gruppe praktiziert wird, im Vergleich zur rein kurativen Einzeltherapie in der Heileurythmie.¹
In der Eurythmie korrespondieren bestimmte Arm- und Beinbewegungen mit den einzelnen Buchstaben des Alphabets (Vokale und Konsonanten) und mit Tönen sowie Intervallen aus der Musik. Einzelne dieser Laute und Gesten intensiv und wiederholt zu üben, den Bewegungsprozess dabei bewusst nachzuempfinden und in Gedanken zu begleiten, ist in der Heileurythmie der Ansatz, um heilende Wirkungen zu erzielen. Zum einen geht es darum, die gesund erhaltenden Kräfte des Körpers zu unterstützen, „denn bewusst ausgeführte Bewegungen stärken den Lebensfluss”, wie Dr. med. Franziska Roemer erläutert, die Leiterin der Fachberatung Medizin und Heileurythmistin bei der WALA Heilmittel GmbH. Andererseits können unbewusste, vegetative Vorgänge wie Organfunktionen wirksam beeinflusst und harmonisiert werden, so dass die eurythmischen Bewegungen eine Verbindung zwischen äußerer Bewegung und inneren, funktionalen Lebensvorgängen des Organismus schaffen. Für den Einzelnen ergeben sich daraus konkrete Möglichkeiten zur individuellen Stressbewältigung, denn die einmal gelernten Übungen können in den Tagesablauf eingebunden und dann auch alleine regelmäßig durchgeführt werden. So kann man lernen, gestaltend und regulierend in das eigene Körpergefüge einzugreifen, um auf diese Weise nachhaltig die Gesunderhaltung zu unterstützen.
Inzwischen belegt sogar eine an der Berliner Charité durchgeführte und von der Dr. Hauschka Stiftung unterstützte Studie, dass Eurythmieübungen die Herzfunktion, speziell die Herzfrequenzvariabilität, von gesunden Probanden beeinflussen.³ „Es gibt Hinweise darauf, dass eine hohe Herzfrequenz-variabilität in Verbindung steht mit einer guten gesundheitsbezogenen Lebensqualität und gesteigerter Selbstregulationsfähigkeit und dass sie die Krankheitssymptome bei chronisch kranken Patienten mindert”, erklärt Dr. med. Georg Seifert, Leiter der Studie. Bei den Probanden war während zweier eurythmischer Übungen (B- und L-Übung) die Herzfrequenzvariabilität deutlich höher als während des zur Kontrolle mit ähnlicher Belastung durchgeführten konventionellen Ergometertrainings. In der auf die Aktivität folgenden Ruhephase führte die Heileurythmie zu einer tieferen und besseren Entspannung verglichen mit jener nach dem Ergometertraining. Eine weitere, mit gesunden, jedoch leicht gestressten Probanden, durchgeführte Studie⁴ bestätigte diese Ergebnisse: Nach sechs Wochen wiesen die Probanden, die zweimal wöchentlich eine Stunde Heileurythmie gemacht hatten, im Vergleich zur Kontrollgruppe eine erhöhte Selbstregulation bezüglich Stress auf, die Fragebogen zeigten bessere Müdigkeitswerte und insgesamt kam es zu einer höheren Lebensqualität, die sich über die erhöhte Herzfrequenzvariabilität objektivieren ließ.
¹⁾ Zu Leben und Wirken siehe auch die zwei bis zum 3. Oktober 2010 laufenden Ausstellungen im Kunstmuseum Wolfsburg: „Rudolf Steiner und die Kunst der Gegenwart” und „Rudolf Steiner - Die Alchemie des Alltags”, www.kunstmuseum-wolfsburg.de.
²⁾ Für weitere Informationen sowie Adressen von Heileurythmisten in Deutschland siehe www.berufsverband-heileurythmie.de.
³⁾ Seifert G, et al. Effects of complementary eurythmy therapy on heart rate variability. Complementary Therapies in Medicine 2009; 17: 161-167.
⁴⁾ Seifert G, et al. The impact of eurythmy therapy on stress coping strategies and health-related quality of life in healthy adults: a controlled trial. 5th International Congress on Complementary Medicine Research (ICCMR) 2010 Abstract Book; 1: 11-12.