Die Medizin bringt immer neue Möglichkeiten hervor, selbst todkranke und sehr alte Menschen am Leben zu erhalten. Doch am Lebensende entscheiden viele Betroffene und Angehörige anders: Bei 70 Prozent der Todesfälle auf einer Intensivstation geht ein Behandlungsverzicht oder eine Therapielimitierung voran.
Rund jeder achte Todesfall in Deutschland ereignet sich auf einer Intensivstation, und meist kommt der Tod dort nicht plötzlich oder überraschend. „In vielen Fällen geht dem Sterben auf der Intensivstation ein Behandlungsverzicht voran – lebenserhaltende Maßnahmen werden also bewusst beendet, begrenzt oder gar nicht erst begonnen“, sagt Professor Dr. med. Uwe Janssens, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin am St. Antonius-Hospital Eschweiler und Generalsekretär der DGIIN.
Alle intensivmedizinischen Entscheidungen basieren auf dem Patientenwillen, der jeweils individuell ermittelt werden muss. Im Idealfall ist der Patient selbst noch in der Lage, in eine Behandlung einzuwilligen oder sie abzulehnen. Ist dies nicht der Fall, kommt der Patientenverfügung eine wichtige Rolle zu. Am besten liegt sie als individuell ausformuliertes Dokument vor, das möglichst viele Behandlungssituationen abdeckt. Weit weniger aussagekräftig sind vorgefertigte Formulare aus dem Internet, die nur angekreuzt werden müssen. „Hier besteht die Gefahr, dass dem Patienten nicht alle Konsequenzen seiner Wünsche wirklich bewusst sind“, betont Janssens. Doch selbst eine individuelle und ausführliche Verfügung lasse sich nicht immer auf die aktuelle Situation anwenden – zu vielfältig seien die gesundheitlichen Voraussetzungen und die sich daraus ergebenden intensivmedizinischen Möglichkeiten. „Bei der Erstellung einer Patientenverfügung ist es sinnvoll, sich vom Arzt oder anderen fachkundigen Personen beraten zu lassen. Auch wenn eine Patientenverfügung nicht alle möglichen Behandlungsfälle abdecken kann, sollte sie dennoch vorliegen, da sie eine wichtige Grundlage bei der Ermittlung des Patientenwillen bietet“, sagt Janssens.
Liegt keine Patientenverfügung vor und ist der Patient selbst nicht mehr entscheidungsfähig, wird ein Bevollmächtigter oder Betreuer in die Entscheidungsfindung mit einbezogen. Diese können vorher vom Patienten für solche Fälle bestimmt werden. Wurde dieser Fall nicht geregelt, muss eine Betreuung beantragt werden. Auch Gespräche mit den Angehörigen können Aufschluss über den mutmaßlichen Patientenwillen geben.
Der Patientenwille ist dabei nicht als starr anzusehen, sondern muss immer neu auf die aktuelle medizinische Situation bezogen werden – die medizinische Situation bildet neben der Patientenverfügung die zweite wichtige Entscheidungsgrundlage. „Besteht keine Aussicht auf eine grundlegende Besserung des Gesundheitszustands oder den Erhalt der Lebensqualität, oder stünde eine Weiterbehandlung klar im Widerspruch zum Patientenwillen, dann muss das Therapieziel der Heilung verlassen werden“, sagt Janssens. In der Folge müssten sämtliche therapeutischen und pflegerischen Maßnahmen daraufhin überprüft werden, ob sie unter palliativen Gesichtspunkten noch sinnvoll seien. „Sollte das Therapieziel hin zu einer palliativen Behandlung geändert werden, erhält der Patient selbstverständlich weiterhin die für ihn optimale Therapie“, betont Janssens. Das könne beispielsweise die Linderung von Beschwerden sein. Auch belastende Symptome wie Atemnot oder Mundtrockenheit können gemildert werden.
„Bei einer intensivmedizinischen Behandlung gilt es, die Grenzen und Möglichkeiten auszuloten und dem Patienten verständlich zu erläutern. Patienten und Ihre Stellvertreter sollen sich mit den dem Behandlungsteam beraten und gemeinsam zu einem Therapieziel finden. Das kann tatsächlich ein weiteres Leben aber auch ein würdevolles Sterben ohne Leid und Not bedeuten“, so der Experte abschließend.
Patientenverfügung
Vorsorgevollmacht