Am Ende des Referats zur Studie Selfie ungeschminkt stand für viele Zuhörer die Frage: Leben wir alle in einer Gesellschaft, die nur noch auf sich selbst reflektiert? Sind unsere Kinder/Jugendlichen/Partner tatsächlich so in sich selbst verliebt, dass das Posten der eigenen Befindlichkeit an oberster Stelle im Leben steht?
Schwer zu glauben, vor allem, wenn man schon etwas älter ist, aber zumindest bei den jungen und auch sehr jungen Menschen, und nur die wurden ja in der Studie befragt, scheint es einen enormen Stellenwert zu besitzen, wie perfekt man sich selbst darstellen muss, um als beliebt zu gelten.
In der vom IKW in Auftrag gegebenen Studie erfährt man u.a., dass 85 Prozent der Befragten Selfies machen, 39 Prozent klicken wöchentlich auf den Auslöser und 26 Prozent sagen, dass sie sich sogar täglich aufnehmen. Als Selfie-Macher sehen sich trotzdem die wenigsten. Nur 27 Prozent der Jugendlichen geben zu, dass Selfies eine zentrale Bedeutung für sie haben.
Die tiefenpsychologisch-repräsentative Befragung wurde in Einzel-Tiefeninterviews mit insgesamt 20 jungen Frauen und Männern im Alter von 14 – 21 Jahren durchgeführt. Für die repräsentative quantitative Befragung wurden mehr als 1.000 junge Frauen und Männer im Alter von 14 – 21 Jahren befragt. Sie versucht zu entschlüsseln, warum Jungen und Mädchen so ambivalent mit dem Thema Selfies umgehen und welche Bedeutung die Selfies eigentlich für sie haben.
Die in Einzelinterviews durchgeführte Studie offenbart sehr klar, dass es den Befragten einerseits peinlich ist, dass sie Selfies machen. So wurden Selfies einfach in Portraits, Urlaubsbilder oder Bilder mit Freunden umgedeutet. Andererseits ist es ihnen sehr wichtig, über einen individuellen Stil, das Posing sowie die Wahl des richtigen Hintergrunds und des Make-ups zu zeigen, dass sie wissen, was bei Selfies gerade angesagt ist. 50 Prozent der Befragten geben an, dass sie erkennen können, ob ein Selfie zeitgemäß ist. Die Studienleiterin Ines Imdahl bemerkt dazu : „Selfies gehören zur Selbstfindung der Jugendlichen heute dazu. Indem sie sich von anderen abgrenzen und sagen, dass sie nichts mit dem Selfie-Hype zu tun haben und gleichzeitig alle geheimen Codes beim Selfie machen befolgen, finden sie zwischen diesen beiden Extremen ihren eigen Stil und ihre eigene Persönlichkeit. Selfies sind für Jungs und Mädchen also extrem wichtig.“
Welche Bedeutung die Selfies für die Jugendlichen haben, zeigt sich auch in der Sehnsucht nach Anerkennung durch andere. Je mehr Likes und positive Kommentare, um so mehr steigert dies die eigene Anerkennung – und ist auch ein Indikator für die eigene Selbstliebe. 47 Prozent geben zu, dass sie sich besser fühlen, wenn sie mehr Likes bekommen. Damit die Anzahl der Likes hoch bleibt, versuchen die Jugendlichen sich auf den Selfies bestmöglich zu inszenieren. Sie kontrollieren jedes Detail. So achten 57 Prozent der Mädchen und 51 Prozent der Jungs genau darauf, wie sie sich auf Selfies in Szene setzen. Kosmetische Produkte unterstützen sie dabei, auf den Selfies so auszusehen, wie sie möchten. 63 Prozent der Mädchen schminken sich vorher, 69 Prozent nutzen vorab Make-up und mehr als die Hälfte achtet auf das Haarstyling. Nichts bleibt dem Zufall überlassen. Auch Freunde, Partner und die Familie werden für das perfekte Selfie genau positioniert.
Hinter diesem Selfie-Hype verbirgt sich der extreme Wunsch nach Kontrolle und die aktuelle Studie vertieft diese Erkenntnis: Das Kontrollbedürfnis der Jugendlichen ist so hoch, dass sie für ihr äußeres Erscheinungsbild und für ihr perfektes Selfie einen großen Aufwand betreiben. 67 Prozent der Befragten geben an, dass sie ihr Aussehen und ihre Wirkung auf Selfies kontrollieren. Ein gut gemachtes Selfie gibt den Jugendlichen dementsprechend das Gefühl, ihr eigenes Leben im Griff zu haben und stärkt ihr Selbstvertrauen.
Um ihr Leben so gut wie möglich darzustellen, machen die Jungs und Mädchen sehr viele Bilder, bis das richtige dabei ist. 45 Prozent der Mädchen geben an, dass sie mehr als 50 Selfies machen, bevor sie eins posten. Erst hierdurch können sie sicher sein, dass nur das gezeigt wird, was sie auch wirklich zeigen wollen – ein schönes und kontrolliertes Leben in der Rückblende, das die Jugendlichen selbst gestalten können. So schätzen 66 Prozent, dass sie anhand von Selfies ihr Leben noch einmal nacherleben können. 44 Prozent der Jugendlichen sagen sogar, dass das Erlebte erst dann toll war, wenn es von anderen gelikt wurde.
Die Studie will vor allem aufzeigen, was wirklich hinter dem Selfie-Hype steckt und bestätigt erschreckend klar, dass Selfies primär dem Selbstzweck dienen: Man will sich auf ihnen so sehen, wie man gerne sein möchte (und meist in der Realität doch nicht ist) und alles, was hilft, diesem Bild zu entsprechen, ist willkommen.
Beklemmend, wenn man bei der Analyse der Studie in die psychologischen Tiefen geht.
Selfiewahn