Ein Kläger ist felsenfest überzeugt, dass die Regierung stürzen werde, wenn die Wahrheit über seine misslungene Zahnbehandlung endlich ans Licht komme, ein anderer, dass die UN sehnsüchtig auf das Ergebnis seiner Klage gegen einen lokalen Rechtsanwalt warte oder die englische Königin seinen Kampf gegen ein Versicherungsunternehmen unterstütze. Darin drücken sich wahnhafte Störungen aus, die zweifellos ins Gebiet der Psychiatrie fallen.
Typisch für Querulantenwahn ist wie im Fallbeispiel, dass der Kreis der „Feinde“ immer stärker ausgeweitet wird: Ist zunächst nur ein lokaler Bankmanager der Gegner, so ist es schließlich das gesamte Banken- und Justizsystem, das den Kläger verfolgt, der seine Selbstjustiz damit rechtfertigt. Ebenso typisch ist, dass die Rechtmäßigkeit der eigenen Situation niemals hinterfragt wird, ebenso wenig, ob der (triviale) Anlass die eingesetzten Mittel rechtfertigt. Dafür ist die Sicherheit, am Ende siegreich zu bleiben, selbst dann ungebrochen, wenn der Kläger vor den Scherben seines eigenen Lebens stehen (im geschilderten Fall Bankrott, Scheidung, soziale Vereinsamung).
Auch wenn es viele Querulanten geben mag, ist das Syndrom des Querulantenwahn, wie er sich in den oben geschilderten Fällen zeigt, recht selten, und fast unser ganzes Wissen basiert auf Fallbeschreibungen. Angaben über Häufigkeiten sind daher rar; an einzelnen Psychiatrischen Kliniken wurde die Diagnose Querulantenwahn bei 0,25 bzw. 6 Promille der Patienten gestellt. Fast drei Viertel der Betroffenen sind Männer.
Wie bei vielen Wahnstörungen, bei denen die Betroffenen kaum motiviert sind sich auf eine Therapie einzulassen, sind die Behandlungsaussichten nicht gut. Am ehesten Aussicht auf Erfolg hat eine Therapie offenbar dann, wenn es gelingt, dem Betroffenen klarzumachen, dass die Macht der Gerichte beschränkt ist: Richter können über finanzielle Entschädigungen entscheiden, den Klägern aber weder seinen Wunsch nach Vergeltung erlittenen Unrechts erfüllen noch zu der persönlichen Anerkennung verhelfen, die daran Erkrankte sich aufgrund ihres Kampfes für Gerechtigkeit erhoffen.
In Heinrich von Kleists Novelle Michael Kohlhaas, der zum Prototyp des Gerechtigkeitsfanatikers wurde, spiegelt sich – nach einem wahren Vorbild aus dem 16. Jahrhundert – die tragische Geschichte eines Pferdehändlers, dem Unrecht geschieht.
Wer mehr über seltene und ausgefallene Syndrome wissen möchte, dem empfehlen wir das Buch Die Frau, die ihren Mann für einen Doppelgänger hielt von Monika Niehaus
Selfiewahn
Psychische Erkrankung