Schwachsichtigkeit, auch als funktionale Sehschwäche bezeichnet, ist ein bei kleinen Kindern durchaus gar nicht so selten kommendes Leiden, und geht mit dem Schrecken einher, dass Augenärzte das gesunde Auge mit einem mehr oder weniger hässlichen Pflaster abkleben, um das betroffene Auge besser zu trainieren. Das geschädigte Auge wird auf diese Weise trainiert, das Gehirn nimmt dessen Signale an. Je früher die Behandlung erfolgt, desto besser stehen die Heilungschancen. Nachteile dieser Okklusions-Therapie sind das eingeschränkte räumliche Sehen und der entstellende Charakter des Klebepflasters. Der Erfolg war jedoch stets abhängig davon, ob die kleinen Patienten und deren Eltern die verordnete Tragezeit des Pflasters einhielten. Häufig war gerade dies jedoch nicht der Fall, der Erfolg der Therapie somit hinfällig. Doch damit ist nun bald Schluss. Denn künftig soll eine elektronische Sehhilfe mit sensorischem Feedback das gesunde Auge situationsbedingt automatisch verdunkeln und die Kinder beim korrekten Tragen unterstützen. Dank einer neuen, am Frauenhofer-Insitut entwickelten Technologie, lässt sich die Abdeckung des Auges situationsbedingt steuern, bei bewegungsintensiven Aktivitäten kann sie ausgesetzt werden, um Unfälle aufgrund eines fehlenden räumlichen Sehvermögens zu vermeiden.
Für die Steuerung der interaktiven Shutterbrille sorgt eine multimodale Sensorik, die sich in den Brillenbügeln befindet. Forscherinnen und Forscher des Fraunhofer-Instituts für Biomedizinische Technik IBMT entwickeln diese Brillenelektronik sowie die Smartphone-App, mit der die Eltern des erkrankten Kindes die Therapie überwachen können. Sämtliche Informationen werden in einer digitalen Patientenakte gesammelt, ebenfalls eine Entwicklung des IBMT-Forscherteams. Diese datenschutzkonforme Webanwendung ist für den behandelnden Ophthalmologen (Augenarzt) zugänglich, der den Therapieverlauf kontrollieren, anpassen und optimieren kann. Er erfährt, ob und wann die Brille getragen wurde, diese Transparenz fehlte bei der bisherigen Methode. »Die Daten werden von der Brille per Bluetooth drahtlos auf die App und anschließend in die Datenbank übertragen, die in der Cloud alle Informationen sicher archiviert. Ziel dieses Vorgehens ist es, eine individualisierte Therapie zu realisieren«, erläutert Dr. Frank Ihmig, Wissenschaftler am Fraunhofer IBMT in St. Ingbert.
Diese Echtzeitdatenverarbeitung wird durch unterschiedliche Sensoren ermöglicht: Temperatur- und Hautkontaktsensoren überwachen den Tragezustand, die Trageposition, die Tragedauer sowie die Okklusionszeiten der LCD-Brillengläser. »Die Daten werden in einem elektronischen Speicher protokolliert, der im Gestell untergebracht ist. Die Brille ist also auch ein Datenlogger«, sagt der Ingenieur. Die Verdunkelung der LCD-Gläser erfolgt elektronisch – der Verdunkelungseffekt entsteht durch das Ein- und Ausschalten der integrierten Flüssigkristalle. Der Takt der Okklusion lässt sich steuern und individuell anpassen – ein Vorteil gegenüber der bisherigen Therapie mit Klebepflaster. Die Projektpartner hoffen, die kleinen Patienten auf diese Weise zum permanenten Tragen der Brille zu motivieren. Die Hautkontaktsensoren prüfen den korrekten Sitz des Systems und geben den Betroffenen ein kindgerechtes Feedback. Dadurch kann die Akzeptanz der Therapie erhöht werden.
Ein Beschleunigungssensor erkennt Bewegungsmuster, wobei er verschiedene Aktivitäten wie stehen, liegen, sitzen, gehen, laufen, springen, Fahrradfahren und Treppe steigen unterscheidet. »Die Shutterbrille ist kontextsensitiv. Bei bewegungsintensiven Aktivitäten wie beim Sport wird die Ansteuerung der LCD-Gläser abgeschaltet, die Verdunkelung deaktiviert, sodass das volle räumliche Sehvermögen gewährleistet ist. Dies dient der Sicherheit des Kindes. Unfälle und Verletzungen werden so umgangen«, erklärt Ihmig.
Erste Tests mit schwachsichtigen Kindern sind für das zweite Quartal 2019 geplant. Eine Validierungsstudie zum Projektende soll den erwarteten medizinischen Nutzen belegen.Das Funktionsmuster war bereits auf der Medica in Düsseldorf am Fraunhofer-Gemeinschaftsstand zu sehen.
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