Das erstmals 1961 beschriebene Nocebo-Phänomen (lat: „Ich werde schaden”) ist weitaus weniger bekannt als der Placebo-Effekt. Nebenwirkungen unter Placebo treten auf, wenn trotz positiver Erwartungshaltung (nämlich Heilung, Besserung) negative Effekte (also z.B. Verschlechterung der Erkrankung, Nebenwirkungen) auftreten. Beim Nocebo -Phänomen hingegen erwartet der Patient ein spezifisches negatives Ereignis, und dieses tritt auch tatsächlich ein. Es handelt sich also sozusagen um eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.
So litten beispielsweise Teilnehmer eines klinischen Studie mit Aspirin, die man vor möglichen gastrointestinalen Nebenwirkungen gewarnt hatte, dreimal häufiger an diesen Symptomen, als jene Teilnehmer, denen man keine “Warnung” gegeben hatte.
Mit dem Nocebo-Phänomen lassen sich _unspezifische_Nebenwirkungen von Medikamenten, also solche, die nicht direkt aus der spezifischen biologischen oder pharmakologischen Aktivität eines Medikamentes resultieren, gut erklären: Eine negative, pessimistische Grundeinstellung des Patienten, schlechte Erfahrung mit vorhergehenden medikamentösen Behandlungen, negative Information, die der Patient von Arzt, Apotheke oder aus der Presse erhält, können ebenso Nebenwirkungen hervorrufen wie psychologische Charakteristika, z.B. Ängstlichkeit, Depression u.a. Auch das Lesen der Packungsbeilage mit seiner Vielzahl von aufgeführten Nebenwirkungen kann die Erwartungshaltung des Patienten stark beeinflussen und zum Auftreten der angegebenen Nebenwirkungen führen. Unspezifische Nebenwirkungen, die mit dem Nocebo-Phänomen erklärt werden können, sind häufig diffuse leichte Beschwerden (wie Übelkeit, Müdigkeit, Schlaflosigkeit, Bauchschmerzen, Verstopfung) teilweise aber auch Symptome der zu Grunde liegenden/ behandelten Erkrankung selbst (z.B. Schmerzen, Erbrechen). In eigenen Untersuchungen haben wir zeigen können, dass die Art der Frageform die Häufigkeit der Nennung von Nebenwirkungen durch den Patienten sehr stark beeinflussen kann. Bei der Frage nach Nebenwirkung in Form einer Checkliste mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten wurden bei einer Untersuchung zu Aspirin Migräne eine doppelt so hohe Nebenwirkungsinzidenz angegeben wie bei der offenen Abfrage.