Keine Frage, für Husten, Schnupfen, Heiserkeit bietet uns die Apotheke eine Fülle von geprüften Arzneimitteln für jedes Kindesalter an. Aber damit sind wir dann auch schon fast am Ende jener Pharmaka, welche Kindern und Jugendlichen unbedenklich verabreicht werden können.
Denn was bei Erwachsenen gut wirkt und zigfach abgesichert durch Studien ist, kann nicht ohne weiteres unserem Nachwuchs verabreicht werden. Zahlreiche Arzneimittel, die bei Erwachsenen gut wirken undnur wenig Nebenwirkungen zeigen, können bei Kindern Einfluß auf Wachstum, geistige Entwicklung oder auch Fruchtbarkeit im späteren Leben haben. Und es stimmt bedenklich, wenn man erfahren muß, daß durchschnittlich die Hälfte aller Arzneimittel, die zur Behandlung chronischer oder schwerwiegender Erkrankungen im Kindesalter eingesetzt werden, nicht ausreichend untersucht ist.
Schon wenn man sich die fünf sehr unterschiedlichen Entwicklungsstadien von Kindern ansieht (Frühgeborene, Termingeborene, Säuglinge und Krabbelkinder bis zum 2. Lebensjahr, Kindergarten- und Schulkinder bis zum abgeschlossenen 11. Lebensjahr und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr), wird deutlich, wie unterschiedlich der Arzneimittelbedarf ist. Denn in jedem einzelnen Entwicklungsstadium gibt es zahlreiche pharmakologische Besonderheiten und erst in der Pubertät nähert sich die Pharmakokinetik den Verhältnissen wie sie im Erwachsenenalter bekannt sind. „Und noch weniger wissen wir, welchen Einfluß Medikamente im frühen Entwicklungsstadium auf Organsysteme wie das Immunsystem, das Skelettsystem, die Geschlechtsorgane und natürlich auch auf die sich entwickelnden geistigen Fähigkeiten im späteren Leben haben können“, erklärte Prof. Seyberth von der Uni-Kinderklinik in Marburg anläßlich eines Pressegespräches. Und so gehört es zum klinischen Alltag, daß bei Kindern durchschnittlich 50 % aller Arzneimittel „off label“, d.h. außerhalb ihres Zulassungsbereichs angewendet werden. Je jünger und kränker das Kind, desto höher ist der Einsatz von nicht zugelassenen Medikamenten. Und da mag es auch nicht als Trost erscheinen, wenn man mit diesem Problem nicht nur in Deutschland, sondern praktisch in ganz Europa, aber auch in den USA oder Australien leben muß.
Zwar lockert die 12. AMG-Novelle vom August 2004 die Bestimmungen für die Teilnahme von Kindern an Studien dahingehend, daß die Studienteilnahme nicht mehr zwingend mit dem alleinigen Nutzen für das betroffene Kind begründet sein muß. Doch allein diese Maßnahme geht der Arzneimittelkommission der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde noch lange nicht weit genug - vor allem wen man bedenkt, daß in pädiatrischen Spezialdisziplinen bis zu 90 % (!!!) der angewendeten Arzneimittel nicht für Kinder zugelassen sind. “Die Absicht von Gesetzgeber und Ärzten, das Kind besonders zu schützen, hat sie zu therapeutischen Waisen gemacht”, erklärte Prof. Dr.D. Reinhardt, Direktor der von Haunerschen Kinderklinik in München und tagtäglich mit dieser Problematik konfrontiert. Er berichtete von seinen Erfahrungen aus den USA, wo man bereits Mitte der 90er feststellte, dass für dreiviertel aller in der Kinderheilkunde genutzten Arzneimittel keine Daten für die Anwendung bei Kindern vorlagen. Man gewährt dort den Herstellern eine Verlängerung der Patentlaufzeit um sechs Monate, wenn die Wirkung und Verträglichkeit der Arzneimittel für Kinder untersucht wird. Eine ähnliche Vorgehensweise wird auch für Deutschland gefordert.
Die von der Firma HEXAL gegründete Initiative Kinderarzneimittel hat sich daher zum Ziel gesetzt, einen Beitrag zur Verbesserung der Arzneimittelversorgung für Kinder und Jugendliche zu leisten - denn wenn Kinder besser versorgt werden sollen, dürfen Studien mit Kindern kein Tabuthema bleiben.