Sie waren kerngesund, hatten vor allem nichts, absolut nichts am Herzen – trotzdem kam es plötzlich zu einer Herzattacke, trotzdem droht der Herztod. Eine 25-Jährige starb am gebrochenen Herzen, nachdem ihr Verlobter völlig unerwartet das Weite gesucht hatte, eine 62-jährige Frau hatte unmittelbar nach einem Autounfall, den sie verschuldet hatte, eine lebensbedrohende Herzattacke - sie war im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode erschrocken, urteilten die Ärzte.
Was in Liedern besungen und in Schundromanen verkündet wird, was es auch in der Weltliteratur immer wieder gibt – das ist bittere Realität: Ein unerwartetes Ereignis kann Kerngesunden zum Verhängnis werden. Amerikanische Mediziner, die sich mit dieser Thematik sehr ernsthaft befasst haben, nennen das von ihnen entdeckte und im angesehenen „New England Journal of Medicine“ beschriebene Phänomen „stress cardiomyopathie“. Es sind vorwiegend Frauen, die durch Schock, Furcht, Trauer oder Verzweiflung plötzlich einer Herzattacke zum Opfer fallen.
Aber dabei handelt es sich nicht um eine „gewöhnliche“ Herzattacke, ausgelöst etwa durch einen Infarkt – nein: Das Herz wird urplötzlich durch einen schockartigen Adrenalinstoß in Mitleidenschaft gezogen, und dieser hochdosige Adrenalinausbruch wirkt wie sofort wirkendes Gift auf den Herzmuskel. „Man muss einfach zur Kenntnis nehmen“, urteilt der Kardiologe Dr. Ilan Wittstein von der Johns Hopkins University in Baltimore, „dass so etwas durch emotionalen Stress ausgelöst werden kann – was da genau geschieht, ist uns noch unklar“. Auch die Frage, weshalb fast ausschließlich Frauen betroffen sind, bleibt noch unbeantwortet. Der Studie liegen Krankenbeobachtungen von 19 Personen zugrunde – darunter lediglich ein Mann.
Diese durch Stress verursachten Herzattacken verlaufen keineswegs immer tödlich. Die meisten Patienten erholen sich nach etwa zwei Wochen, und im Gegensatz zu einer konventionellen Herzattacke kommt es zu keinen bleibenden Schädigungen der Herzmuskulatur. Warum das so ist – auch darüber rätseln die Wissenschaftler noch.
Das Durchschnittsalter der betroffenen Frauen lag bei 63 Jahren, Jüngere sind die Ausnahme. Eine Patienten erlitt eine derartige Adrenalin-begründete Herzattacke am Todestag ihres Mannes. Sie berichtete den Ärzten letztlich, dass ihr das auch bei zwei vorangegangenen Todestagen ihres Mannes so ergangen war. Dieser Tag der Trauer ist einfach zuviel für sie – zu viel für ihr Herz. In einem anderen, besonders typischen Fall gab die Familie einer vielfachen Mutter zu deren 61. Geburtstag eine Überraschungsparty. 70 Personen stürmten im Garten des Hauses plötzlich aus der abendlichen Dunkelheit auf die Terrasse, wo die Frau saß, und schrieen „Überraschung, Überraschung“. Drei Stunden später lag das Geburtstagskind auf der Intensivstation – Diagnose: Herzschock. Erst drei Wochen später funktionierte ihr Herz wieder in gewohnter, normaler Weise. Ein weiteres Beispiel: Sharon Lawson musste sich wegen des Verdachts auf Krebs einer Lungenbiopsie unterziehen. Da ihre Tochter wenige Wochen später heiraten wollte, sorgte sich die Mutter – ob sie wohl der Hochzeit beiwohnen könne? Allein diese Gedanken führten zu ungewöhnlicher innerer Aufregung und zu einem Herzanfall.
Am Presbyterian Hospital in New York hat Dr. Maryjane Farr mit einer Reihe gestresster Frauen ähnliche Episoden verzeichnet – und dokumentiert, noch bevor die Untersuchung der Baltimore-Wissenschaftler im “New England Journal of Medicine” erschien. Dieses Symptom der stress cardiomyopathy ist also keineswegs von der Hand zu weisen.