Immer wieder geistern Pressemeldungen über sogenannte Wunderarzneien für AIDS-Erkrankte durch die Medien. Ob es sich dabei nun um den Maitakepilz, die Bittergurke, oder das gute alte Johanniskraut handelt, ist letztlich unerheblich. Tatsache ist und bleibt, dass all diese Wundermittel vor allem nur den Vertreibern helfen. Wir von gesundheit.com wollten deshalb von einem bekannten Münchner Aids-Arzt einmal genau wissen, wie es denn heute mit der Behandlung von HIV-Infizierten aussieht. Dr. Zelman Lichtenstein, Internist am St. Wolfgangs-Platz, stand uns dazu Rede und Antwort:
Gesundheit.com: Als Aids in den frühen 80iger Jahren weltweit ausbrach, verglich man die Krankheit gerne mit einer Volksseuche, letztlich als Strafe für den exzessiven Lebenswandel der Nachkriegsgeneration. Aids wurde zum Synonym für ein Leben auf Abruf, an dessen Ende immer der Tod stand. Gilt dies auch noch heute oder ist Aids inzwischen sogar heilbar, gibt es die oft zitierte “Schutzimpfung gegen das HIV-Virus” bereits?
Dr. Lichtenstein: Leider gibt es noch kein Medikament, welches AIDS heilen könnte. Aber die Medizin, oder besser die medizinische Forschung machen große Fortschritte. Bereits 1996 wurden die Studien veröffentlicht, die aufzeigten, dass eine Dreifachkombination bestehend aus Reverse- Transkriptase-Hemmern und Protease-Hemmern das Leben von HIV-Infizierten deutlich verlängert und vor allem, dass damit das Fortschreiten der Erkrankung erheblich verlangsamt werden konnte. Dies galt und gilt, nach fünfzehn Jahren, in denen es mehr oder weniger keine echte Therapiemöglichkeit gab, als ein echter Wendepunkt.
Gesundheit.com: Herr Dr. Lichtenstein, Sie gelten als einer der bekanntesten und vor allem der innovativsten Aids-Ärzte in München, welche schulmedizinisch abgesicherten Maßnahmen können Sie heute im Rahmen der Aids-Behandlung anbieten?
Dr. Lichtenstein: Es stehen uns derzeit 15 sogenannte antiretrovirale Medikamente zur Verfügung, die wir in einer Kombination von drei und mehr Substanzen anwenden. Mit diesen sogenannten Medikamenten-Cocktails gelingt es uns heute in fast allen Fällen die Virusmenge im betroffenen Organismus drastisch abzusenken, zum Teil um 99.9 % und mehr. Dadurch kommt es zu einer Erholung des bis dato geschädigten Immunsystems. Leider beobachten wir jedoch nur selten eine vollständig Wiederherstellung des Immunsystems, da bestimmte Zellklone durch den jahrelangen Angriff der HIV-Viren vernichtet wurden. Der Wiederaufbau eines weitgehend gestörten Immunsystems gehört heute zu den größten Herausforderungen der Aids-Therapie. Es stehen uns leider noch keine Medikamente zur Verfügung, mit denen dieses Ziel erreicht werden könnte. Erfolgversprechend sind Substanzen wie Interleukin II, die für diesen Zweck z.B. in Frankreich eine Zulassung besitzen. Solange uns aber keine Behandlungen zur Verfügung stehen, mit denen wir ein schwer geschädigtes Immunsystem wieder aufbauen können, vertrete ich die Meinung, dass wir Patienten, die obwohl antiviral erfolgreich behandelt, weiterhin unter gehäuften Infektionen, insbesondere der oberen Atemwege leiden, mit intravenösen Immunglobulinen behandeln sollten. Obwohl eine Zulassung für diese Therapie bei HIV-infizierten Personen nicht vorliegt, gibt es überzeugende Hinweise, dass diese Therapieform bei praktisch fehlenden Nebenwirkungen hervorragend wirksam ist.
Gesundheit.com: Aids, d. h. “Acquired Immune Deficiency Syndrome”: Übersetzt man dies, so könnte man es als ” übertragbare Immunschwäche” definieren. Das Aids auslösende HIVirus greift bekanntermaßen die krankheitsabwehrenden T-Zellen an, so dass der menschliche Organismus Infektionen praktisch wehrlos ausgeliefert ist. Gibt es, neben allen bekannten Behandlungsmethoden, nicht auch die Möglichkeit, die Immunabwehr von Aids-Patienten noch besonders zu stärken, sozusagen als Begleittherapie?
Dr. Lichtenstein: Als Begleittherapie setze ich Spurenelemente und Vitamine, sogenannte Mikronährstoffe in orthomolekularer Dosierung ein. Das Prinzip dieser Therapie liegt darin, dass im Rahmen einer chronischen Infektion die schädlichen freien Radikalen entstehen, die durch diese Antioxidantien unschädlich gemacht werden. In die gleiche Richtung zielen die bereits vorhin erwähnten Immunglobuline, die insbesondere bei fehlender eigener Antikörperbildung einen Infektschutz bieten.
Gesundheit.com: Fettverteilungsstörungen, sowie Herz-Kreislauferkrankungen werden sehr häufig, vermutlich als Folge der Behandlung mit Proteaseinhibitoren, beobachtet. Kann man diesen Störungen sinnvoll entgegenwirken?
Dr. Lichtenstein: Man unterscheidet bei Fettverteilungsstörungen zwischen Fettakkumulation, die vorwiegend den Bauch und den Nacken betrifft und die Lipoatrophie, bei der es zu einer Verschmächtigung der Extremitäten und eingefallenen Wangen kommt. Insbesondere der Verlust des Wangenfettes führt zu einer erheblichen psychischen Beeinträchtigung der Betroffenen, da diese schweren Gesichtsveränderungen dem Eingeweihten die Diagnose verraten. Der Fettverlust der Wangen ist durch kein Medikament bislang, soweit wir wissen auch nicht durch einen Medikamentenwechsel, zu korrigieren. Die einzige Möglichkeit besteht derzeit in der Injektion von Füllmitteln. Besonders bewährt hat sich hierbei New-Fill™, das auch in unserer Praxis angewandt wird.
In der Tat sehen wir auch gehäuft Herz-Kreislauferkrankungen, die vermutlich nicht nur auf das Altern unserer Patienten bzw. auf deren Rauchgewohnheiten zurückzuführen sind. Ein zusätzlicher Gefäßfaktor bei der HIV-Infektion wird ebenso diskutiert, wie Fettstoffwechselstörungen, die insbesondere von Proteaseinhibitoren verstärkt werden. Der Einsatz von Lipidsenkern führt bei gleichzeitiger Gabe von Proteaseinhibitoren häufig nicht zu dem gewünschten fettsenkenden Effekt. Häufig kann man jedoch durch den Wechsel zu einer anderen Substanzklasse die Fettstoffwechselstörung in den Griff bekommen.
Gesundheit.com: Letzte Frage - wie oft bzw. wie lange sollte diese Immunglobulin-Therapie durchgeführt werden und wie hoch sind die Kosten dafür?
Dr. Lichtenstein: Die intravenöse Immunglobulintherapie sollte meines Erachtens solange durchgeführt werden, bis das Immunsystem sich erholt hat und in der Lage ist, Antikörper auf alle üblichen Infektionen zu bilden. Die Kosten für die Therapie liegen bei ca. € 1.600 pro Monat und werden von den Privatversicherungen zum größten Teil übernommen. Bei den gesetzlichen Krankenversicherungen sind es nur wenige Kassen, die bislang die Kosten übernehmen. Im Einzelfall wird man hier wohl nicht daran vorbeikommen, bei den entsprechende gesetzlichen Krankenversicherungen einen Antrag zu stellen.
Gesundheit.com: Herr Dr. Lichtenstein, wir danken für das Interview und wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg!
Dr. Zelman Lichtenstein praktiziert in München am St. Wolfgangsplatz 9g und ist im Internet zu finden unter: