Um bei den großen Volkskrankheiten die medizinische Versorgung auf hohem Niveau sicherzustellen, müssen die Ärzte in Praxis und Klinik enger zusammenarbeiten. Angesichts der finanziell angespannten Situation im Gesundheitswesen sind nach Ansicht der Münchner Endokrinologin Professor Petra-Maria Schumm-Draeger interdisziplinäre und integrative Konzepte, die auch die Krankenkassen und die Politiker überzeugen, wichtiger denn je.
Als Beispiele für Verbesserungsmöglichkeiten in der Versorgung nannte Schumm-Draeger, die seit kurzem Chefärztin der 3. Medizinischen Abteilung für Endokrinologie, Diabetologie und Angiologie des Krankenhauses München-Bogenhausen ist, aus ihrem eigenen Fachgebiet die Osteoporose mit bundesweit schätzungsweise zehn Millionen Betroffenen, den Diabetes mellitus mit mehr als sechs Millionen Erkrankten sowie Störungen der Schilddrüse bei jedem vierten Bundesbürger. Ursache dieser Krankheiten sind häufig Hormonstörungen, die in das Fachgebiet der Endokrinologie fallen.
Um für Patienten mit Hormonerkrankungen, Diabetes und Gefäßerkrankungen eine bessere Versorgung zu schaffen, entsteht derzeit auf Initiative Schumm-Draegers am Krankenhaus München-Bogenhausen ein interdisziplinäres Netzwerk stationärer, teilstationärer und ambulanter Strukturen, in dem eine lückenlose Betreuung der Patienten angestrebt wird. Bei einer ganztägigen Fortbildungsveranstaltung mit dem Titel “Bogenhausener Update”, stellte Schumm-Draeger ihr Konzept erstmals einer breiten Öffentlichkeit vor. Auf der Tagesordnung standen auch aktuelle Entwicklungen in der Medizin für die Behandlung von Patienten mit Hormonerkrankungen und Diabetes sowie mit Gefäßerkrankungen.
Die Zahl der an Diabetes erkrankten Menschen wird sich nach Angaben von Professor Rüdiger Landgraf von der Universität München innerhalb der nächsten zehn bis 20 Jahre auf mehr als zwölf Millionen verdoppeln. Grund dafür seien überwiegend zu geringe körperliche Bewegung, ungesunde Ernährung und Übergewicht. Immer häufiger erkrankten auch jüngere Menschen. Selbst bei Jugendlichen gebe es bereits den klassischen Typ 2 Diabetes. Damit sei der Typ 2 Diabetes nicht mehr eine “harmlose Alterskrankheit” sondern eine Herausforderung an das gesamte Gesundheitssystem, erklärte Landgraf, der auch Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) ist.
Durch mehr Prävention, Änderung des Lebensstils und eine bessere Früherkennung könne die Entwicklung jedoch noch positiv beeinflusst werden, sagte Landgraf. So haben mehrere internationale Studien gezeigt, dass das Risiko der Manifestation eines Diabetes bei Menschen mit einer gestörten Glukosetoleranz durch körperliche Aktivität und gesunde Ernährung um mehr als 50 Prozent verringert werden kann. Wichtige Neuerungen in Diagnostik und Therapie werde es schon bald mit der Einführung molekulargenetischer Untersuchungen bei Übergewichtigkeit und der kontinuierlichen Blutzuckermessung zur Optimierung der Therapie geben. Bei neuen Medikamenten, die demnächst auf den Markt kommen werden, wie etwa Insulin, das inhaliert werden kann, stelle sich allerdings die Frage, “ob wir uns das überhaupt noch werden leisten können”, sagte Landgraf.
Zwar habe sich die Versorgung von Patienten mit Diabetes in den vergangenen fünf Jahren verbessert, berichtete der Endokrinologe Dr. Thomas Eversmann, niedergelassener Internist in München und Präsident des Berufsverbandes Deutscher Endokrinologen (BDE). Eine optimale Versorgung sei aber noch nicht erreicht. So seien insbesondere die Schnittstellen zwischen den verschiedenen Versorgungsbereichen noch ausbaufähig, sagte Eversmann. Den Krankenkassen und den Politikern gehe es beim Disease Management Programm (DMP) für Typ 2 Diabetes vor allem um Kostendämpfung. Tatsächlich sei eine bessere Behandlung der Patienten aber nur mit einer intensiveren Betreuung möglich, was am Anfang zu höheren Kosten führen werde. Erst wenn es durch eine bessere Betreuung gelinge, die Zahl der Folgekomplikationen des Diabetes wie Herzinfarkt, Schlaganfall, Durchblutungsstörungen, Erblindungen und Nierenversagen zu verringern, seien auf längere Sicht auch Einsparungen zu erwarten, sagte Eversmann.
Für eine Stärkung der Prävention sprach sich auch der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE), Professor Hendrik Lehnert von der Universität Magdeburg aus. “Bei den großen Volkskrankheiten setzen wir am falschen Ende an”, sagte er. Neben Diagnostik und Therapie müssten deshalb Prävention und Früherkennung in Zukunft erheblich an Bedeutung gewinnen, forderte er. Notwendig sei auch eine Überwindung der Grenzen zwischen stationärer und ambulanter Versorgung.