gesundheit.com: Herr Prof. Aigner, seit Jahrzehnten wird rund um den Brustkrebs geforscht, trotzdem nimmt die Erkrankung zu, werden die Patientinnen immer jünger. Und es sieht nicht so aus, als würden wir die Krankheit bald in den Griff bekommen. Wie erklären Sie sich das?
Prof. Aigner: Es stimmt, dass zunehmend auch jüngere Frauen die Diagnose Brustkrebs bekommen. Die Alterspyramide hat sich in den letzten Jahren verschoben. Umso wichtiger ist daher die Früherkennung, denn nur damit hat man Aussicht auf Heilung. In fortgeschrittenen Stadien und ganz besonders bei aggressiven Tumoren, ist es sehr fraglich ob sich ein maximaler therapeutischer Aufwand lohnt. Die Lebenserwartung wird dadurch nicht verlängert und ich glaube, man nimmt viel zu viele Nebenwirkungen und Einbuße an Lebensqualität in Kauf, ohne das Leben wirklich zu verlängern. Bei fortgeschrittenen und aggressiven Tumoren, kann nach meiner Überzeugung nur die Regionale Chemotherapie langfristig helfen und dies meist unter Erhaltung und Besserung der Lebensqualität.
gesundheit.com: Das müssen Sie näher erklären. Die wenigsten Menschen können sich unter dem Begriff etwas vorstellen…
Prof. Aigner: Bei der Regionalen Chemotherapie geht es darum, den Tumor mehr zu schädigen als den Patienten. Das heißt: Im Gegensatz zur herkömmlichen systemischen Chemotherapie, bei der das Zytostatikum, also das Antitumormittel, den ganzen Körper in Mitleidenschaft zieht, leiten wir bei der Regionalen Chemotherapie das Mittel lediglich in die Region um und in den Tumor. Üblicherweise wird in lokaler Betäubung ein Katheter in die Arterie in der Leiste eingeführt und unter Röntgenkontrolle an die Tumorregion gebracht. Der große Vorteil: Weil wir gezielt vorwiegend nur Tumorgewebe behandeln, können wir die Dosis des Mittels um ein Vielfaches erhöhen. Wir erreichen also die drei- bis zehnfache, in Einzelfällen bis zur 80fachen Konzentration des Zytostatikums. Das ist eine Dosis, die man bei der systemischen Chemotherapie nicht geben kann, weil man sonst den Patienten vergiften würde. Wir dürfen nicht vergessen, dass Zytostatika Zellgifte sind.
gesundheit.com: Das leuchtet ein. Wie sieht‘s mit den Nebenwirkungen aus?
Prof. Aigner: Die typischen Begleiterscheinungen einer systemischen Chemotherapie wie Übelkeit, Kraftlosigkeit, Haarausfall oder Nervenschäden gibt es - von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen - praktisch nicht. Eben weil die Zellgifte mit gesundem Gewebe kaum in Berührung kommen.
gesundheit.com: Ist die Therapie neu?
Prof. Aigner: Keineswegs, sie wurde bereits in den 50er Jahren von zwei amerikanischen Ärzten entwickelt. Ich selbst beschäftige mich seit 30 Jahren damit, halte Vorträge in Japan, Australien, den USA und europäischen Ländern. Außerdem habe ich gemeinsam mit internationalen Kapazitäten ein Buch über die Grundlagen der Onkologie geschrieben („Basics of Oncology”, d. Red.) und es entsteht ein Weiteres, mit dem Schwerpunkt der Induktions- und regionalen Tumortherapien.
gesundheit.com: Warum wird RCT dann nicht von mehr Ärzten und Kliniken eingesetzt?
Prof. Aigner: Es gibt immer wieder Kollegen, die sich daran versuchen. Aber die meisten geben bei den ersten Schwierigkeiten auf. Man braucht eben für diese Therapie auch einiges an Erfahrung und Geduld beim Erlernen. Aber es gibt natürlich auch Kollegen, die RCT ablehnen.
gesundheit.com: Was ist denn das Hauptargument Ihrer Kritiker?
Prof. Aigner: Das Hauptargument ist die Tatsache, dass man mit der Regionalen Chemotherapie keine eventuell vorhandenen Metastasen erreicht und sie ausmerzen kann.
gesundheit.com: Und was sagen Sie dazu?
Prof. Aigner: Die systemische Chemotherapie erreicht zwar eventuell vorhandene Metastasen, das heißt aber noch lange nicht, dass sie die auch wirklich zerstört. Ganz einfach deshalb nicht, weil sie im Blutkreislauf zu stark verdünnt wird. Und diese Konzentration reicht nicht aus. Das zeigt doch die Tatsache, dass es bei vielen Patienten nach unzähligen systemischen Chemotherapien immer wieder Rezidive gibt, der Krebs also wieder auftritt, oder sich Metastasen bilden. Bei unseren Patienten ist die lokale Rückfallquote wesentlich geringer und metastasenbefallene Körperteile kann man ebenfalls mit speziellen RCT-Techniken behandeln. Und sie haben höhere Überlebenschancen.
gesundheit.com: Wie hoch ist eigentlich Ihre Erfolgsquote?
Prof. Aigner: Beim Mammakarzinom liegt die Ansprechrate über 80 Prozent, wenn man einen Durchschnitt aller zu therapierenden Tumorarten nimmt, bei etwa 70 Prozent.
gesundheit.com: Und woran liegt es, wenn Ihre Therapie nicht anschlägt?
Prof. Aigner: Wenn ein Tumor schlecht durchblutet ist, wie das etwa beim Dickdarmkrebs der Fall ist, oder in vorbestrahlten Gebieten kann man diese selbst über die Arterie nicht gut erreichen. Das heißt, das Zytostatikum kann nicht in vollem Umfang wirken weil es gar nicht vor Ort ankommt. Deshalb haben wir beim Dickdarmkrebs nur zu 25 bis 30 Prozent Erfolg.
gesundheit.com: Haben Sie Beispiele für eine erfolgreiche Behandlung?
Prof. Aigner: Jede Menge. Einer meiner Patientinnen mit einer Leber voller Metastasen wurde schon vor sechsundzwanzig Jahren eine Lebenserwartung von gerade mal sechs Monaten prognostiziert. Nach unserer Therapie lebt sie heute noch. Bei einer jungen Frau war das Brustkrebsgen in der Familie. Sie hatte einen äußerst aggressiven Tumor, der bei der Entdeckung bereits vier Zentimeter Durchmesser groß war. Zudem hatte er bereits die Lymphdrüsen befallen. Auch ihr gaben die Ärzte kaum Überlebenschancen. Nach der Regionalen Chemotherapie ist sie mittlerweile seit vier Jahren tumorfrei.
gesundheit.com: Sind Sie eigentlich grundsätzlich gegen systemische Chemotherapie?
Prof. Aigner: Absolut nicht. Die systemische ist sehr gut bei Blutkrebs, da schwemmt sie die karzinogenen Zellen regelrecht heraus. Bei Leukämie können wir mit der regionalen Therapie nichts ausrichten. Aber gerade bei einem fortgeschrittenen soliden Tumor sieht man viel mehr Effekt unter richtig angewandter regionaler Therapie.
gesundheit.com: Bei welchen Tumoren schlägt die RCT denn besonders gut an, bei welchen kann man sie nicht einsetzen?
Prof. Aigner: Grundsätzlich kann man RCT an allen Organen und Körperregionen isoliert oder als arterielle Infusion durchführen. Die besten Erfolge haben wir bei Brusttumoren und Metastasen bei Kopf-Hals-Tumoren, beim Bronchial- und Pankreaskarzinom, Eierstocks-Blasen- und Magenkarzinomen und einigen weiteren Krebstypen. Nicht geeignet ist sie, wie schon erwähnt, bei Leukämie sowie auch manchen so genannten systemischen Erkrankungen, wie Lymphomen, welche auch auf systemische Chemotherapie sehr gut ansprechen.
gesundheit.com: Zahlen die Kassen die Therapie?
Prof. Aigner: Die privaten zahlen, auch viele Betriebskrankenkassen. Bei den gesetzlichen gibt es häufig Schwierigkeiten. Dann schreiben wir ein Gutachten und beantragen eine Sonderregelung. Aber im Extremfall habe ich auch schon mal einen Patienten auf eigene Kosten behandelt, weil es mir leid tut, da der Tumor gut behandelbar wäre und die Kasse nicht bezahlt.
gesundheit.com: Herr Prof. Aigner, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Weitere Infos zur Regionalen Chemotherapie findet man unter dem Link