Die craniosacrale Therapie wurde Anfang des 20. Jahrhunderts von einem Arzt aus dem mittleren Westen der USA, Dr. William G. Sutherland, Ziehsohn des Begründers der Osteopathie Dr. Andrew Still entwickelt. Sutherland erkannte, dass die Knochen des Schädels auch beim Erwachsenen gegeneinander beweglich sind und auf Druck reagieren können. Viel später zeigten Aufnahmen mit dem Kernspintomographen, dass die Nähte der Schädelknochen tatsächlich nicht verknöchert sind.
Ausgehend von der Beweglichkeit der Schädelknochen entwickelte Sutherland eine Therapie, um Blockaden am Schädel zu lösen. Dabei stütze er sich auch auf eigene Erfahrungen: an den Schädelknochen und entlang der Wirbelsäule ertastete er subtile rhythmische Bewegungen, die mit dem Herzschlag und der Atmung nicht identisch waren. Wenn nun von außen ein leichter Druck auf die Schädelknochen ausgeübt wurde und dieser Druck dem ertasteten natürlichen Rhythmus angepasst wurde, konnten verschiedenste Funktionen im Organismus beeinflusst werden.
Doch die Anerkennung seiner Beobachtungen sollte erst viel später kommen. In den 70-er Jahren des vorigen Jahrhunderts assistierte der in Florida ansässige Arzt Dr. John E. Upleger einem Neurologen bei einer Operation und sah dabei zum ersten Mal rhythmische Bewegungen am Gewebe, welches das Rückenmark umschloss. In Anlehnung an die Arbeiten von Sutherland prägte Upleger den Begriff craniosacrales System. Bald wurde er an die Michigan State University berufen, wo er seine Forschungen in diesem Bereich fortsetzte und schließlich die craniosacrale Therapie begründete.
Das Craniosacrale System umfasst den Schädel (Cranium), die Wirbelsäule und das Kreuzbein (Sacrum), daher der Name craniosacral. Zwischen dem Schädel, der Wirbelsäule und dem Kreuzbein verläuft das zentrale Nervensystem, umhüllt von den Hirn- und Rückenmarkshäuten. In dieser Hülle, der Duralröhre pulsiert die Hirn- und Rückenmarksflüssigkeit, der Liquor.
Der Liquor, der vom Körper permanent neu gebildet wird, hat die Aufgabe, das zentrale Nervensystem zu ernähren und vor Erschütterungen oder anderen Traumen zu schützen. Durch ständige Produktion und Absorption des Liquors entstehen feinste wellenförmige Bewegungen, vergleichbar einem Pulsschlag, die jedoch unabhängig vom Herzschlag oder der Atmung sind. Upleger nannte sie den craniosacralen Rhythmus. Diese Pulsschläge sind in der Lage, die Knochen vom Schädel bis hin zum Kreuzbein zu bewegen. Im Rahmen seiner Forschungen stellte Upleger fest, dass sich sogar die einzelnen Schädelknochen mit dem Puls des Liquors bewegen Der geübte Therapeut kann diese feinen Bewegungen, die eine Ausdehnung von nur 0,5-1,5 mm haben, entlang der Wirbelsäulenachse spüren und erhält durch sie wertvolle Informationen zu Störungen im Organismus. Dies vor allem daher weil das craniosacrale System Verbindung zum Nerven-, Muskel-, Skelett-, Gefäß-, Lymph-, Atmungs- und Hormonsystem hat und diese einerseits beeinflusst andererseits aber von diesen Systemen auch Rückmeldungen erhält.
Neuere Forschungen gehen davon aus, dass es neben dem craniosacralen Rhythmus eine körpereigene Instanz gibt, die alle Bewegung von Zellen und Flüssigkeiten regelt. Diese Instanz, auch Primary Respiratory Mechanism (PRM) genannt, entsteht schon vorgeburtlich und endet erst kurz nach dem Tod. Jedes menschliche Bewegungsmuster ist somit einzigartig und wird im Laufe des Lebens aber durch Ereignisse von außen beeinflusst bzw. verändert. Den optimalen Bewegungsfluß wieder zu finden, ist die Voraussetzung für einen guten Heilungsverlauf.
Die craniosacrale Therapie arbeitet mit sanfter Berührung, die sich auf kleinste Bewegungen des Körpers einstimmt. Mit speziellen Techniken und maximal 5 Gramm leichtem Druck wird die natürliche Regeneration und Heilung von innen gefördert. Dazu kann es sinnvoll sein, direkt am Schädel zu arbeiten oder an Schädel und Kreuzbein fixierten Punkten verschafft sich der Therapeut ein umfassendes Bild von bestehenden Blockaden und Funktionsstörungen sowie dem individuellen craniosacralen Rhythmus. Über feinste Korrekturen und de Begleitung der Eigenbewegungen des Gewebes können die Gewebespannungen, entstanden z.B. durch Unfall, Operationen, Geburt oder chronische Dysfunktionen gelöst werden.
Die Beliebtheit der craniosacralen Therapie erwächst aus ihrer erstaunlichen Vielseitigkeit und ihrer Effektivität bei der Behandlung von verschiedensten Verletzungen und vor allem von Schmerzen. Sie ist eine Methode, die vom Neugeborenen bis hin zum alten gebrechlichen Menschen sowohl allein als auch in Kombination mit anderen Therapieformen problemlos angewendet werden kann. Neben Schmerzzuständen verzeichnet sie gute Erfolge bei der Behandlung von orthopädischen Erkrankungen, wie Bandscheibenprobleme, Gelenkbeschwerden, Rheuma oder Morbus Bechterew. Auch bei Erkrankungen es zentralen Nervensystems, wie Multiple Sklerose, Schlaganfall oder Parkinson konnte der Zustand der Patienten wesentlich gebessert werden. Natürlich gibt es eine Reihe weiterer Erkrankungen, bei denen mit Hilfe der craniosacralen Therapie Linderung oder sogar Heilung erreicht werden kann.
Allerdings - so sanft und effektiv diese Therapieform auch ist, so darf sie nicht angewendet werden bei raumfordernden Prozessen, wie sie nach Schädel- oder Hirnverletzungen mit oder ohne Blutung im Schädelinneren auftreten können.