„Singen fördert in hohem Maße unsere körperliche und seelische Gesundheit“, ist der Musiktherapeut Wolfgang Bossinger überzeugt. Singen ist urmenschlich, in fast allen traditionellen Kulturen verankert, ein soziales Instrument, das man fast jederzeit erlernen und praktizieren kann. Dabei geht es nicht um perfektes Profisingen, sondern vielmehr darum, die spielerische und gemeinschaftlichen Seiten des Singens sowie die Freude am Selbstausdruck zu erleben.
Bei Naturvölkern ist Gesang seit Jahrtausenden ein zentrales Element der Heilungsriten und -zeremonien. Schon die Schamanen in der Zeit der Jäger- und Sammlerkulturen setzten Gesang und Tanz in ihren Riten ein. Im Laufe der Entwicklung gingen jedoch viele dieser alten Traditionen gänzlich verloren oder werden heute nur noch selten praktiziert. Wissenschaftler erforschen seit einiger Zeit die Wirkweise und Wirkkraft dieser alten Methoden auf die ganzheitliche Gesundheit und Persönlichkeitsentwicklung des Menschen. „Aufgrund der harmonisierenden, regulierenden und Stress abbauenden Wirkungen ist Singen ein besonders hilfreiches Mittel, den zunehmenden Stresserkrankungen in hochtechnisierten Gesellschaften vorzubeugen.“ meint Wolfgang Bossinger. Gerade in unserer leistungsorientierten Konsumgesellschaft, in der viele Menschen unter Stress, Leeregefühlen und Isolation leiden, kann Singen kleine Wunder bewirken.
Töne und Geräusche ergreifen. Je nach Art können sie tiefe Gefühle wecken, Gänsehaut auslösen oder einen vor Schreck erstarren lassen. Einerseits ein wichtiger Schutzmechanismus, der hilft, in Gefahrensituationen in Sekundenschnelle auf Geräusche zu reagieren. Wir hören, wenn ein Auto zu schnell angefahren kommt oder erkennen an der Stimme eines Menschen, ob er uns wohlgesonnen ist oder nicht. Andererseits zaubern uns harmonische Töne ein Lächeln auf die Lippen, befreien von Blockaden, öffnen Herz und Seele und lassen den Menschen erstrahlen.
Singen wirkt direkt über das limbische System, den Hypothalamus und den Hirnstamm auf das vegetative Nervensystem ein und kann es so harmonisieren. Fachleute unterscheiden zwischen dem „trophotropen“ (beruhigenden) Effekt von Musik und der „ergotropen“ (anregenden) Wirkung.
… vitalisiert: Intensives Singen kurbelt das Herz-Kreislauf-System an. Forscher haben nachgewiesen, dass Profisänger eine vergleichbare Fitness wie Dauerläufer haben können. Wolfgang Bossinger beschreibt es daher auch als eine Art „inneres Jogging“. Noch wirkungsvoller ist die Verbindung von Gesang und Tanz, wie es zum Beispiel in Gospelchören üblich ist.
… macht glücklich: Bei schönen Klängen schüttet das Gehirn Endorphine aus – und das macht glücklich und steigert das Wohlbefinden.
… fördert sprachliche Fertigkeiten: Wie eine Studie des Max Planck Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften Leipzig zeigt, reagieren Kinder, die singen, sensibler auf musikalische wie auch sprachliche Fehler. Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass die sprachliche und musikalische Verarbeitung im Gehirn eng beieinander liegen. Schließlich ist Musik eine Art „Universalsprache“, die Menschen weltweit verstehen.
… macht schlanker: Singen kann auch beim Abnehmen helfen, wenn Übergewichtige aufgrund seelischer Unausgewogenheiten, Frustrationen oder geringem Selbstwertgefühl vermehrt essen. Es kann das Selbstbewusstsein stärken sowie soziale Beziehungen und die persönliche Entwicklung fördern. Das bringt den Menschen insgesamt mehr ins Gleichgewicht und macht letztlich das Übergewicht überflüssig.
… und schön: „Die Gesichtsmuskulatur entspannt sich, entsprechende Glücksbotenstoffe wie Serotonin und Adrenalin oder das Kuschelhormon Oxytocin werden vermehrt produziert und sogar „verjüngende Hormone“ wie Melatonin und DHEA-Hormone im Gehirn produziert,“ beschreibt Wolfgang Bossinger die Wirkungen des Singens auf die Schönheit. Außerdem regt es die neuronale Vernetzung an und aktiviert das Gehirn ganzheitlich. „Menschen, die viel Singen und Tanzen bleiben länger jung und vital und sind weniger gefährdet für Demenz und Schlaganfälle, wie Studien belegen konnten,“ erklärt der Gesangsforscher.
Egal ob Singen oder Musizieren – wer Lust dazu hat, kann jederzeit beginnen. Niemand ist dafür zu alt oder zu unmusikalisch. Wichtig ist, eine Musikrichtung zu wählen, die einem wirklich Spaß macht. Mit ein wenig Übung kommt schließlich jeder musikalisch in Schwung. Erste Anlaufstellen sind zum Beispiel Sing- und Musikschulen, Volkshochschulen, Chöre oder Privatlehrer.