Nach aktuellen Studienergebnissen geben 35-37 % der befragten Frauen an, unter Symptomen einer Harninkontinenz zu leiden. Es gibt also in Deutschland nach Angaben der Deutschen Kontinenz Gesellschaft e. V. etwas mehr als fünf Millionen behandlungsbedürftige inkontinente Menschen.
Die Bezeichnung inkontinent trifft zu, wenn die Kontrolle der unteren Harnwege so beeinträchtigt ist, dass Urin nicht mehr willkürlich zurückgehalten werden kann. „Doch im Beckenboden ist quergestreifte Muskulatur vorhanden, die man trainieren kann“, sagte PD Dr. med. Ralf Tunn, Koordinator des Deutschen Beckenbodenzentrums in Berlin (www.alexius.de). Er erläuterte, dass die Erkrankung bei Frauen häufiger vorkommt. Meist tritt sie als Belastungsinkontinenz auf. Dabei verlieren die Frauen unwillkürlich Urin beim Husten, Niesen, Lachen oder bei körperlichen Belastungen wie schwerem Heben, Hüpfen oder Treppensteigen. Das heißt, der Druck im Bauchraum erhöht sich, aber aufgrund von Fehlfunktionen des Schließmuskelapparates von Blase und Harnröhre können die Frauen den Druck nicht ausgleichen. Die Folge ist ungewolltes Überschwappen des Urins.
Das Krankheitsbild wurde anlässlich der Präsentation des Deutschen Beckenbodenzentrums und des dort tätigen Behandlungsteams im Juni 2005 in Berlin mit Unterstützung von Boehringer Ingelheim und Lilly ins Bewusstsein gerufen. Von der „ Belastungsinkontinenz“ ist die „Dranginkontinenz“ abzugrenzen. Sie ist gekennzeichnet durch häufiges Wasserlassen und einen plötzlichen, nicht zu beherrschenden Harndrang. Manchmal liegen beide Arten der Inkontinenz auch als Mischformen vor. Acht von zehn Frauen haben Symptome einer Belastungsinkontinenz, während bei Männern die Dranginkontinenz vorherrscht.
Förderlich für die weibliche Belastungsinkontinenz: Die Entbindung des Kindes durch die Scheide, Alterungsprozesse (auch der Beckenbodenmuskulatur), Fettsucht und Östrogenmangel. Zudem können sie auch Probleme beim Sex haben, insbesondere dann nämlich, wenn die Belastungsinkontinenz im Zusammenhang mit einer Senkung der Gebärmutter und/oder der Scheide auftritt. In diesen Fällen kommt es beim Geschlechtsverkehr häufig zu Schmerzen, einem Druckgefühl oder zu Harnverlust.
Das Krankheitsbild lässt sich durch Änderungen des Lebensstils (Gewicht abnehmen, Trinkgewohnheiten ändern, Beckenboden unter Anleitung trainieren, Blasentraining, die Gabe von Östrogenen bei Östrogenmangel), eine Operation oder medikamentöse Maßnahmen bzw. alle gemeinsam positiv beeinflussen.
„Vor der Operation sollte jedoch festgestellt werden, ob noch eine konservative Behandlung stattfinden kann“, betonte _Tunn._Dem wiederum sollte das Gespräch zwischen Arzt und Patient vorgelagert sein: Tunn bemängelte jedoch, dass dazu in der Praxis meist keine Zeit sei und das Thema auch tabuisiert werde. Jedenfalls haben sechs von zehn Frauen mit Harninkontinenz noch nie mit einem Arzt über ihre Erkrankung gesprochen.
Dagegen erhält die Patientin im Deutschen Beckenbodenzentrum (Adresse: St. Hedwig-Krankenhaus, Große Hamburger Straße 5-11, D-10115 Berlin, Telefon 030/23 11-0) die (einmalige) Chance, ausführlich ihre Probleme zu schildern und mit Hilfe der verschiedenen Behandler (Urologen, Physiotherapeuten, Ernährungsberater, Sexualmediziner und Neurourologen) individuell zugeschneiderteLösungen zu finden. Dort hat man Zeit dafür.
Mit dem Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Yentreve (Duloxetin) steht seit August 2004 ein Medikament zur Behandlung der mittelschweren bis schweren Belastungsinkontinenz bei Frauen zur Verfügung. Klinische Studien bescheinigen dem Medikament, dass sich die Episoden des unwillkürlichen Urinverlust verringern und sich dadurch für die Patientinnen deutlich die Lebensqualität steigern lässt.
Auch deshalb hat die amerikanische International Consultation on Incontinence (ICI) Duloxetin bereits in ihre Behandlungsrichtlinien für Harninkontinenz aufgenommen. Grundsätzlich gilt nämlich – insbesondere für die ICI – dass vor einer Operation alle konservativen Behandlungsoptionen wie beispielsweise diejenige mit Yentreve ausgeschöpft werden sollten. Dabei zeigte sich, dass Duloxetin mit oder ohne Beckenbodentraining einem alleinigen Beckenbodentraining oder keiner aktiven Therapie überlegen war. Die Daten stützen die These, dass sich beide Behandlungsformen gut ergänzen und zu einer stärkeren Verbesserung der Beschwerden führen als jede Therapie für sich alleine.