Viele bahnbrechende Entdeckungen der modernen Medizin waren glücklichen Zufällen und dem Mut von Forschern zu verdanken, einfach einmal gegen den wissenschaftlichen Mainstream zu denken, oder unkonventionelle Ideen in die Tat umzusetzen, wie bei der Entdeckung des Zusammenhangs von Defensinmangel und Morbus Crohn. Zunächst stellte sich eine Forschergruppe vor 20 Jahren die Frage, warum heilen offene Wunden bei Fröschen, selbst wenn diese im größten Drecktümpel sitzen, problemlos innerhalb weniger Tage zu. Eigentlich würde man erwarten, dass sich die Wunden durch Bakterien im Wasser entzünden, doch das Gegenteil tritt ein. Wenn man weiß, dass Amphibien, wie über 99,9 Prozent aller Lebewesen nicht über eine spezifische Immunabwehr wie der Mensch verfügen, wird klar dass es einen Mechanismus geben muss, der die Bakterienbesiedlung der Wunde verhindert. Heute weiß man das es diese unspezifische körpereigene Abwehr tatsächlich gibt, angefangen von den Einzellern bis zum Mensch, werden körpereigene Antibiotika produziert, sogenannte Defensine. Auch am Stuttgarter Robert Bosch Krankenhaus, an welches das renommierte Dr. Margarete Fischer Bosch Institut für klinische Pharmakologie angeschlossen ist, hatte man den Mut einmal um die Ecke zu denken und schaut über den Tellerrand der bisherigen medizinischen Forschung hinaus. „Wir hatten die Hypothese, dass bei der chronisch entzündlichen Darmerkrankung „Morbus Crohn“ die Entzündung und die Beschwerden nicht durch eine Überreaktion des Immunsystems, sondern aus dem Fehlen der körpereigenen Defensine im betroffenen Darmabschnitt resultiert. Schließlich befinden sich im Dickdarm über ein Kilogramm Bakterien,zehnmal mehr als es Zellen im Körper gibt und trotzdem befinden sich im Dünndarm, in welchem nahezu ideale Lebensbedingungen für Bakterien herrschen, vergleichsweise wenig Bakterien. Hier sorgen Alpha-Defensine aus sogenannten Panethzellen dafür, dass schädliche Bakterien, Vieren und Pilze unschädlich gemacht werden“, weiß Jan Wehkamp. DieserMut gegen den Strom zu denken wurde belohnt, dass zeigen die Ergebnisse der Forschungsgruppe um Jan Wehkamp,Klaus Fellermann und Professor Eduard Stange Chefarzt der Abteilung für Gastroenterologie, Hepatologie und Endokrinologie am Stuttgarter Robert Bosch Krankenhaus. Denn ihre Erkenntnisse zur Ursachen- und Grundlagenforschung der entzündlichen Darmerkrankung „Morbus Crohn“ brachten dem Nachwuchsforscher Wehkamp jetzt den „Ernst-Jung-Karrierepreis für Nachwuchsmediziner in Höhe von 180000 Euro, „Wenn ich unsere Ergebnisse heute betrachte und sehe wie simpel die Zusammenhänge eigentlich sind, muss ich mich sehr wundern, dass bis jetzt niemand darauf gekommen war. Aber oft sieht man tatsächlich vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr“, so der Geehrte, dem das Preisgeld und die Unterstützung der Robert Bosch Stiftung hilft seinen Forschungen in Deutschland weiter zu führen. Wehkamp, der jetzt wiederin der Gastroenterologie am Robert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart tätig ist, hat die Funktion der Defensine (körpereigenen Antibiotika) und ihre Rolle bei Morbus Crohn, einer chronischen Darmzündung, seit 1998 an der Universität Lübeck, dann in Stuttgart und schließlich an der University of California in Davis mit amerikanischen und deutschen Wissenschaftlern erforscht und die Ergebnisse in mehreren anerkannten amerikanischen und europäischen wissenschaftlichen Fachblättern veröffentlicht – Es besteht ein Zusammenhang zwischen dem Fehlen von Defensinen und Morbus Crohn. Ergebnisse welche Hoffung für viele chronisch Kranke Patienten bedeuten können.
Jeder der schon einmal heftigen Durchfall hatte wird sich nur sehr ungern daran erinnern. Doch es gibt Menschen für die gehört flüssiger bis wässriger Stuhl, häufig von krampfartigen Schmerzen, besonders im rechten Unterbauch begleitet, oder sogar Blut- und Schleimbeimengungen in Stuhl, fast schon zum normalen Tagesablauf.Viele Patienten leiden dadurch unter Gewichtsverlust, fühlen sich müde, abgeschlagen und haben keinen richtigen Appetit mehr. Die Erkrankung verläuft meist schubweise mit Fieber, einem Anstieg der weißen Blutkörperchen (Leukozytose), einer Anämie (Verminderung des roten Blutfarbstoffes) und Fisteln, meist im Bereich des Afters. Es handelt sich hierbei um eine chronisch entzündliche Darmerkrankung - bekannt unter dem Namen „Morbus Crohn“. Im Unterschied zur „Colitis ulcerosa“ einer ebenfalls entzündlichen Darmerkrankung, welche jedoch nur den Dickdarm befällt,kann sie den gesamten Verdauungstrakt - von der Mundhöhle bis zum After - betreffen. Weitere Unterschiede sind, dass sich Morbus Crohn, nicht kontinuierlich ausbreitet, sondern an mehreren, nicht zusammenhängenden Stellen des Verdauungstraktes auftritt. Außerdem erfasst die Entzündung nicht nur die oberste Schleimhautschicht, sondern kann alle Schichten der Darmwand betreffen. Am häufigsten tritt „Morbus Crohn“ im Bereich des Übergangs Dünndarm-Dickdarm (Ileum) auf. Nach Angaben der Patientenorganisation DCCV (Deutsche Morbus Crohn/ Colitis ulcerosa Vereinigung e.V.) kann man davon ausgehen das rund 300.000 Menschen in Deutschland von einer chronischen entzündlichen Darmerkrankung betroffen sind, Tendenz steigend. Bislang wurde die Erkrankung als nicht heilbar eingestuft, nur die Symptome konnten bekämpft werden. Denn diese sind sichtbar, über die eigentliche Krankheitsursache wurde lediglich spekuliert. Man nahm an, dass mehrere Faktoren bei Morbus Crohn Patienten zusammen wirken müssen, zum einen eine erbliche Veranlagung, eine Störungen und Überreaktion des Immunsystems, aber auch psychische Ursachen wurden vermutet. Beweise dafür konnten bislang jedoch nicht erbracht werden.
Was durch die Forschungsergebnisse der Stuttgarter Wissenschaftler jetzt aber feststeht ist, das bei Morbus Crohn Patienten mit Dünndarmbefall an den entzündeten Stellen bestimmte Defensine, verglichen mit einer gesunden Kontrollgruppe vermindert sind. Was die Theorie stützt, dass das Fehlen, oder der Mangel dieser körpereigenen Antibiotika an den entzündeten Stellen zumindest ein Mitverursacher der Erkrankung ist. Ebenso finden sich bei Morbus Crohn Patienten an den befallenen Darmstellen krankmachende Kolibakterien direkt an der Darmwand, während sie bei einem Gesunden niemals so weit an die Darmwand herandringen.
Vieles spricht dafür, dass die Stuttgarter Wissenschaftler und ihre Kollegen auf der richtigen Fährte sind, so das in nicht allzu ferner Zukunft nicht mehr nur die Symptome des Morbus Crohn wirksam bekämpft, sonders seine eigentliche Ursache geheilt werden kann.