Im Unterschied zu allen bisherigen Medikamenten wirken Inkretin-Mimetika glukoseabhängig, das heisst sie normalisieren den Blutzuckerspiegel fast ohne Hypoglykämierisiko. Diese bedarfsorientierte antidiabetische Wirkung beruht auf mehreren Wirkmechanismen, die zur erhöhten Insulinfreisetzung, verminderten Glukagonsekretion, reduziertem Appetit und verzögerter Magenentleerung führen. In der Summe verbessert dies die Blutzuckerkontrolle und senkt das Gewicht von Menschen mit Typ-2-Diabetes. - Was von den Inkretin-Mimetika und insbesondere „Exenatide”, dem ersten Medikament dieser Klasse, zu erwarten ist, war Thema eines Presseworkshops der Lilly Deutschland GmbH anlässlich der 40. Jahrestagung der European Association for the Study of Diabetes (EASD).
„Inkretine sind Darmhormone, die bei Nahrungsaufnahme die Insulinsekrction bedarfsgerecht steigern”, erklärte Professor Michael Nauck vom Diabeteszentrum Bad Lauterberg. Um welche Darmhormone und Wirkmechanismen es sich dabei im Einzelnen handelte, war allerdings lange Zeit unklar. Konkreter wurde es erst mit Entdeckung der beiden Inkretine GIP (Gastric Inhibitory Peptide) und GLP-1 (Glucagon-like-Peptide-1) in den 80er Jahren: Beides sind Peptidhormone von ähnlicher Struktur und werden nach Nahrungsaufnahme vom Dünndarm freigesetzt, um den Blutzuckeranstieg zu bremsen. Wie Untersuchungen bei Menschen mit Typ-2-Diabetes zeigten, verliert das Inkretin GIP jedoch bei Menschen mit Diabetes seine stimulierende Wirkung auf den Stoffwechsel. Ganz anders bei GLP-1: Hier weisen Menschen mit Typ-2-Diabetes zwar niedrigere Wirkspiegel als Stoffwechselgesunde auf, doch bleibt bei ihnen die Inkretinwirkung erhalten. Diese Beobachtungen führten dazu, dass man sich in den folgenden Jahren auf die Erforschung des Wirkprinzips von GLP-1 konzentrierte und den „Inkretin-Effekt” entdeckte: So bezeichnet man das Phänomen, dass die orale Gabe von Glukose die Insulinfreisetzung sehr viel stärker stimuliert als die intravenöse Infusion der gleichen Glukosemenge. „Bei Stoffwechselgesunden macht der Inkretin-Effekt nach einer kohlenhydratreichen Mahlzeit 20 bis 60 Prozent der Insulinantwort aus”, führte Baptist Gallwitz weiter aus.
Hinzu kam ein Phänomen, das bisher kein anderes Antidiabetikum leistet, der Effekt war glukoseabhängig. Das heißt: Das Inkretin GLP-1 senkt erhöhte Blutzuckerwerte fast ohne Hypoglykämierisiko.
Ist GLP-1 somit ein ideales Antidiabetikum? „Leider nicht”, meint Prof. Nauck, „denn das natürliche GLP-1 wird im Körper zu rasch durch die Protease DPP IV (Dipeptidyl Peptidase IV) gespalten und inaktiviert”. In der Tat inaktiviert das Enzym DPP IV innerhalb weniger Minuten das Darmhormon. Für die Therapie des Typ-2-Diabetes müsste das Inkretin länger wirksam sein.
Aus den physiologischen Gegebenheiten des Inkretins GLP-1 ergeben sich somit zwei Therapieansätze. Zum einen versuchte man das GLP-1 chemisch so zu verändern, dass es von DPP IV nicht mehr abgebaut werden kann. Und zum ändern entwickelte man DPP IV-Hemmer, um den Abbau des GLP-1 zu blockieren.
Per Zufall bot sich eine „natürliche” Lösung: Man entdeckte, dass der im Speichel des Gila Lizard, einer amerikanischen Echsenart (Heloderma suspectum) vorkommende Wirkstoff Exendin-4 in seiner Wirkung dem GLP-1 vergleichbar ist, aber nicht durch DPP IV abgebaut wird. Dieses so genannte Inkretin-Mimetikum, bestehend aus 39 Aminosäuren, wurde für die klinische Anwendung synthetisiert und durchlief als „Exenatide” ein umfangreiches toxikologisches und klinisches Prüfprogramm. Dabei erfüllte es alle Erwartungen: Es zeigte die oben genannten GLP-1-Wirkungen, die auch in Langzeitstudien erhalten blieben. „Bei zweimal täglicher subkutaner Injektion normalisiert Exenatide den Blutzucker, sowohl nüchtern als auch postprandial”, erklärte Nauck. Besonders hervorzuheben sei, dass es gleichzeitig das Körpergewicht senke und kaum Hypoglykämien verursache. Die Verträglichkeit war gut, als häufigste unerwünschte Wirkung wurde eine vorübergehende Übelkeit zu Beginn der Therapie genannt.
Besonders erfreulich sind die Daten neuer Studien, die im Tierversuch auf protektive Effekte von Exenatide auf die Beta-Zellen hinweisen. Wir wissen ja, dass Typ-2-Diabetes mit einem fortschreitenden Beta-Zellverlust einhergeht. Bei Diagnosestellung sind in aller Regel nur noch 50 Prozent der Beta-Zellen voll funktionsfähig. Wenn das Inkretin-Mimetikum Exenatide das Absterben der Beta-Zellen hemmt und sogar zur Neubildung und zum Wachstum von Langerhans’chen Inseln im Pankreas anregt, stehen die Chancen gut, dass Exenatide langfristig zu normnahen HbAi-Werten führt und die Progression der Erkrankung bremsen kann. Diese kombinierte Wirkung könnte einen einzigartigen Beitrag zur Behandlung von Menschen mit Typ-2-Diabetes darstellen.
Zur Behandlung von Menschen mit Typ-2-Diabetes wurde Exenatide inzwischen weltweit geprüft und hat sich in der Kombination mit Metformin und/oder Sulfonylharnstoffcn optimal bewährt. Heute liegen die Daten von über 1.500 Patienten in prospektiven, randomisierten, placebokontrollierten und zumeist tripelblinden Studien vor und stellen die Grundlage für den Zulasssungsantrag bei der amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA.