Wie kaum eine andere Krankheit ist Migräne von “Mythen und Legenden” begleitet, was ihre Ursachen, ihre Auswirkungen und die Behandlungsmöglichkeiten betrifft, denn ein Großteil der Bundesbürger sieht Migräne immer noch nicht als ernsthafte Erkrankung an. Oft wird Migräne als Vorwand gesehen, um sich unangenehmen Situationen zu entziehen, nicht selten wird sie auch als “Hysterie” oder “Übertreibung” abgetan. Betroffene erfahren dadurch häufig wenig Verständnis durch ihre Mitmenschen.
Laut einer aktuellen Studie empfinden Betroffene die Einschränkung ihrer Lebensqualität durch eine Migräneerkrankung als genauso stark oder stärker wie Menschen mit Depressionen, Diabetes mellitus oder Arthritis. Nicht-Betroffene haben dafür oft wenig Verständnis: Nach Ergebnissen einer aktuellen repräsentativen Umfrage schätzen sie von den vier genannten chronischen Erkrankungen Migräne als am wenigsten die Lebensqualität einschränkend ein.
Auch viele Betroffene stehen nicht zu ihrer Erkrankung: Etwa 50 Prozent haben wegen ihrer Migräne noch nie einen Arzt aufgesucht und behandeln sich selbst - nicht selten mit schweren Folgen: Durch längeren, unkontrollierten Einsatz von frei verkäuflichen Schmerzmitteln können chronische Kopfschmerzen und Nierenschäden entstehen, oder es kann zu Magengeschwüren bis hin zum Magendurchbruch kommen.
Tatsächlich ist Migräne eine ernst zu nehmende, komplizierte Erkrankung des Nervensystems, die auf einer genetisch bedingten Reizverarbeitungsstörung beruht. Migräne-Attacken bedeuten nicht nur heftige, einseitig pulsierend-pochende Kopfschmerzen, sondern gehen häufig auch mit Übelkeit und Erbrechen einher. Die Betroffenen können nur schwer Licht oder Lärm ertragen – und nicht, oder nur eingeschränkt, arbeiten. Bei mehr als der Hälfte der Migräniker sind die Beschwerden so stark ausgeprägt, dass sie ihre Alltags- und Freizeitaktivitäten empfindlich beeinträchtigen. Migräniker werden im Schnitt an 35 Tagen im Jahr von quälenden Kopfschmerzen geplagt und können - nach Angaben der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) - an drei bis sechs Tagen im Jahr nicht zur Arbeit gehen. Aber auch ohne akute Attacke ist die Erkrankung immer präsent – denn eine neue Attacke kann jederzeit kommen – meist, wenn man sie “gar nicht brauchen kann”.
Wenn Reize wie grelles Licht, Lärm oder Stress auf das Gehirn einwirken, entzünden sich bei Migränikern besonders leicht erregbare Nerven im Hirnstamm und die Blutgefäße im Gehirn – das löst dann eine schmerzhafte Kettenreaktion aus. Manche Migräniker erleben zusätzlich eine so genannte Aura. Hierbei treten vor den Kopfschmerzen neurologische Ausfallserscheinungen, wie Lichtblitze, vorübergehende Lähmungen von Armen und/oder Beinen, Sprachstörungen oder Wahrnehmungsstörungen auf.
Aber es gibt auch einen positiven Aspekt: Nach ersten Hinweisen reagieren die Nerven von Migränikern nicht nur auf schmerzauslösende Reize besonders empfindlich, sondern verarbeiten Reize überhaupt sensibler. Die These, dass das Gehirn dieser Menschen schneller arbeitet, sie also schneller denken können, erscheint heute nicht abwegig.
Da Migräne auf einer Veränderung der Gene beruht, ist sie bis heute nicht heilbar – mittlerweile jedoch gut zu behandeln. So kann man leichten bis mittleren Attacken mit unterschiedlichen, auch rezeptfreien Schmerzmitteln und Anti-Rheumamitteln sowie eventuell einem Mittel gegen Brechreiz begegnen. Bei schweren Attacken empfiehlt die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) Ergotamine bzw. Triptane, wobei Triptane schneller wirken und weniger unerwünschte Nebenwirkungen haben als Ergotamine. Bei 70 Prozent der Betroffenen kommt es unter der Behandlung mit z.B. Rizatriptan (Maxalt) innerhalb von zwei Stunden zu einer deutlichen Schmerzlinderung. Zirka 40 Prozent der Patienten werden den leidigen Schmerz vollständig los. Auch begleitende Maßnahmen wie Stressreduktion, ein geregeltes Leben und die Erlernung von Entspannungstechniken können hilfreich sein.
12-14 Prozent der Frauen und 6-8 Prozent der Männer in Deutschland leiden an Migräne, das sind rund 5 Millionen Frauen und 3 Millionen Männer - im Durchschnitt jeder zehnte Bundesbürger. Die International Headache Society (IHS) unterscheidet mehrere Varianten der Migräne. Die beiden wichtigsten Formen sind die Migräne mit und ohne Aura. Letztere kommt mit 80 Prozent am häufigsten vor. Die Art der Attacken kann sich in Dauer, Form und Intensität im Laufe des Lebens verändern.
Migräne tritt nicht selten das erste Mal in der Pubertät auf. Es sind jedoch auch ca. drei bis fünf Prozent Kinder betroffen. Gehäuft finden sich Migräne-Attacken zwischen dem 35. und 45. Lebensjahr.
Interessant ist, dass Migräne bei fast allen bisher untersuchten Völkern der Erde gleich häufig auftritt. Lediglich in Japan und China scheint es weniger Migräniker zu geben.
:: 1 :: Solomon, Glen. D. and Litaker, David. G.: The Impact of Drug Therapy on Quality of Life in Headache an Migraine, Pharmacoeconomics 1997, S.334-342.Ergebnis einer repräsentativen Telefonbefragung durch das EMNID-Institut im Februar 2002:
:: 2 :: 49 Prozent der Befragten waren der Meinung, dass Depression als chronische Krankheit die Lebensqualität am stärksten einschränke, nur 9 Prozent nahmen dies von Migräne an.
:: 3 :: News 5; Sonderbeilage der Medical Tribune, 1.2.2002, S.4. Kopfschmerz, Sonderbeilage in Der Hausarzt, 15.12.2001, S.3.