Die funktionelle Elektrostimulation gewinnt in der Neurologie zunehmend Anerkennung als nichtinvasive Therapieform. Das ist auch bei der Fußheber-Schwäche der Fall, mit der viele Menschen in Folge einer Teillähmung kämpfen. Das erklärt Thorsten Böing, Rehabilitations-Wissenschaftler beim Medizintechnik-Hersteller Bioness, im Rahmen der Rehacare in Düsseldorf. Die Internationale Fachmesse widmet sich heuer speziell dem selbstbestimmten Wohnen im Alter oder bei Körperbeeinträchtigungen.
Mit einer Fußheber-Schwäche leben derzeit allein in Deutschland 180.000 Menschen. Verursacht wird das auch als “Fallfuß” bezeichnete Leiden durch eine Schädigung des zentralen Nervensystems, etwa bei Schlaganfall, Multipler Sklerose, Schädel-Hirn-Trauma, inkompletter Rückenmarkverletzung oder der Zerebralparese, erklärt Böing. “Für diese Menschen sind oft bereits Teppichkanten ein Problem. Ihre Gehgeschwindigkeit ist reduziert, wodurch sie in Summe auch deutlich in ihrem Sozialleben eingeschränkt sind”, so der Experte.
Die Behandlung des Leidens hat sich seit Jahrzehnten nicht verändert. Nach einer Statuserhebung sind Führungsorthesen die Hilfsmittel der Wahl. Dabei bettet man den Unterschenkel in Kunststoffschalen. “Auf Dauer verursachen Orthesen bei Fallfuß jedoch öfters Probleme der Knie- und Hüftgelenke. Zudem nutzen sie das vorhandene Restpotenzial des Körpers nicht”, sagt Böing. Eine Chance sei vor allem die Neuroplastizität des Gehirns - speziell dessen Fähigkeit, Aufgaben geschädigter Gehirnteile anderen Regionen zuzuweisen.
Diese Lernbereitschaft kann durch Elektrostimulation gefördert werden. Das zeigen auch Forscher um Jeffrey M. Hausdorff im “American Journal of Physical Medicine and Rehabilitation” (2008). Sie untersuchten die Folgen einer durch Hochfrequenz kontrollierten Neuroprothese bei 24 Patienten mit chronischer Teillähmung einer Körperseite. Beobachtet wurde dabei das unmittelbare Gangverhalten sowie jenes nach acht Wochen Anwendung. Die Gangsymmetrie verbesserte sich um 28 bzw. 45 Prozent, die Schrittvariabilität um knapp ein Viertel bzw. ein Drittel und die Ganggeschwindigkeit stieg um 17 bzw. später um 34 Prozent.
Erfolg bringt Stimulation nur bei bestimmten Voraussetzungen, erklärt Böing. “Sie funktioniert nur, wenn es noch Rückkoppelung gibt. Etwa bei kompletter Querschnittslähmung kann man keine Nerven mehr ansteuern”, so der Experte. Der Lerneffekt gelinge durch das Einschleifen mit immer wiederkehrender Stimulation, wobei allerdings ein Lernniveau, bei dem ein Patient völlig auf diese Hilfe verzichten kann, meist nicht erreicht wird. “Der mögliche Gewinn an Lebensqualität durch Stimulation ist dennoch beachtlich, und bei vielen Anwendern ist die Rückkehr ins Arbeitsleben möglich.”
Der in der Studie getestete Neurostimulator L300 von Bioness besteht aus einer Beinmanschette unter dem Knie, die durch Elektroden zwei Referenzpunkte stimuliert. Ein Gangsensor im Schuh stellt die Lage der Ferse fest und benachrichtigt die Manschette über den richtigen Stimulationsmoment, alles weitere regelt eine Fernbedienung. Böing glaubt, dass sich derartige Fußheber-Systeme auch hierzulande durchsetzen werden. “Die Kosten liegen unter jenen der andernfalls erforderlichen Reha-Aufenthalte. In Deutschland hat eine Berufsgenossenschaft bereits die Kostenübernahme zugesagt. In Österreich und der Schweiz wurden bisher erst Vertriebspartner gefunden.”