Manchmal ist es eine gute Strategie, genau das Gegenteil von dem zu tun, was bisher Standard war: Kardiologen im Herzzentrum Göttingen behandeln Herzrhythmusstörungen nicht wie üblich durch Hitze, sondern durch Kälte. Über einen Katheter bringen sie minus 75 Grad kalten Stickstoff an jene Stelle des Herzmuskels, die das Organ aus dem Takt bringt. Die Kälte zerstört das schädliche Gewebe und stellt dadurch den natürlichen Rhythmus wieder her. Diese so genannte Kryoenergietechnik wurde in Kanada entwickelt. Sie gilt als besonders schonend, weil sie sehr zielsicher ist.
Normalerweise korrigieren Kardiologen Herzrhythmusstörungen mit Hilfe von hochfrequenten Stromstößen, die ebenfalls einen winzigen Gewebefleck zerstören. Allerdings müssen die Ärzte oft mehrere Versuche unternehmen, um die gewünschte Stelle auf den Millimeter genau zu treffen. Weil sich die kleinen Verbrennungen nicht rückgängig machen lassen, zerstört jeder Fehlversuch gesundes Herzgewebe. Bei der Kryotechnik dagegen gibt es einen Zwischenschritt: Die Göttinger Kardiologen kühlen die Stelle zunächst nur auf minus 30 Grad, um zu testen, ob der gewünschte Effekt eintritt. Bei dieser Temperatur bleibt das Muskelgewebe noch unversehrt. Werden nicht die optimalen Stellen verödet, tauen sie die Stelle einfach wieder auf.
Deshalb wenden Kardiologen das neue Verfahren vor allem dann an, wenn sie in besonders empfindliche Regionen des Herzens eingreifen müssen, zum Beispiel in der Nähe von Herzkranzgefäßen oder am so genannten AV-Knoten, der einzigen elektrischen Verbindung zwischen Herzvorkammer und Herzhauptkammer. Als ideal erweist sich die Methode für die kleinen Herzen von Kindern: Am Herzzentrum Göttingen wurden in den vergangenen drei Jahren schon mehr als 60 Kinder mit Rhythmusstörungen erfolgreich mit der Kältetechnik behandelt.