Mit voranschreitendem Alter ist das Gehirn nicht nur neuroanatomischen Strukturwandlungen unterworfen, gleichfalls ändern sich auch biochemische und physiologische Parameter. Probleme bei der Anwendung von Psychopharmaka im Alter entstehen nicht nur durch die Änderung der Sensibilität zentraler und peripherer neuronaler Systeme, sondern auch durch Änderungen der Pharmakokinetik, das hat PD Dr. Klaus Lieb, Freiburg, beim DGPPN-Kongress 2001 in Berlin erklärt.
Die wichtigsten für Psychopharmaka relevanten Veränderungen der Pharmakokinetik beim alten Patienten sind :
Da viele Psychopharmaka lipophil sind, werden diese in den Nierentubuli weitgehend wieder rückresorbiert und daher nur langsam ausgeschieden. Sofern sie nicht chemisch verändert werden, besteht die Gefahr, dass sie im Organismus verbleiben und sich besonders im Fettgewebe anreichern. Der Organismus besitzt Enzymsysteme, die lipophile Xenobiotika in hydrophilere, leichter ausscheidbare Stoffe umwandeln können. Die Biotransformation von Fremdsubstanzen erfolgt primär in der Leber.
Von besonderer Bedeutung für die oxidative Biotransformation von Pharmaka sind Monooxygenasen, die Hämproteine vom Typ des Cytochrom P-450 (CYP), die sich bezüglich ihrer Substratspezifität, der am jeweiligen Expressionsort vorhandenen Menge sowie weiterer Charakteristika unterscheiden. Anhand ihrer Aminosäuresequenzen werden die verschiedenen CYP in Familien eingeteilt, die durch eine arabische Zahl charakterisiert sind. Die meisten Antidepressiva werden hepatisch eliminiert. Da die Stoffwechselkapazität der Leber im Alter nachlässt, ist die hepatische Elimination und damit auch der first-pass-Metabolismus vieler Psychopharmaka verlangsamt, Bioverfügbarkeit und Plasmaspiegel nehmen zu. An diesen oxidativen Veränderungen, so Lieb, sind verschiedene Isoenzyme der Cytochrom P-450-Reihe beteiligt. Bei den trizyklischen Antidepressiva, die hauptsächlich über das Cytochrom P-450-System (Isoenzyme CYP 2D6, CYP 2C19) hepatisch verändert werden müssen, ist in den meisten Fällen die hepatische Elimination verlangsamt. Hieraus muss geschlossen werden, dass ältere Patienten initial mit geringeren Dosen als jüngere auskommen. Im Unterschied zu klassischen Trizyklika ändern sich bei den SSRIs die pharmakokinetischen Eigenschaften kaum bzw. erhöht sich bei einigen Substanzen leicht der Plasmaspiegel. Eine verlängerte Eliminationszeit im Alter ist aus pharmakokinetischer Sicht der Hauptgrund dafür, dass bei fehlender Dosisreduktion mit normalen Dosen überdosiert wird.
Die Verordnung von Antidepressiva hat zwischen 1990 und 1999 von 166 auf 383 Millionen Tagesdosen um 130 Prozent zugenommen. Die Ursache für die vermehrte Anwendung von Antidepressiva sieht Dr. Ulrich Voderholzer, Freiburg, hauptsächlich in dem breiter werdenden Indikationsspektrum. War in früheren Jahren ausschließlich die Depression die Domäne der Antidepressiva, liegen heute Angststörungen, chronische Insomnien und Schmerzsyndrome sowie psychosomatische Störungen im Trend, die man gestern noch ausschließlich mit Benzodiazepinen und Opiaten behandelte. Für Trimipramin, einem Trizyklikum, das seit mehr als 30 Jahren bei Depressionen eingesetzt wird, fand man wie beim Doxepin neben der antidepressiven auch eine schlafanstoßende und analgetische Wirkung. Trimipramin, ein Dibenzazepinderivat, zeigt Verwandtschaft zu Imipramin und dem durch Oxigenierung im Trizyklus entstandenen Doxepin.
Die sedierende Wirkung von Trimipramin resultiert aus der durch Methylierung stark verzweigten Seitenkette wie sie auch beim schwachpotenten Neuroleptikum Levomepromazin vorliegt.
Im Gegensatz zu den meisten Trizyklika hemmt Trimipramin die Noradrenalin-und Serotonin-Rückaufnahme unwesentlich, auch kommt es nicht zu einer ß-down-Regulation postsynaptischer adrenerger Rezeptoren. Der wesentliche Wirkeffekt von Trimipramin liegt zum einen in seiner starken Histamin-H-Antagonisierung, die für die stark sedierende und zentral dämpfende Wirkung der Substanz verantwortlich ist. Auch wird als ein weiterer Wirkmechanismus eine Suppression der Kortisolausschüttung diskutiert, die nachts erhöht ist.
Im Rahmen von Radioliganden-Studien zeigt Trimipramin eine hohe Affinität zum 5-HT-Rezeptor, und D-Rezeptor. Zu dem atypischen Neuroleptikum Clozapin zeigt Trimipramin auffällige Parallelen, da beide Substanzen die gleiche hohe Affinität zum D-Rezeptor haben und darüber hinaus sich auch in ihrem Bindungsprofil am H-Rezeptor und an den muskarinergen anticholinergen Rezeptoren ähneln. Aufgrund des antidepressiven und antipsychotischen Wirkprofils ohne extrapyramidale Nebenwirkungen könnteTrimipramin als ein atypisches Antidepressivum bezeichnet werden, erklärte Dr. Ulrich Voderholzer, Freiburg.
Nach einer Pilotstudie mit Trimipramin bei wahnhaften Depressionen, kam es in der Dosierung von 300-400 mg/die innerhalb von 4 Wochen zu einer signifikanten Reduktion in der HAMD-, BPRS-, CGI- und BFS-Skala. Eine kürzlich abgeschlossene kontrollierte Multizenter-Vergleichsstudie prüfte Trimipramin bei wahnhaften Depressionen. Da die wahnhafte Depression in der Regel mit einer Kombination von Antidepressivum/Neuroleptikum behandelt wird, wäre die Monotherapie mit Trimipramin eine neue Therapieoption bei diesem Krankheitsbild.
Trizyklika unterdrücken in der Regel den REM-Schlaf. Trimipramin beeinflusst weder den REM- noch den Tiefschlaf. Da REM- und Tiefschlaf beim Gesunden bei der Gedächtniskonsolidierung eine zentrale Rolle spielen, dürfen bei einer antidepressiven Therapie diese Schlafstadien nicht unterbunden werden. Trimipramin erfüllt diese Forderungen, in dem es die Kognition bei der Therapie der Depression und Insomnie erhält. Bisher noch nicht ausreichend untersucht ist die Wirksamkeit von Trimipramin in der Suchttherapie, besonders in der Entzugsbehandlung. Eine positive Wirkung wurde in Form einer Milderung der Entzugssymptomatik beim Alkohol-, Benzodiazepin- und Opiatentzug gesehen. Die analgetische Wirkkomponente im Vergleich mit Doxepin, Amitryptilin, und Clomipramin ist untersucht, so dass mit Trimipramin ein weiteres gut verträgliches Trizyklikum für die Therapie chronischer Schmerzzustände zur Verfügung steht.